Mitte März sollen die ersten Stolpersteine in Engen verlegt werden. Zu den ersten Nazi-Opfern, denen der Künstler Gunter Demnig mit Kopfsteinpflaster aus Messing gedenken will, gehören der Arzt Dagobert Rynar, seine Partnerin Edith Kaffe und der Kaufmann Sally Guttmann, die alle drei jüdisch waren und in der Breitestraße wohnten und arbeiteten.

Textilhändler Sally Guttmann

Sally Guttmann hatte ein gut gehendes Textilkaufhaus in Singen in der Scheffelstraße und eine Filiale mit Wohnung in Engen. Damit zählte er zu den größten Textilverkäufern im Bodenseeraum, wie Wolfgang Kramer im Rahmen seiner Recherche zu möglichen Opfern des Nationalsozialismus in Engen herausfand. Bereits im Jahr 1928 suchte Guttmann nach Mietern für Laden und Wohnung in Engen. „Vermutlich entsprach der Geschäftsverlauf nicht immer den Erwartungen“, schlussfolgert Kramer.

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Spätestens ab 1933 brach bei Guttmann die Nachfrage der Kunden aufgrund des ab April 1933 geltenden Judenboykotts entscheidend weg. Die Leute hatten schlicht Angst „beim Juden zu kaufen“, schreibt seine Witwe Helene Lola Guttmann später. 1934 verkaufte Sally Guttmann das Haus schließlich, vier Jahre später das Stammhaus in Singen. 1938 floh er mit seiner Frau nach Ecuador, wo er 1954 starb. Ein Stolperstein auf Höhe der Breitestraße 10 soll künftig an den jüdischen Kaufmann erinnern.

Dagobert Rynar und Edith Kaffe

Direkt gegenüber, in der Breitestraße 5, lebte und arbeitete der Arzt Dagobert oder Dago Rynar von 1931 bis 1937. Er stammte aus dem damals preußischen Posen, das heute Teil von Polen ist. Rynar diente im ersten Weltkrieg, studierte Medizin in Berlin und Freiburg. Zudem war er ein „herausragender Cellist und Pianist, aber er war auch Musikwissenschaftler“, so der ehemalige Kreisarchivar Kramer.

Edith Kaffe arbeitete bei Rynar als medizinische Assistentin. Den beiden gelang 1937 die Flucht in die USA, wo Rynar 1969 starb. Er war ein von den Menschen in Engen sehr geschätzter Arzt, ergaben die Recherchen Kramers. Dennoch konnte ihn das nicht vor der Verfolgung durch die Nazis schützen. 1933 verlor er im Zuge des Judenboykotts seine kassenärztliche Zulassung. Die Engener kamen trotzdem und bezahlten ihn privat.

Widersacher im selben Haus

Doch es gab auch Widersacher. Zeitzeugen berichteten Wolfgang Kramer, wie übel ein Zahnarzt im selben Haus dem Arzt mitspielte, indem er dessen Praxiseingang mit einer Hakenkreuzfahne verhängte. Auch Rynar selbst hielt das schlechte Verhältnis zum Zahnarzt schriftlich fest und verwies darauf, dass er dessen Kind nach einem Sturz später das Leben rettete.

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1937 wurde der Arzt wegen angeblich vorgenommener Abtreibungen, die streng verboten waren, verhaftet. Nach drei Wochen wurde er aus Mangel an Beweisen aber wieder freigelassen. Dago Rynar zögerte nicht und floh zu seiner Lebensgefährtin in die USA, die Deutschland schon 1936 verlassen hatte.

Nachdem der SÜDKURIER über den Vortrag Kramers zu den Engener NS-Opfern im Juli berichtet hatte, meldete sich eine Tochter des Zahnarztes. Die damals Vierjährige erinnert sich heute an ein gutes Verhältnis mit Dago Rynar und bestätigt, dass der Arzt ihren Bruder gerettet habe.

Dieses Beispiel zeigt, wie schwierig die Aufarbeitung, beziehungsweise Beschäftigung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus noch heute ist. An die aus Engen geflohenen Edith Kaffe und Dago Rynar soll mit einem Stolperstein vor dem Haus in der Breitestraße 5 gedacht werden.