Eine zweifelhafte Ehre wird der Stadt Wehr zuteil: Der Bund deutscher Steuerzahler (BdS), der jährlich die krassesten Fälle von Steuergeld-Verschwendung in einem öffentlichkeitswirksamen "Schwarzbuch" sammelt, hat sich mit dem Ankauf des Steinway-Flügels durch die Stadt Wehr im vergangenen Jahr beschäftigt. In ihrer aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitschrift "Der Steuerzahler" schreibt der BdS: "Aus Sicht der Stadt war der Erwerb eine einmalige Chance. Aus Steuerzahlersicht stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit der Anschaffung." Das berichtete die Bild-Zeitung in ihrer Donnerstagsausgabe und zitiert auch FW-Stadtrat Hans-Peter Felber: "Das ist Wahnsinn. Ich sehe nicht ein, warum der Steuerzahler das bezahlen muss."
Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr bekam die Stadt von der Familie Vorwerk den Steinway-Flügel zum Kauf angeboten, auf dem Stargeigerin Anne-Sophie Mutter als Kind ihren ersten Musikunterricht überhaupt hatte. Musiklehrerin Erda Vorwerk-Honigberger gilt deshalb als erste Entdeckerin des riesigen Talents der jungen Anne-Sophie Mutter. Im Stadtmuseum erhielt der Flügel nun einen Ehrenplatz und wird dort bei Konzerten im kleineren Rahmen gespielt.
Marktwert des Flügels deutlich höher
In der Sache kann Bürgermeister Michael Thater die Kritik des Bundes der Steuerzahler überhaupt nicht nachvollziehen. "Wir haben einen Flügel, der laut Experten einen Wert von 50 000 Euro hat, für 25 000 Euro gekauft." Der ideelle Wert des Steinway-Flügels habe sogar einen deutlich höheren Wert, vermutlich im sechsstelligen Bereich. Insofern sei die Anschaffung sogar sehr klug gewesen. "Dass der Bund der Steuerzahler, von dem ich bislang sehr viel gehalten habe, nicht rechnen kann, war mir neu", so Thater. Schon im vergangenen Sommer habe er eine Anfrage des BdS ausführlich beantwortet und darauf hingewiesen, dass der Marktwert des Flügels deutlich höher ist als der vereinbarte Kaufpreis.
Dass sich der Bund der Steuerzahler überhaupt mit dem Flügel-Kauf beschäftigt hat, geht laut Thater auf die Meldung des Wehrer Bürgers Hans-Peter Zimmermann zurück. "Ich habe kein Verständnis dafür, dass Wehrer Bürger ihre eigene Stadt schlecht machen", so Thater. Er wirft Zimmermann vor, der Stadt bewusst schaden zu wollen. Er verweist auf Laufenburg, wo die Stadt 30 000 Euro für einen neuen Steinway-Flügel beigesteuert habe. Dort habe es aber keinerlei Gegenstimmen gegeben.
Besonders ärgert ihn, dass die negativen Schlagzeilen auch Ehrenbürgerin Anne-Sophie Mutter treffen könnten. Er sei dankbar, für das regelmäßige Engagement der Ehrenbürgerin in der Stadt. Anne-Sophie Mutter hatte zur Einweihung der Stadthalle im Jahr 1990 einen großen Steinway-Konzertflügel gestiftet und spielt dort seitdem regelmäßig Benefizkonzerte.
Frage des Zeitpunktes
Hans-Peter Zimmermann bestätigt gegenüber unserer Zeitung, dass er es war, der den Bund der Steuerzahler auf den Kauf aufmerksam gemacht hat. Wobei der eigentliche Kauf ihn gar nicht stört. "Es war viel mehr der falsche Zeitpunkt: Einen Steinway-Flügel kaufen und ein paar Minuten später die Kindergartengebühren erhöhen – das geht gar nicht", so Zimmermann. Dies ist aber gar nicht Gegenstand der kritischen Betrachtung des Steuerzahlerbundes, vielmehr verweist die Organisation auf die Verschuldung der Stadt: Einschließlich seiner Eigenbetriebe sei Wehr mit zehn Millionen Euro verschuldet. Diese Kritik lässt Thater aber nicht gelten. Die Verschuldung der Stadt liege im Landesschnitt vergleichbarer Gemeinden und sei bei den aktuell niedrigen Zinssätzen absolut vertretbar.
Der Flügel
Der Steinway S-155 ist der kleinste Flügel aus der Steinway-Produktion. Als Neupreis werden etwa 75000 Euro gehandelt. Das Modell aus dem Eigentum der Familie Vorwerk-Honigberger wurde vor dem Verkauf begutachtet und ihm ein sehr guter Zustand attestiert. Als Verkaufpreis wurde "mindestens 60 Prozent des Neupreises" empfohlen, dies wären 45000 Euro.