Beim Blick von der Seltenbachbrücke packt so manchen der Schwindel. Tief hinunter geht es hier. Der Blick fällt auf jetzt dichtes und üppiges Grün. Was darunter und dahinter liegt, zeigt sich kaum. Schade finden das Gilberto Cammisa, Stephan Vatter und Christian Burkhard. Sie wollen das ändern.

Sie wollen sichtbar machen, was verborgen bleibt – den Rhein, die Grenze, die nahe Schweiz. Cammisa ist Grafikdesigner, Vatter Architekt und Burkhard Landschaftsarchitekt. Cammisa sagt: „Alle meinen, hier ist der Rhein weit weg, aber viele wissen gar nichts vom Rhein, teilweise nicht einmal die, die hier leben.“

Am Waldshuter Rheinufer, an der Mündung des Seltenbachs, ist im Sommer schon viel los, für Gilberto Cammisa und Stephan Vatter aber ...
Am Waldshuter Rheinufer, an der Mündung des Seltenbachs, ist im Sommer schon viel los, für Gilberto Cammisa und Stephan Vatter aber könnte es noch mehr sein. Sie haben Pläne für das Areal. | Bild: Wagner, Hans

Keine 100 Meter Luftlinie weiter unten pulsiert das Leben: Touristen und Touristinnen aus Fernost studieren die Fahrzeiten der Fähre. Zwei Polen absolvieren den Südschwarzwald-Radweg und machen an der Anlegestelle Station. Am Rheinuferweg wird es mit den Spaziergängern, Nordic Walkern und Joggern teils ganz schön eng.

Cammisa, Vatter und Burkhard sind überzeugt: Wenn all das, was der nahe Rhein an Attraktivität bietet, von der Stadt aus anzuschauen wäre, kämen noch viel mehr. Daher haben sie ihr Projekt auch „Schauwerk“ getauft. Wenn sie auf der Seltenbachbrücke stehen, haben sie ihre Vision bereits vor Augen: die sich übers Seltenbach-Grün kühn schwingenden Brücken und Stege, darunter der Bach als Erlebnis- und Lernort, der sich hinunter schlängelt zu den markanten Gebäuden des Entwurfs, von denen der gläserne Aussichtsturm das höchste ist.

Zwei Polen absolvieren den „Südschwarzwald-Radweg“ und machen an der Anlegestelle der Fähre in Waldshut Station.
Zwei Polen absolvieren den „Südschwarzwald-Radweg“ und machen an der Anlegestelle der Fähre in Waldshut Station. | Bild: Wagner, Hans

Jüngst, am 28. Juni, holten die Drei ihr Projekt, das sie schon seit rund zehn Jahren mit sich herumtragen, hervor und präsentierten es beim landesweiten „Tag der Architektur“ der Öffentlichkeit. Dieser stand unter dem Motto „Leerstand – Lücken – Potenziale“ – und das Hochrhein-Trio fand: Es ist ein Kontext wie maßgeschneidert. Sehen die Drei am Waldshuter Seltenbach doch auch viel Leerstand, viele Lücken und Potenziale. Von dem, was sie dort vorhaben, gibt es ein Projektbriefing und Visualisierungen. Vatter hat zudem in mühevoller Fleißarbeit das Seltenbachtal als Modell so nachgebaut, wie sie sich das für die Zukunft vorstellen.

Wie für sie der Seltenbach einmal aussehen soll, haben Gilberto Cammisa und Stephan Vatter in einem Modell nachgebaut.
Wie für sie der Seltenbach einmal aussehen soll, haben Gilberto Cammisa und Stephan Vatter in einem Modell nachgebaut. | Bild: Wagner, Hans

Zehn Jahre tragen sie ihr Projekt jetzt schon mit sich herum, bei dem, das räumen sie ein, vieles erst noch abgeklärt und kalkuliert werden müsste. „Gänzlich unbekannt in der Stadt sind die Pläne zwar nicht“, sagt Cammisa. Aber offiziell sei das Projekt noch kein Thema und auch noch nie von Gremien der Kommunalpolitik behandelt worden. Es ist weder bekannt, was es in etwa kosten, noch wer die Kosten tragen würde. Sponsoring? Fördergelder? Die Schweiz als Partner? Überall noch Fragezeichen.

