Der Anblick am Seeufer könnte nicht unterschiedlicher sein: Anfang Februar 2023 wiegen die kleinen Wellen an den Ufern von Bodman-Ludwigshafen vor sich hin, während vor 60 Jahren alles zu Eis erstarrt war. Damals herrschte die bisher letzte bekannte Seegfrörne, die sich über den ganzen Bodensee erstreckte. In früheren Jahrhunderten ein regelmäßiges Ereignis, doch seither fehlten die notwendigen Wetterverhältnisse, zu denen auch kühle Vormonate gehören.
Das Jahrhundertereignis begann ganz langsam im Ende Dezember 1962, als der See bei Markelfingen komplett zufror. „Das ist der Auftakt der Bodensee-Gfrörne, die fast drei Monate dauern soll und die längste in der Geschichte dieser Naturereignisse seit Menschengedenken ist“, heißt es in der Chronik vom großen Eis in der SÜDKURIER-Broschüre „Das große Eis“, die 1963 erschien und vor wenigen Jahren nachgedruckt wurde.
Die Eisfläche wuchs immer mehr und mehr
In den Folgemonaten des Winter 1962/63 wurden immer mehr Teile des Bodensees zu Eis. „Die Bucht zwischen Ludwigshafen und Bodman beginnt sich sehr rasch mit einer Eisdecke zu überziehen, der Motorbootbetrieb zwischen den beiden Seegemeinden musste eingestellt werden“, berichtete der SÜDKURIER am 24. Januar 1963.
Zwei Tage später war die Eisfläche dort fünf Quadratkilometer groß und ein Mann wagte die Seeüberquerung: „Ein junger Mann aus Bodman hat auf Schlittschuhen, eine Leiter vor sich her schiebend, den Überlinger See zwischen der Landestelle Bodman und dem Bahnhof Ludwigshafen überquert. Während am Seeufer zwischen Bodman und der Marienschlucht bereits Eisflächen weit in den See herausragen, ist an der gegenüberliegenden Seite die Eisflächenbildung jetzt noch sehr gering.“ Die Behörden warnten zu jenem Zeitpunkt noch, da das Eis noch nicht offiziell freigegeben war.

Irgendwann gingen immer mehr Menschen aufs Eis – sogar samt Auto. Der Stockacher Franz Martin war einer von ihnen und erzählte davon im Jahr 2018 im Rahmen der Serie „Gedächtnis der Region“, die damals die 60er-Jahre im Fokus hatte. Er selbst war mit seiner Familie während der Seegfrörne mit dem Auto, einem R4, auf dem Eis. Er sei mit dem Wagen auf einer Rampe in Ludwigshafen auf die Eisfläche gefahren.

Eisfest mit 7000 Menschen am See-Ende
Zu den Höhepunkten der Seegfrörne am See-Ende bei Bodman-Ludwigshafen gehörten Anfang Februar ein Eisfest und Ende Februar die Fasnacht auf dem Eis. „Rund 7000 Menschen halten sich auf der riesigen Eisfläche auf, 2500 heiße Würstchen werden verkauft“, fasst die SÜDURIER-Chronik zu dem Eisfest zusammen.
Und im Bericht in der SÜDKURIER-Lokalausgabe hieß es damals: „Nach Auskunft der Metzger hätte noch weit mehr verkauft werden können, aber es gab ringsherum keine Würste mehr.“ Die Menschen wanderten über die Eisfläche zwischen den Orten. „Es gab die größten Menschenansammlungen dort, wo sich gerade die Musikkapelle Ludwigshafen aufhielt. Manchmal war es den Eisaufsehern nicht mehr geheuer und sie mussten die Besucher immer wieder auffordern weiterzugehen“, so der Artikel. Im Stockacher Stadtarchiv gibt es zahlreiche Fotos des Stockacher Fotografen Gustav Hotz, der an Fasnacht das närrische Treiben auf dem gefrorenen See fotografierte.

Im Lauf des März 1963 war das Naturschauspiel schließlich vorbei. „Da hat das Eis gekracht und alles ist auseinandergebrochen“, erzählte der Franz Martin im „Gedächtnis der Region“.