Im ehemaligen Gasthaus Adler ist schon lange kein Leben mehr. Doch nun, an einem Montagmorgen Ende Februar, ist dessen Schicksal endgültig besiegelt: Das langjährige Traditionsgasthaus wird abgerissen. Zuständig ist dafür Vorarbeiter Simon Groß, der sich mit seinen Kollegen der Abrissfirma gegen acht Uhr ans Werk macht.
Da zuvor die Radolfzeller Straße voll gesperrt wurde, hat der Baggerführer genug Platz. Er sitzt in einem 45 Tonnen schweren Gerät und bewegt nur ganz leicht dessen Joystick. Schon setzt sich die riesige Zange an dem Baggerarm in Bewegung. Behutsam nagt das überdimensionierte Gebiss am „Adler“-Giebel und später an der Fassade.
Knapp zwei Stunden später fehlt schon ein großer Teil des Daches, alte Holzbalken und Fachwerk werden sichtbar. Wer genau hinschaut, erkennt sogar einen Streifen Tapete sowie blaue Kacheln und einen Handtuchhalter. Offenbar hat Simon Groß eines der Badezimmer des Hotels freigelegt.

Immer wieder knabbert die Baggerzange am Mauerwerk. Kaum berührt sie das Gasthaus, stürzt Gestein in die Tiefe. Simon Groß hat leichtes Spiel. „Der Bagger drückt bis zu 100 Tonnen zusammen und er kann rund 15 Tonnen Gewicht heben“, erklärt er stolz. „Ich habe auch die alten Allensbacher Brücken wegen der B33-Baustelle abgebrochen, das war zäh“, sagt der Vorarbeiter. „Aber der ‚Adler‘ wehrt sich nicht.“

Einzelne Teile werden getrennt
Fast schon liebevoll hebt die Baggerzange einen alten Holzrahmen aus dem Geröll, will sie in Richtung Müllcontainer hieven. Doch das Fenster ist so morsch, dass es zerbricht. Simon Groß sortiert noch vor Ort die schweren Teile mit seinem Bagger: Heizkörper auf einen Haufen, große Steine auf einen anderen Haufen und Holz in die Mulde.
„Bis vor fünf, sechs Jahren mussten wir für die Entsorgung des Materials noch bezahlen, aber inzwischen bekommen wir Geld dafür“, sagt der Vorarbeiter. „Deshalb dürfen wir auch keine Teile verschenken, obwohl die Leute immer danach fragen.“
So auch in Allensbach: Eine Dame möchte vom Baggerführer wissen, ob er für sie ein altes Fenster mit Griff aufheben könne. Das benötige sie für ihre Therapieausbildung. Andere Schaulustige interessieren sich eher für das schwere Gerät. Gegenüber der Baustelle haben sich ein paar Neugierige versammelt, darunter Karl-Heinz Tonn mit seiner Enkelin auf den Schultern.

Er wuchs in Kaltbrunn auf und zog als 20-Jähriger nach Allensbach. „Das Gasthaus Adler habe ich noch im Betrieb erlebt, aber da war ich sehr jung“, sagt Tonn. Dass das leerstehende Gebäude nun verschwindet, findet er gut. „Man kann nicht nur am Alten hängen“, meint er. „Das Leben geht weiter.“
Auch Helmut Rothmund steht am Straßenrand. Er wuchs im Haus gegenüber auf, Mitte der 1970er-Jahre feierte seine Familie im „Adler“ seinen Weißen Sonntag. Ab und zu habe er als Kind auch sonntags rüber ins Gasthaus gehen müssen, um seinem Vater am Stammtisch zu sagen, dass das Essen zu Hause bald fertig sei. Dass der Adler abgerissen wird, finde er eigentlich gut. „Es war kein schöner Anblick mehr“, meint Rothmund.
Renate Hipp kam ebenfalls aus Neugier vorbei. „Das sieht ja wahnsinnig aus“, kommentiert sie den Abriss und macht ein Foto. Ihre drei Enkel verfolgen gebannt, wie der Bagger sich vorangräbt. „Jetzt hoffen wir, dass was Schönes in der Ortsmitte gebaut wird“, so Hipp.

Kinder feuern den Bagger an
Überhaupt haben die jüngsten Zuschauer besonders viel Spaß: Die Elefantengruppe des Kinderhauses St. Nikolaus macht einen Ausflug zur Baustelle. Die Drei- bis Sechsjährigen kreischen laut, als ein großes Stück des Gebäudes in die Tiefe fällt. Bevor sie den Rückzug antreten, feuern sie den Bagger im Chor an: „Reiß es ab, reiß es ab!“

Rund zwei Wochen später soll der „Adler“ dem Erdboden gleichgemacht sein. Anschließend muss das Material untersucht werden, damit klar ist, welche Schadstoffklassen vorliegen und was wo entsorgt werden muss. Ralf Volber vom Ortsbauamt beziffert die Kosten für den Abriss auf 166.000 Euro. In den vergangenen drei Wochen wurden bereits Störstoffe wie Gipsplatten und Schilfdecken entfernt. Dies eingerechnet, belaufen sich die Kosten auf rund 200.000 Euro, so Volber.

Wenn das Material abgeholt wurde, ist Zeit für einen Neubeginn an dieser Stelle. Die Sparkasse Reichenau will hier, wie der SÜDKURIER bereits mehrfach berichtete, eine neue Filiale mit Wohnungen in den oberen Geschossen errichten, auch Gewerbeflächen sollen entstehen.
Ortsbauamtsleiter Frank Ruhland sagt vor Ort: „Wir werden mit dem Abriss den Zielen der Sanierungssatzung gerecht, weil das Ortszentrum aufgewertet und das Grundstück vernünftig genutzt wird.“ Die Gemeinde habe zuvor eine Beweissicherung in den Nachbarhäusern durchgeführt, um feststellen zu können, ob dort Schäden entstehen.
Anwohner Herbert Ehinger, der viele Stunden im Gasthaus Adler verbrachte und etwas wehmütig auf diese Zeit zurückblickt, schaut ebenfalls dem Bagger zu. „Vielleicht entsteht hier ja später neben den Wohnungen auch wieder ein Treffpunkt“, sagt der 85-Jährige. „Dazu würde ich nicht Nein sagen.“