Die Verleihung einer Ehrenbürgerschaft ist oft die höchste Form der Ehrung, mit der Städte und Gemeinden überragende Persönlichkeiten auszeichnen. Handelt es sich um Unternehmer, Politiker, Sportler, karitativ, sozial, religiös oder kulturell aktive Menschen, so können deren Taten und Leistungen auf der Grundlage objektiver Fakten bewertet werden.

Die Dauer des Engagements, seine Ausstrahlung und Nachhaltigkeit, die Höhe von Stiftungs- und Fördersummen, die Bedeutung von Unternehmen für die Entwicklung des Ortes oder Titel und Rekorde bei Sportlern – all dies sind konkret überprüfbare Kriterien zur Entscheidungsfindung.
Um ein Beispiel aus der Wirtschaft zu nennen: Als die Öflinger Gemeinderäte Carl Denk und Georg van Eyck zu Ehrenbürgern machten und die Wehrer Stadträte sich für Albert Rupp als ihren Ehrenbürger entschieden, gab es am Lebenswerk dieser Unternehmer nichts zu deuteln. Ohne die MBB, die Weck und die Wehra hätten sich weder Öflingen noch Wehr so erfolgreich entwickeln können. Tausende Arbeitsplätze, die Summe der Gewerbesteuer und die Impulse für das gesellschaftliche Leben waren Tatsachen, die für die Ehrenbürgerschaft dieser verdienstvollen Unternehmer sprachen.
Subjektive Kriterien
Schwieriger ist die Bewertung, wenn es um künstlerische Leistungen geht. Hier kommen aufgrund des Gegenstandes subjektive Momente ins Spiel. Kunst ist nun einmal nicht berechenbar. Und dennoch gibt es auch dafür Kriterien. Eines ist die Popularität, das andere die innovative Leistung eines Kunstschaffenden, das heißt die Originalität der von ihm entwickelten neuen Darstellungs- und Ausdrucksweisen.
Als der 1878 im Enkendorf geborene Adolf Glattacker 1933 zum Ehrenbürger der Gemeinde Wehr ernannt wurde, gab dessen Popularität den Ausschlag. Das Werk des Künstlers war in breiten Bevölkerungskreisen Südbadens und der Nordschweiz bekannt. Glattacker war als Illustrator Hebels und Markgräfler „Engelimoler“ populär geworden. Sein volkstümlich-humoristischer Malstil beschränkte sich jedoch bewusst auf eine konventionelle Formensprache. Ästhetische Experimente spielten in seinem Werk keine Rolle. Im Gegenteil. Glattacker grenzte sich von der Moderne und ihren Herausforderungen ab. Stattdessen setzte auf alemannische Volkstümlichkeit.
Die Wehrer Gemeinderäte ehrten mit Adolf Glattacker jedoch nicht nur eine berühmte Persönlichkeit des alemannischen Kulturraums. Schaut man genauer hin, erkennt man hinter ihrer Entscheidung eine tiefere Ebene. Glattackers Leben war für die damaligen Wehrer von exemplarischer Bedeutung. Er war der erste akademisch geschulte, freischaffende, erfolgreiche und zudem weithin bekannte und beliebte Künstler, den Wehr hervorgebracht hatte. Deshalb war man stolz auf ihn und in gewisser Weise auch auf sich selbst.
Der Werdegang
Der Weg des Enkendörfler Buben von der Wehrer Volksschule über die Karlsruher Lithografenlehre und Kunstgewerbeschule, die Akademie Julien in Paris bis hin zum populären „Engelimoler“ bewies in der Person des Künstlers: Wehr hatte nicht nur buntgewebte Hemdenstoffe und unverwüstliche Webteppiche zu bieten, sondern auch Kunst und Kultur. Insofern ist die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Adolf Glattacker ein kultureller Meilenstein auf dem Weg Wehrs vom Industriedorf bis zur Stadterhebung 1950.
Bei wichtigen Anlässen dabei
Wie auch immer man Glattackers kunstgeschichtliche Bedeutung aus heutiger Sicht einschätzen mag: Es steht fest, dass sich der Künstler bis zu seinem Tod 1971 immer eng mit seinem Heimatort verbunden gefühlt hat. Glattacker zeigte bei allen großen Ereignissen Präsenz – mögen es die Stadterhebung 1950, die Einweihung der Sportstätten 1953 oder die großen Vereinsjubiläen der 1950 und 1960er Jahre gewesen sein. Der kleine Mann mit der wallenden Mähne, dem Zauselbart, dem schwarzen Anzug und der Weste mit Taschenuhr war immer mit dabei.

Heute ist es still geworden um den alemannischen „Engelimoler“ aus dem Enkendorf. Die Kunstgeschichte ist über ihn hinweggegangen, auch weil das Alemannische als regional verankerte Form des Kulturbewusstseins an Bedeutung eingebüßt hat. Doch das Schicksal des Vergessenwerdens teilt Adolf Glattacker auch mit Carl Denk, Albert Rupp und Georg van Eyck. An das Leben und die Leistungen dieser überragenden Persönlichkeiten zu erinnern, ist eine Verpflichtung geblieben, die uns jene, die sie einst zu Ehrenbürgern wählten, hinterlassen haben.