Frau Bieler, Sie engagieren sich schon seit Jahren im Jugendgemeinderat. Wie kam es dazu?
Ich bin tatsächlich schon seit Januar 2013 dabei. Damit bin ich in unserem Gremium „die Alte“ (lacht). Als ich zum ersten Mal gewählt wurde, war ich 15 – das Mindestalter für den Jugendgemeinderat liegt bei 14 Jahren. Die damaligen Jugendgemeinderäte hatten vor der Wahl in meiner Schule geworben. Ich habe mich eigentlich schon immer gerne engagiert. Und die Art und Weise, wie sie die Arbeit im Jugendgemeinderat damals vorgestellt haben, hat mich überzeugt. Ich habe mich dann dazu entschlossen, es einfach mal auszuprobieren. Es hat auch direkt geklappt – ich wurde gewählt.
Wie läuft eine solche Wahl denn genau ab?
Wir haben vom Gemeinderat die Auflage, dass mindestens 20 Prozent der wahlberechtigten Jugendlichen in Engen zur Wahl gehen müssen. Zudem müssen wir mindestens 15 Jugendliche finden, die sich zur Wahl stellen. Beides ist leider schwierig. Letztes Mal hatten wir Glück und unsere Mühen haben sich gelohnt: Es haben sich 27 Jugendliche zur Wahl gestellt und die Wahlbeteiligung lag bei 25 Prozent. Die nächste Wahl wird im Januar 2019 stattfinden. Jeder Engener Jugendliche, der zwischen 1999 und 2005 geboren ist, darf daran teilnehmen. Im Schulzentrum werden am Wahltag, der meist an einem Freitag ist, in der unteren Mensa Wahlkabinen aufgestellt. Am Sonntag darauf gibt es dann auch für Jugendliche, die nicht mehr in Engen zur Schule gehen, die Möglichkeit, ihre Stimme im Rathaus abzugeben.
Der Jugendgemeinderat soll die Interessen von Engens Jugend vertreten. Wie bekommt man denn heraus, was sich Jugendliche wünschen?
Unsere Sitzungen sind alle zwei Monate und öffentlich. Dazu sind alle Jugendlichen eingeladen. Schade ist, dass sich andere Jugendliche nur selten trauen, an unseren Sitzungen teilzunehmen und mit zu diskutieren. Ansonsten kann man uns aber auch über Facebook oder über unsere Homepage schreiben, wenn man ein Anliegen hat. Das war zum Beispiel bei der Skater-Anlage so, die 2014 eingeweiht wurde. Einige Jugendliche haben uns damals geschrieben und tragen bis heute Wünsche und Verbesserungsvorschläge an uns heran. Der Jugendgemeinderat geht aber auch bewusst auf Jugendliche zu. Wir waren zum Beispiel schon in den Schulen und haben nachgefragt, was die Schüler interessiert. Trotzdem muss man sagen, dass es grundsätzlich schwierig ist, an Jugendliche ranzukommen. Oft äußern sich die, die sich sowieso schon engagieren. Ich bin mir auch sicher, dass es in Engen Jugendliche gibt, die immer noch nicht wissen, dass wir überhaupt einen Jugendgemeinderat haben.
Liegt das fehlende Interesse vielleicht daran, dass es jungen Menschen in Engen einfach gut geht? Was fehlt ihnen denn?
Ich glaube, es gibt immer etwas, was einzelnen Gruppen noch fehlt und verbessert werden könnte. Mit der Skater-Anlage sind wir ja zum Beispiel sehr, sehr gut gefahren. Die wird mittlerweile wahnsinnig gut angenommen. Und auch die Stadt ist stolz, dass sie sich das mit auf die Fahnen schreiben kann. Was in Engen fehlt? Generell würde ich sagen: Es gibt in Engen nur den Jugendtreff, wo sich Jugendliche treffen können. Abends wird es schwierig. Da gibt es eigentlich nur Bars, von denen die meisten ab 18 und verraucht sind. Ich kenne das von meinen Freunden und mir. Da trifft man sich meistens bei jemandem zu Hause. In Engen gehen wir nur selten weg. Und ganz generell hat die Stadt das Problem, dass es viele von hier wegzieht, sobald sie erwachsen sind.
