Ida Sandl

Die Tat und die Ermittlungen

15. Mai 2016: Spaziergängerin Beatrice Friedrich ist wie jeden Tag mit ihrer Hündin unterwegs, als sie beim Tägerwiler Strandbad am Ufer Teile eines bedeckten Körpers sieht. Sie ruft mehrmals, bekommt keine Antwort, läuft zum Ufer. Eine Obduktion ergibt, dass die Frau aus Konstanz aufgrund massiver Kopfverletzungen nach Gewalteinwirkung gestorben ist.

16. Mai 2016: Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen und der Kantonspolizei Thurgau führen rasch auf die Spur eines 59-Jährigen. Zeugen hatten ihn und die Frau am Strandbad gesehen. Der Mann war mit einem spanischen Mietwagen unterwegs. Es ergeht ein internationaler Haftbefehl.

17. Mai 2016: Die spanische Polizei nimmt den 59-Jährigen am Flughafen in Barcelona fest. Er wollte nach Teneriffa, wo der ehemalige Konstanzer lebt. Vertreter von Thurgauer Staatsanwaltschaft und Polizei reisen nach Spanien. Die Schweizer Behörden beantragen eine Auslieferung des Beschuldigten.

7. Juli 2016: Die spanischen Behörden geben dem Antrag aus der Schweiz statt und liefern den 59-Jährigen an die Staatsanwaltschaft im Thurgau aus.

8. Juli 2016: Erstmals vernimmt der verfahrensleitende Staatsanwalt den Tatverdächtigen. Dieser gesteht die Tötung der 38-Jährigen. Später widerruft er sein Geständnis. Er sitzt seither in Haft. Ende März 2019 beginnt die Verhandlung vor dem Bezirksgericht Kreuzlingen.

1. Prozesstag: Der Angeklagte. Oder: Geld, Sex und Widersprüche

Der 62-jährige Konstanzer wird vor Gericht befragt – und bestreitet jegliche Schuld. Seine Blitz-Reise nach Kreuzlingen damals kann er aber nicht schlüssig erklären.

Gefühle seien da gewesen, aber von Liebe würde er nicht sprechen.

Das sagte der 62-Jährige über die Frau, die er am Pfingstsonntag 2016 in Tägerwilen getötet haben soll. Es war eine seltsame Beziehung zwischen den beiden, so viel ist klar nach dem ersten Prozesstag. Der Beschuldigte ist ein großer Mann mit grauen Haaren, deutlich hinkend. Auf alle Fragen von Gerichtspräsidentin Ruth Faller hat er eine Antwort, manchmal kommt sie gedehnt, öfter schulmeisterlich. Immer rational, ohne Emotionen.

17 Jahre war er mit der Ergotherapeutin zusammen, sie kam wie er aus Konstanz, war 21 Jahre jünger.

Ihm sei nur der Sex wichtig gewesen, sie habe mehr gewollt.

Er gibt ihr die Schuld dafür, dass seine Frau ihn mit dem gemeinsamen Sohn verlassen hat. Damals lebte er noch in Ermatingen, später zog er nach Teneriffa, wegen einer Stelle als Zahntechniker. Doch der Chef ging pleite, das hatte er zuvor schon in Konstanz erlebt. Von da an jobbte er in einer Bar, und die Geldsorgen wurden größer.

Auch seine Freundin soll ihm Geld geliehen haben.

Als er sich 2011 von ihr trennen wollte, forderte sie es zurück. "Du kleine Schlampe", schrieb er ihr in einer Mail, "Du hast mir nie etwas bedeutet."

Dann die unerwartete Wende.

Kurz vor ihrem Tod wollte der Beschuldigte seine Freundin plötzlich heiraten. Als sie Ja gesagt habe, sei er so erfreut gewesen, dass er spontan beschlossen habe, sie zu treffen. Er sei darum von Barcelona in die Schweiz gefahren, habe sie am 16. Mai 2016 im Restaurant Kuhhorn getroffen, sie hätten die Papiere unterschrieben und an der Grillstelle der Seerheinbadi bei strömendem Regen kurz Sex gehabt. Dann sei er ins Auto gestiegen und zurück nach Barcelona gefahren, um das Formel-1-Rennen live zu erleben.

