Das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ trifft, überspitzt gesagt, was Andrea Maier-Nöth durch ihre Arbeit und Forschungen auf dem Gebiet der Ernährung bei Kindern weiß. Die Hohenfelserin ist Professorin an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und Ernährungsexpertin. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Ernährung von Kindern.
Sie erklärt, dass es im Erwachsenenalter sehr schwer sei, wenn man als Kind nicht viele unterschiedliche Geschmacksrichtungen kennen und mögen gelernt habe. Sie arbeitet bereits seit 25 Jahren in diesem Bereich, macht zum Beispiel Weiterbildungen und Projekte in Kindergärten.
Die Weichen für das spätere Leben
Die Ernährung in der Kindheit stelle die Weichen für das spätere Leben. Daher sei es wichtig, von Anfang an abwechslungsreiches Essen kennenzulernen. Zur Einführung von Beikost bei Babys weiß Andrea Maier-Nöth, dass noch überholte Ansichten kursieren und dies in Deutschland ganz anders gehandhabt werde als in anderen Ländern.
Es sei noch zu weit verbreitet, dass Babys beziehungsweise Kleinkinder, die an Beikost gewöhnt werden, tagelang dasselbe bekämen, um zu testen, ob sie dieses Lebensmittel wirklich vertragen. Es sei daher wichtig, nicht nur Karotten oder Pastinaken zu geben. „Man weiß es, aber es erreicht die Familien nicht“, erläutert die Mutter eines Sohnes.
In anderen Ländern läuft es anders
Sie zieht auch verschiedene Vergleiche, um zu verdeutlichen, wie wichtig die Abwechslung für Kinder sei: Ein Erwachsener würde nicht jeden Tag dasselbe essen. In anderen Ländern wie zum Beispiel Frankreich sei es normal, dass es jeden Tag etwas anderes zu essen gebe, und in Simbabwe werde dem ersten Brei Erdnuss beigemischt. Aber in Deutschland würde dennoch aus Angst vor Allergien tagelang auf denselben Brei gesetzt.
Doch bei der Arbeit von Andrea Maier-Nöth, die selbst Mutter eines Sohnes ist, geht es auch um die Ernährung in der Kindheit allgemein: Ihr sei es ein wichtiges Anliegen, die Ernährungslehre in die Grundschule zu integrieren. Kinder sollten die Möglichkeit haben, genussvoll essen zu können. Die Vorbildfunktion von Erwachsenen sei essenziell. Die Kinder könnten lernen, fast alles zu mögen, wenn die Eltern es ihnen zeigen und vorleben. Außerdem betont sie: „Jedes Kind ist von Mutter Natur aus in der Lage, richtig zu essen.“
Warum süßer Geschmack bevorzugt wird
Ein Baby habe mehr Geschmacksknospen auf der Zunge als ein Erwachsener: Bei Babys seien es rund 10.000, bei Erwachsenen dagegen nur etwa 3000 bis 5000. Kinder müssten spielerisch herangeführt werden und alle Lebensmittel kennenlernen. Dabei sei es normal, dass Bitteres zunächst abgelehnt werde, weil der Geschmack bitter von Natur aus instinktiv mit Gift und Gefahr verbunden sei. Es handle sich um einen Schutzmechanismus.
Gleichzeitig sei die Muttermilch süßlich, weshalb Speisen dieser Art bevorzugt würden. Aber wenn es viele süßliche Lebensmittel gebe, mache es dies später schwer, säuerliche oder bittere Sachen zu mögen. Der Geschmack sei überwiegend eine Prägung.

Wenn es darum gehe, dass Kleinkinder viele Nahrungsmittel kennenlernen, sei die Wiederholung wichtig, erklärt die Expertin. Sie habe im Rahmen ihrer Forschungen mit vielen Eltern darüber geredet, wie oft diese ihren Kindern zum Beispiel eine neue Gemüsesorte angeboten hätten. Manche hätten schnell aufgegeben, weil das Kind zunächst abgelehnt habe. Andrea Maier-Nöth sagt, dass man es im Abstand von ein paar Tagen sechs- bis achtmal versuchen müsse – also dranbleiben und erneut versuchen.
Lernen, den Geschmack zu mögen
Die Angst vor dem Neuen sei ein fundamentaler Überlebensinstinkt und daher normal, erläutert Andrea Maier-Nöth. Doch mit einer spielerischen Herangehensweise könnten die Kinder lernen, den Geschmack eines Lebensmittels zu mögen. Es sollte dabei jedoch kein Druck ausgeübt werden. Die Professorin weiß auch aus Erfahrung, dass es Unterschiede bei der Erziehung gibt: „Mütter haben beim ersten Kind Angst. Beim zweiten oder dritten Kind wird es einfacher.“
Neben dem abwechslungsreichen Essen gehört auch das Thema Sättigungsgefühl zu den Forschungen von Andrea Maier-Nöth. Sie macht unter anderem Videoanalysen von Kindern und Müttern beim Essen. Die Angst, dass Kinder zu wenig essen, sei oft unbegründet, sagt sie und erklärt: „Mütter denken oft, dass Kleinkinder 130 bis 200 Gramm Brei essen müssen, und geben oft zu viel. Aber Kinder hören auf, wenn sie satt sind.“
Zwei Extreme bei Eltern
Und ist durch die Corona-Pandemie bei den Eltern und der Ernährung in der Familie etwas anders geworden? Es gebe inzwischen zwei Extreme, erzählt die Professorin: Eltern, die bewusst auf die Ernährung achten würden, und Eltern, die nur Fertigprodukte benutzen. Bei Baby- und Kleinkindnahrung in Gläschen weist sie darauf hin, dass es bei denen mit verschiedenen vermischten Lebensmitteln nicht möglich sei, den einzelnen Geschmack zu erkennen.
Zur Person
Andrea Maier-Nöth lebt mit ihrer Familie seit vier Jahren in Hohenfels. Sie hat einen Doktortitel in Gesundheitspsychologie und Ernährungswissenschaften. Sie hält eine Professur an der Hochschule in Albstadt-Sigmaringen. Ihr Schwerpunkt ist gesundes und genussvolles Essen bei Kleinkindern. Außerdem ist sie Geschäftsführerin der Eat-Health-Pleasure GmbH und erarbeitet laut ihrer Vita präventive Ernährungskonzepte, um die Gesundheit von Schwangeren und Kleinkindern bis ins Erwachsenenalter zu fördern. Andrea Maier-Nöth hat wissenschaftliche Texte sowie Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht und Bücher geschrieben. Einer ihrer Beiträge ist zum Beispiel „Geboren als Gourmet. Die Vielfalt auf dem Teller schult den Gaumen“ in einem Sonderheft von „Leben und Erziehen“ im Jahr 2017. Sie schreibt momentan an einem neuen Buch, das voraussichtlich im Herbst erscheint. Privat ist die Mutter eines Sohnes unter anderem im Lauftreff der Gemeinde Hohenfels aktiv und gehört zum Vorstand des Naturbads in Kalkofen.
Infos im Internet:
http://www.eat-health-pleasure.com