Vor 110 Jahren erreichten zwei junge Wehrer die 80 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro gelegene Kleinstadt Barra do Piraí. Dort hatte der Textilfabrikant Kiffler eine Weberei eingerichtet und deutsche Fachkräfte angeworben.

Unter ihnen waren die Möbelstoffweber Franz Trefzger und Karl Döbele. Sie hatten ihren Beruf bei Neflin und Rupp (seit 1921 Wehra AG) erlernt und sich am 27. Juni 1914 auf die weite Reise gemacht.

Barra do Piraí um 1917: Karl Döbele und Franz Trefzger (von links) mit einem Kollegen in der Mitte. Beide waren Webmeister in der ...
Barra do Piraí um 1917: Karl Döbele und Franz Trefzger (von links) mit einem Kollegen in der Mitte. Beide waren Webmeister in der Weberei Kiffler. | Bild: Reinhard Valenta

Neue Informationen über das Leben von Karl Döbele

Über Franz Trefzger wurde schon mehrfach berichtet. Nun liegen Informationen über Karl Döbele vor. Dieser kam am 10. Oktober 1880 im Wehrer Ortsteil Flienken zur Welt. Nach dem Besuch der Volksschule trat er mit 14 Jahren in die Weberei Neflin und Rupp ein und wurde Möbelstoffweber. Er engagierte sich in der Sanitätskolonne des Arztes Georg Kerner und war auch Mitglied der Feuerwehr. Doch seine große Passion war die Imkerei.

Als Anfang August 1914 in Europa der 1. Weltkrieg ausbrach, waren er und Franz Trefzger gerade in Barra do Piraí angekommen und traten ihre Meisterstellen in der Weberei Kiffler an. Nach der Vertragszeit von vier Jahren trennten sich ihre Wege. Karl zog, wie Rita Döbele berichtet, in das Innere des Bundesstaates Rio de Janeiro. Dort machte er die Imkerei zu seinem Beruf. Er pflanzte Obstbäume, züchtete Bienen und eröffnete ein Lebensmittelgeschäft zum Verkauf seiner Produkte. Bald wurde sein Honig als der beste weit und breit gerühmt.

Der Wunsch nach einem Besuch in der Heimat blieb unerfüllt

Döbele gründete eine Familie. Wie aus Briefen an seine Verwandten in Wehr hervorgeht, plante er 1939 einen Besuch in der Heimat. Seine Schwester Maria besorgte ihm die nötigen Papiere beim Bürgermeisteramt in Wehr. Doch der Ausbruch des 2. Weltkriegs legte die Reiseplanung auf Eis. Nach dem Krieg erkrankte Döbele schwer. Die Heimreise blieb ein Traum. Sein ältester Sohn Josef äußerte 1952 höchste Besorgnis in einem Brief an seine Tante Maria, die auch die Ehefrau des Schuhmachermeisters Franz Josef Büche war. Dessen Geschäft lag in der Merianstraße. Wenig später verstarb Karl Döbele. Bis zu seinem Tod hatte er unter Heimweh gelitten, seine Heimat jedoch – im Gegensatz zu Franz Trefzger – nie mehr wiedergesehen.

Ein Abschiedsfoto 1914: Karl Döbele vor dem Haus seines Vaters im Flienken.
Ein Abschiedsfoto 1914: Karl Döbele vor dem Haus seines Vaters im Flienken. | Bild: Reinhard Valenta

Mit den Dokumenten ihres Großvaters erhielt Rita Döbele die deutsche Staatsbürgerschaft. Die pensionierte Mathematik-Lehrerin lebte mit ihren beiden Kindern in Florianópolis im Bundesstaat Santa Catarina und träumte, wie ihr Großvater, von einer Reise nach Wehr. Von Florianópolis ist es nicht weit bis Blumenau, einem Schwerpunkt der deutschen Einwanderer in Brasilien.

Die pensionierte Mathe-Lehrerin Rita Döbele vor ihrem Haus in Florianópolis.
Die pensionierte Mathe-Lehrerin Rita Döbele vor ihrem Haus in Florianópolis. | Bild: Reinhard Valenta

Die Stadt wurde 1850 von dem Apotheker Hermann Blumenau gegründet und zieht wegen ihrer Fachwerkhäuser viele Touristen an.

Wehrs Ehrenbürgerin und Geigerin Anne-Sophie Mutter ist auch in Brasilien ein Vorbild

Übrigens wurde im Jahr 2024 in Brasilien die Ankunft der ersten Deutschen vor 200 Jahren gefeiert. Ein „Wehrer“ spielt bei den Feierlichkeiten eine tragende kulturelle Rolle. Es handelt sich um den Dirigenten Helder Trefzger, einen Enkel Franz Trefzgers. Er dirigiert das Orchester des Bundesstaates Espírito Santo in Brasilien und wirkt derzeit bei Ausstellungen, Vorträgen und Radiosendungen über die deutsche Einwanderung mit. Im Radiosender CBN Vitória spricht er regelmäßig über klassische Musik. Er schrieb unlängst, dass er am 2. Juli 2024 eine Sendung über „200 Jahre deutsche Einwanderung nach Brasilien“ gestaltet habe. Als Hommage spielte er Kompositionen von Bach, Händel, Beethoven, Brahms und Richard Strauss.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch Helder Trefzger träumt von einem Besuch in der Heimat seiner Vorfahren. Dabei schwingt der Gedanke an Wehrs Ehrenbürgerin und Geigerin Anne-Sophie Mutter mit. Von ihr war Trefzger schon als 18-jähriger Student der Violine ein großer Fan. „Mein Traum ist es, sie eines Tages zu einem Konzert als Solistin mit meinem Orchester einzuladen. Leider haben wir nicht die finanziellen Mittel dafür“, so der heutige Dirigent.