Mit ihrem Tod habe er nichts zu tun. Das müsse ein Unbekannter getan haben.

An diese Version glaubt der Staatsanwalt nicht. Die Anklage lautet auf Mord. Der Beschuldigte habe die Frau "skrupellos und mit außergewöhnlicher Grausamkeit" getötet. Mit einem stumpfen Gegenstand habe er ihr auf den Kopf geschlagen und sie dazu heftig gewürgt.

Für die Sicht des Staatsanwalts spricht, dass der Mann bereits im August 2015 auf seine Freundin eine Risiko-Lebensversicherung abgeschlossen hat. Als Begünstigten ließ er sich selber eintragen. Dem spontanen Entschluss zum Besuch in Kreuzlingen widerspricht auch, dass er bereits zwei Monate vor der Tat auf Google Maps die Route nach Kreuzlingen ausgesucht hat.

Seltsam auch, dass der Beschuldigte einen Tag nach der Tat Polizeimeldungen aus Kreuzlingen gegoogelt habe.

Zwei Tage nach der Tat wurde der Beschuldigte in Barcelona verhaftet. Er habe sich widerstandslos festnehmen lassen. Bei der ersten Befragung in der Schweiz gestand er noch die Tat. Sie hätten Sex gehabt und sie habe "so hässlich gelacht", da habe er Rot gesehen.

Später widerrief er die Aussage.

Gestern begründete er sein Geständnis damit, dass er seinen Sohn habe schützen wollen. Die Ermittler hätten ihm gesagt, man habe ein DNA-Mischprofil unter den Fingernägeln der Toten gefunden. Dies könne von ihm oder von seinem Sohn stammen. Da er es nicht gewesen sei, habe er Angst gehabt, sein Sohn könne in Verdacht geraten: "Ich musste kurzfristig etwas erfinden."

Der Staatsanwalt beantragt eine lebenslange Freiheitsstrafe mit Verwahrung. Für die psychiatrischen Gutachter ist der Beschuldigte "eine kaltblütige manipulative Persönlichkeit". Damit endet der erste Prozesstag.

2. Prozesstag: Der Verteidiger. Oder: Der große Unbekannte

Der Verteidiger im Badimord von Tägerwilen hat seine Hausaufgaben gemacht. Er will einen Freispruch für seinen Mandanten und eine Haftentschädigung von 200 Schweizer Franken pro Tag.

Am zweiten Prozesstag präsentiert er seine Version.

Der 62-jährige Beschuldigte könne seine Freundin schon vom zeitlichen Ablauf her nicht getötet haben. Sonst hätte er innerhalb von zehn Minuten mit dem Auto vom Restaurant Kuhhorn zur Seerheinbadi fahren, zur Grillstelle laufen, mit ihr ein bisschen Sex haben, sie töten und die Leiche zum Seeufer schleifen müssen. Die Zeitschiene rekonstruiert der Verteidiger aufgrund von Aussagen des Kuhhorn-Wirtepaares und der Handyortung auf der Rückfahrt seines Mandanten von Tägerwilen nach Barcelona.

Gemäß Anklageschrift sollen der Beschuldigte und seine Freundin das Restaurant Kuhhorn am Pfingstsamstag 2016 gegen 22.10 Uhr verlassen haben. Die Wirtin will um 22.30 Uhr Schritte in Richtung Rhein gehört haben. Ihr Mann habe zuvor die Freundin allein Richtung Rhein laufen sehen.

Zu dieser Zeit habe sich das Handy des Beschuldigten bereits in Höhe Hefenhausen bei Wäldi eingeloggt. Um 23.01 Uhr sei er aufgrund der mobilen Daten schon in Glattbrugg gewesen.

Es müsse also einen unbekannten Dritten geben, der die Frau getötet hat.

Sein Mandant wäre körperlich gar nicht in der Lage, die Tote vom Grillplatz an das Ufer zu schleppen und in den See zu werfen. Es seien auch keine Schleifspuren entdeckt worden.