Sie selbst studieren im fünften Semester und nehmen jeden Tag zwei Stunden für die Fahrt nach Konstanz und zurück auf sich. Warum? Was hält Sie in Engen?
Vieles. Ich spiele zum Beispiel Handball beim TV Engen, gehe in den Chor und babysitte gerne. Ich hänge an den Kindern und sie glaube ich auch an mir. Außerdem habe ich meine Freunde und meine Familie hier um mich herum.

Sie studieren Englisch und Politik auf Lehramt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Politik-Studium und Ihrer Arbeit für den Jugendgemeinderat?
Eine Verknüpfung besteht beispielsweise darin, dass ich später als Lehrer auch versuchen muss, Jugendliche für politische Themen zu motivieren. Letztlich ist es das ja, was wir im Jugendgemeinderat versuchen: Jugendliche zu erreichen.
Wie gut gelingt Ihnen das?
Zugegeben, es ist echt schwierig. Aber, was immer hilft, ist, wenn man die Leute kennt. Wenn man weiß: Hier könnte ein gewisses Interesse an einem bestimmten Thema bestehen. Wichtig ist auch, dass man die Leute ein bisschen bearbeitet (schmunzelt). Wenn man nicht gleich aufgibt, kann man es schaffen, andere zu motivieren und sie für etwas zu begeistern. In meinem Studium habe ich gelernt: Man sollte niemandem etwas aufzwingen. Aber es ist wichtig, die Menschen zu einer politischen Entscheidungsfindung zu befähigen.
Was begeistert Sie selbst an der Politik?
Politik betrifft unser tägliches Leben, alles was uns umgibt. Und wenn man da kein grundsätzliches Interesse hat, kann man auch nicht mitentscheiden. Es gibt natürlich viele Kritiker, die sich oftmals aber nur minimal informieren und dann über manche Dinge zu schnell urteilen. So möchte ich nicht sein. Ich möchte mich richtig informieren und mir dann eine eigene Meinung dazu bilden, wie gewisse Themen auf politischer Ebene behandelt werden und wie ich darüber denke.
Und wie informieren Sie sich über politische Themen?
Morgens lese ich den SÜDKURIER (schmunzelt). Ansonsten informiere ich mich hauptsächlich über das Internet. Des Öfteren diskutiere ich auch mit meinen Kommilitoninnen über aktuelle Geschehnisse.
Erwachsene werfen Jugendlichen gerne mal das Adjektiv "politikverdrossen" an den Kopf. Ist da aus Ihrer Sicht etwas dran?
Gewissermaßen schon. Man sieht ja bei der Arbeit im Jugendgemeinderat, wie schwer es heute ist, Leute zu finden, die sich engagieren wollen. Natürlich weiß ich nicht, wie es früher war. Ich glaube aber, dass der Informationsbezug ein anderer war. Das Internet und Fake-News haben Einfluss: Die Leute lesen falsche Informationen und verlieren dadurch Vertrauen in die Politik. Durch das Internet wird begünstigt, dass die Leute einen Raum bekommen, in dem sie ihren Unmut kundtun können. Dies ist beispielsweise auch immer wieder in einer Engener Facebook-Gruppe der Fall. Einige Beiträge in dieser Gruppe sind nicht wirklich konstruktiv. Ich würde mir wünschen, dass sich die Leute die Zeit nehmen, sich mal eine Stunde in eine Gemeinderatssitzung zu setzen und sich wirklich darüber informieren, was passiert. Das soll nicht heißen, dass Kritik grundsätzlich etwas Schlechtes ist, aber man sollte sich zuerst ausreichend über die Hintergründe die zur Entscheidung beigetragen haben informieren, bevor man einfach über diese urteilt.