Am Rheinuferweg wird es mit den Spaziergängern, Nordic Walkern und Joggern teils ganz schön eng.
Am Rheinuferweg wird es mit den Spaziergängern, Nordic Walkern und Joggern teils ganz schön eng. | Bild: Wagner, Hans

Aber sie möchten, dass darüber gesprochen wird, dass darüber eine öffentliche Debatte entsteht, auch als Signal gegenüber möglichen privaten Geldgebern. Braucht Waldshut-Tiengen das wirklich? Hat die Stadt nicht andere, wichtigere „Baustellen“? Ist das nicht eher ein „Nice to have“? Wäre das nicht alles eine Nummer zu groß?

Erst einmal sollen den Initianten zufolge der Seltenbach und das Rheinufer genauer unter die Lupe genommen werden. Für sie ist es die grüne Lunge Waldshuts, die im Dornröschenschlaf schlummert und deren Potenzial erst noch geweckt werden muss.

Ein am Waldshuter Rheinufer stehendes Wohnhaus ist schon länger nicht mehr bewohnt.
Ein am Waldshuter Rheinufer stehendes Wohnhaus ist schon länger nicht mehr bewohnt. | Bild: Wagner, Hans

Wer sich darauf einlässt, kann das Flair des Areals schon jetzt spüren. Aber eben: Es lassen sich zu wenige darauf ein. Die Zugänge ins Tal sind versteckt, die Aufenthaltsqualität darin gilt nicht als allzu hoch. Helle Kinderstimmen am Seltenbachspielplatz – zumindest beim Ortstermin Fehlanzeige. Ein inzwischen leerstehendes Wohnhaus an der Bachmündung – wohl eher kein attraktives Entree.

Welche Ideen gibt es?

Hohe Summen dürften der im Projekt vorgesehene Baumwipfelpfad über dem Seltenbachtal und der Lift verursachen, der hinter der Heinrich-Hansjakob-Schule zu stehen kommen und den Höhenunterschied zum Rheinufer überwinden soll.

Auch viel Geld kosten dürfte es, die vorgesehene Architektur des „Schauwerks“ zu bauen. Das Hauptgebäude, nach Süden großflächig verglast und mit Terrassen versehen, könnte den Dreien nach gastronomisch genutzt werden und Ausstellungs- und Seminarräume vorsehen. Was am Seltenbach „in echt“ erlebt werden kann, könnte den Plänen nach darin virtuell aufbereitet werden, mithilfe von KI und Virtual Reality. Im Gastrobereich ließe sich bei Speisen und Getränken gut die Zeit überbrücken, die es braucht, bis an den ebenfalls angedachten Ladestationen der E-Bike-Akku wieder aufgefüllt ist.

Im Waldshuter Seltenbach gibt es auch einen Spielplatz.
Im Waldshuter Seltenbach gibt es auch einen Spielplatz. | Bild: Wagner, Hans

Fürs Erdgeschoss des gläsernen Aussichtsturms sieht das Projekt schon den Ticketverkauf der Stadtwerke für die Rheinfähre integriert. Das Schiff würde dem Konzept nach nicht mehr länger am Rheinufer an- und ablegen, sondern an einem in Richtung Flussmitte reichenden Steg. Und dieser würde nicht erst im Uferbereich entstehen, sondern schon weit davor und durch das Hauptgebäude hindurchstechen.

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Das alles ist, sollte es einmal tatsächlich an die Umsetzung des Projekts gehen, nicht in Stein gemeißelt, sondern flexibel umsetzbar, wie die Drei versichern. Dennoch will das Trio kühn planen und groß denken. „Wir denken, dass es machbar ist, wir planen ja keinen zweiten Eiffelturm am Waldshuter Rheinufer“, sagt Gilberto Cammisa.