Grenzach-Wyhlen – Kaum ein anderes Thema, von den kriegerischen Auseinandersetzungen abgesehen, beschäftigt die europäische Politik derzeit so sehr wie die Frage der Bewältigung der Migration. Ein Thema, das in seiner Brisanz die Gesellschaft zu spalten droht. Ein Blick in die Geschichte kann die Problematik zwar nicht lösen, aber vielleicht dazu beitragen, die Diskussion zu versachlichen, denn bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Weltgeschichte im weitesten Sinn als Migrationsgeschichte. Sie beginnt mit Abraham und Mose zieht sich weiter über die großen Völkerbewegungen des Mittelalters bis in unsere Zeit.

Auch Menschen aus Grenzach suchten im 18. Jahrhundert ihr Glück vor allem in Siebenbürgen und im 19. Jahrhundert vorrangig in den USA und in Südamerika. Damals wie heute war und ist es ein tiefer Einschnitt, und manche mögen die Werber, oder wie wir heute sagen, die Schlepper, verflucht haben, als sie eingepfercht in primitive Schiffe unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen wochenlang auf dem Atlantik unterwegs waren. Die Akten, die Jakob Ebner, von 1934 bis 1941 katholischer Pfarrer in Grenzach, im Generallandesarchiv Karlsruhe durchforstet und veröffentlicht hat, geben anschaulichen Aufschluss über die Motivationen und Schicksale der Grenzacher Auswanderer.

Zu lesen ist darin von August Neuschütz, der seine Vermögensverhältnisse verbessern und sich in Amerika an einer schweizerischen Käserei beteiligen wollte. Problemlos bekam er von der Gemeinde die dazu nötige Erlaubnis. Am 11. März 1857 konnte in der Zeitung von einer Gruppe von elf Mitgliedern gelesen werden, die „die heimischen Ufer des Rheins mit denen des La Plata im fernen Südamerika schweren Herzens“ vertauschen wollte. Sie bestiegen unter großer Anteilnahme der Bevölkerung einen Nachen bis Basel, wo sich die Auswanderer an der Schifflände sammelten, um von dort auf dem Landweg nach Le Havre oder flussabwärts nach Bremen weiter zu reisen. Besonders pikant sind die Fälle, die nicht so glatt über die Bühne gegangen sind. So ist man bei der Gemeindeverwaltung erleichtert, dass der alle Tage betrunkene, arbeitsscheue Weber J. F. Haberer sich für eine Auswanderung entschlossen hat. Auch im Fall des Jakob Geimüller stimmt die Gemeinde gerne zu und unterstützte den Auswanderungswunsch auch finanziell. „Ich zweifle nicht daran“, schreibt Geimüller in seinem Gesuch, „dass meine Heimatgemeinde durch den Aufwand, welchen sie für mich in die polizeiliche Verwahranstalt jährlich zu bezahlen hat, lieber zu meiner Fortschaffung nach Amerika verwenden wird, wodurch sie mich für alle Zeit los wird.“ Ähnliches galt für die Diebin Barbara Häberlin. Auch wenn die Gemeindekasse mit Ausgaben überlastet sei, welche von unehelichen Kindern herrühre, sei es wünschenswert, wenn man von einem Individuum solcher Sorte befreit würde, so die Gemeinde. Man wolle dieses finanzielle Opfer nicht scheuen.

Dies galt auch bei Elisabeth Weis, die zum vierten Mal im „Zucht- und Arbeitshaus Kißlau“ einsaß. Sie und ihre Schwester Verena wurden, so berichtete sie selbst, von Kindesbeinen an von ihrer Mutter zu Diebstahl und Raub angehalten. Obwohl sie, so bezeugte der Hausgeistliche der Anstalt, zu den fleißigsten und geschicktesten Weberinnen der Anstalt gehörte, konnte sich der Pfarrer nicht vorstellen, dass ihr „trotziger, sich unter kein göttliches und menschliches Gebot beugender Sinn“ gebrochen werden könne. Die Staatskasse und die Gemeinde teilten sich die Kosten für die Reise und waren erleichtert, als die Ausreise von Elisabeth 1859 begann. Ihre Schwester Verena wanderte vier Jahre später aus.

Der 68 Jahre alte Seidenweber und Witwer Johann Guhl wollte dagegen vermutlich nur deshalb auswandern, um seinem 17 Jahre alten Sohn und seiner 16-jährigen Tochter eine bessere Zukunft zu bieten.