Für den Staatsanwalt und die Gutachter sei sein Mandant von Anfang an der Schuldige gewesen, kritisiert der Verteidiger. Dass er sein Geständnis widerrief, habe der Staatsanwalt "krass ignoriert". Die Unschuldsvermutung sei "mit Füßen getreten", ein anderer Täter nie in Betracht gezogen worden. Der Beschuldigte habe ohnehin nie direkt zugegeben, seine Freundin getötet zu haben.

Der Staatsanwalt widerspricht: Der Beschuldigte habe sehr wohl gestanden. Er habe auf die Frage, ob er seine Freundin getötet habe, gesagt: "Ja, machen wir reinen Tisch." Der Tathergang lasse sich auch nicht auf die Minute genau rekonstruieren, da das Wirtepaar nur ungefähre Zeitangaben machen könne.

In seinem Schlusswort beteuert der Angeklagte seine Unschuld.

"Ich frage mich, wie das passieren konnte", liest er von einem Zettel ab. Die Heirat wäre "eine Win-Win-Situation" gewesen: "Sie hätte den Mann bekommen, den sie liebte und ich die Frau, die ich sehr mochte." Damit endet der 2. Prozesstag.

3. Prozesstag: Die Richter. Oder: Ein Leben lang

Sie hing an ihm, hätte sich ein Kind gewünscht. Er brauchte sie für Sex – und damit sie seine Rechnungen bezahlt.

So sieht es die Präsidentin des Bezirksgerichts Kreuzlingen. "Mehr als mögen war nicht drin", sagt sie am Mittwoch bei der Bekanntgabe des Urteils: lebenslängliche Freiheitsstrafe plus Verwahrung wegen Mordes. Die Richter folgten damit den Anträgen des Staatsanwalts.

Da der Beschuldigte sein anfängliches Geständnis widerrufen hatte, wurde in Kreuzlingen ein reiner Indizienprozess geführt. An dessen Ende steht für die Richter aber ohne Zweifel fest, dass der Mann seine 38-jährige Geliebte getötet hat. Der genaue Tathergang kann wohl nie restlos geklärt werden.

Der Beschuldigte habe seine Freundin "schamlos ausgenutzt und zum Schluss erschlagen und im Wasser liegen gelassen", sagt die Gerichtspräsidentin. Ihr Tod habe ihm ein finanziell sorgenfreies Leben sichern sollen. Etwa zehn Monate vor der Tat hatte er eine Risiko-Lebensversicherung über eine halbe Million Euro auf sie abgeschlossen.

Außerdem sei sie ihm lästig gewesen, da er auf Teneriffa eine Lebensgefährtin hatte.

Das Gericht stützt sich dabei auf Handy- und Videodaten und wertet diese stärker als die Aussagen der Zeugen, die mehrfach korrigiert worden seien. Demnach hatte der Beschuldigte genug Zeit für die Tötung seiner Geliebten: "Er brauchte dazu nicht länger als 20 Minuten." Der Mann sei auch körperlich in der Lage gewesen, den toten Körper ans Ufer zu schleppen.

Geht es nach den Kreuzlinger Richtern, dürfte der Beschuldigte sein restliches Leben in Haft verbringen. Zusätzlich zur lebenslangen Freiheitsstrafe haben sie eine Verwahrung angeordnet.

Er sei ein Mensch, der seine eigenen Bedürfnisse über Normen, Regeln und die Bedürfnisse anderer stellt.

Der Gutachter kommt zum Schluss, dass auch im Alter "eine massive Rückfallgefahr" bestehe. Da der Beschuldigte nicht psychisch krank sei, könne eine Therapie bei ihm nicht viel bewirken.

Lebenslängliche Freiheitsstrafe bedeute "ein Leben lang", erklärt die Gerichtspräsidentin. Diese sei Tätern vorbehalten, die aufgrund ihrer Gefährlichkeit aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Verurteilte hat zehn Tage Zeit, um Berufung einzulegen.

Ob er dies machen werde, konnte sein Verteidiger nach der Urteilverkündung noch nicht sagen.