Maria Schlageter

Es waren die 1950er Jahre, als aus dem Süden der USA ganze Menschenströme nach Norden zogen, dorthin, wo die Industrie aufblühte, dorthin, wo man hoffte gutes Geld zu verdienen. Die überwiegend afroamerikanische Südstaaten-Bevölkerung brachten Zukunftsträume und eine Kultur mit, den Blues, der für sie ein Lebensstil ist. Und so verlagerte sich das Epizentrum dieser Musikbewegung vom Mississppi-Delta nach Chicago, der Stadt, die für eine ganze Musiker-Generation prägend sein sollte.

Ignatz Netzer (links) und Klaus „Mojo“ Kilian eröffneten den Konzertabend mit eigenwilligen Gitarren, neuen Schuhen und ...
Ignatz Netzer (links) und Klaus „Mojo“ Kilian eröffneten den Konzertabend mit eigenwilligen Gitarren, neuen Schuhen und überzeugender Leidenschaft für die rauen Ursprünge des Blues. Bild: Maria Schlageter

Gute 7000 Kilometer von der pulsierenden Metropole der Ostküste entfernte, gelang dem Verein Jazz und Blues in Südbaden nun eine kleine Sensation: Im Rahmen des dritten Dreyland Blues Festivals holten sie gleich zwei Originale des Chicago Blues nach Wehr. Tail Dragger und Willie Buck brachten am vergangenen Samstagabend das Lebensgefühl des Blues hierher und ließen die vielen Gäste für ein paar Stunden die stumme Ernsthaftigkeit des alltäglichen Lebens vergessen.

Das könnte Sie auch interessieren

Sozusagen als Vorboten eröffnete das Duo Ignaz Netzer und Klaus „Mojo“ Kilian den Abend, die mit Gitarre, Mundharmonika und Gesang an die rauen Grundzüge des Blues erinnerten. Ihnen reichten auch wenige Ausdrucksformen, um die Sorgen, die Verzweiflung aber auch die Hoffnung, die die Seele des Blues ausmachen, zu vermitteln. Netzer und Kilian bestachen mit ihrer ehrlichen und unverblümten Art Musik zu machen. Sie überzeugten mit ihren eigenwilligen Interpretationen von Gershwins „Summertime“ oder dem „Backwater Blues“ von Bessie Smith. Die Musiker sind Sympathieträger, die wissen Ernst und Humor richtig zu platzieren. Ihnen zuzuhören war ein genussvoller Spaß, der aber auch zum Nachdenken anregte.

Während also das Duo ein Gespür für das Lebensgefühl des frühen 20. Jahrhunderts der Südstaaten bewies, war der Auftritt von Tail Dragger und Willie Buck eine Zeitreise, schließlich haben sie den Chicago Blues gelebt. Vom ersten Ton war der Talschulplatz in Bewegung. Die alten Herren des Blues machen diese Art von Musik, bei der immer mindestens ein Fuß mitwippen muss. Begleitet wurden sie von der europäischen The Buddy Waters Tribute Band, einem sechsköpfigen Ensemble, das es wie wohl kaum ein anderes verstand, Dragger und Buck ein musikalisches Gerüst zu geben.

Ihr Konzert war ein Gesamtkunstwerk. Die Songs flossen ineinanderüber. Die verschiedenen Musikstränge wuchsen immer mehr zusammen. Es folgten Soli, die sich immer weiter steigerten, während der Grundbeat, der Herzschlag, nie still stand. Und dazwischen immer wieder Dragger und Buck, die mit 78 und 82 Jahren eine unermüdliche Energie und Leidenschaft zeigten. Sie taten schlicht das, was sie schon ihr Leben lang tun: Musik, die von und mit den fühlenden Menschen entsteht. Denn der Blues – das wurde an jenem Abend überdeutlich – wird niemals alt.