Könnten Sie sich vorstellen, einer politischen Partei beizutreten?
Das ist im Moment die Frage – nächstes Jahr sind ja Gemeinderatswahlen. Im Engener Gemeinderat gibt es aktuell die UWV und die CDU. Auf beiden Seiten besteht Interesse daran, dass ich kandidiere. Aber ich habe mich noch nicht entschieden. Interesse an einer Kandidatur hätte ich grundsätzlich schon. Ich möchte meine Entscheidung bewusst treffen, auch mit der Berücksichtigung meines Studiums.
Als Vorsitzende des Jugendgemeinderats sind Sie eingeladen, an Gemeinderatssitzungen teilzunehmen. Welche Unterschiede beobachten Sie dort im Vergleich zum Jugendgemeinderat?
Wir haben keine Parteizugehörigkeit. Ansonsten geht es im Gemeinderat natürlich um Themen größerer Bedeutung und um größere Summen. Deshalb dauert die Entscheidungsfindung länger. Bei uns geht es etwas lockerer zu. Gleichzeitig herrscht bei uns aber manchmal noch eine größere Zurückhaltung. Teilweise muss ich bei den einzelnen Mitgliedern nachfragen, wie sie über ein Thema denken. Im Gemeinderat melden sich die Mitglieder bei Fragen oder geben ihre Meinung selbstständig kund.
Sie selbst haben kein Problem damit, Ihre Meinung zu äußern und vor größeren Gruppen zu sprechen?
Es macht mir Spaß – und trotzdem bin ich jedes Mal super nervös. Aber, selbst wenn ich es manchmal anders empfinde, kriege ich danach meistens positives Feedback. Deswegen würde ich sagen: Es kostet ein gewisses Maß an Überwindung, aber es funktioniert.
Engen ist der einzige Ort im Umkreis, der einen Jugendgemeinderat hat. Finden Sie das schade?
Grundsätzlich finde ich es positiv, einen Jugendgemeinderat oder eine ähnliche Form der Jugendvertretung zu haben. In Rielasingen-Worblingen gibt es einen Jugendrat, der themenbezogen arbeitet. Das kann von Vorteil sein. Zum Beispiel fahre ich selbst nicht auf einer Skater-Anlage und kenne mich mit diesem Thema logischerweise nicht so gut aus. Umgekehrt glaube ich aber, dass das Gremium allein durch den Titel schon mehr politisches Gewicht hat. Wir sind eine Institution – und das ist für die Verwaltung, mit der man zu tun hat greifbarer als eine lose Gruppierung. Ich hoffe, dass unser Jugendgemeinderat in der Zukunft weiter bestehen kann und sich auch Jugendliche in anderen Gemeinden in einem solchen Gremium engagieren möchten. Auch für die einzelnen Gemeinden hat es einen Vorteil, wenn es eine Jugendvertretung gibt, da laut Paragraph 41a GemO Jugendliche bei allen sie betreffenden Belangen miteinbezogen werden müssen und dies somit gewährleistet werden kann.
Zur Person
Karen Bieler ist 21 Jahre alt und in Engen aufgewachsen. Hier machte sie zunächst ihren Realschulabschluss, danach wechselte sie an das sozialwissenschaftliche Gymnasium Marianum Hegne, wo sie 2016 ihr Abitur ablegte. Seit mittlerweile fünf Semestern studiert Karen Bieler in Konstanz Politik und Englisch auf Gymnasiallehramt. Im Jugendgemeinderat von Engen engagiert sich die Studentin seit 2013. Zwei Jahre nach ihrem Eintritt übernahm sie den Vorsitz des Gremiums. In ihrer Freizeit spielt die 21-Jährige gerne Handball, singt im Chor und trifft sich mit ihren Freunden in Engen.