Burhan Sadiku ist schlank. Er hat schwarze Haare und trägt einen Bart. Für ein Bild möchte der 27 Jahre alte Mann nicht posieren. „Ich will kein Mitleid“, erklärt er. „Ich will einfach nur, dass die Leute sehen, dass nicht richtig ist, was hier passiert“, sagt Sadiku und deutet zur Wohnzimmerwand. „Nicht richtig“ trifft es. Die Raufasertapete hat eine gräuliche Färbung angenommen. Die Wand, aus der – wie der 27-Jährige berichtet – vor ein paar Tagen faustgroße Schimmelpilze wucherten, wird von einer dröhnenden Belüftungsanlage getrocknet.

Auch im Bad brummt eine Maschine. Hier hat der Wasserschaden seinen Ausgang genommen, der Burhan Sadikus Leben durcheinander gewirbelt hat.

Die Fließen sind zum Teil bereits herausgerissen. Acht Wochen sollen die Bauarbeiten in der Wohnung andauern, berichtet Burhan Sadiku.
Die Fließen sind zum Teil bereits herausgerissen. Acht Wochen sollen die Bauarbeiten in der Wohnung andauern, berichtet Burhan Sadiku. | Bild: Hanser, Oliver

Die 19 Quadratmeter große Einzimmerwohnung, die er sich mit seiner Frau teilt, ist zu einer Baustelle verkommen. Und das ausgerechnet jetzt, da sein Sohn das Licht der Welt erblickt hat. „Am 12. Juli hat meine Frau unseren Sohn Aaron zur Welt gebracht. In wenigen Tagen werden die beiden das Krankenhaus verlassen müssen – und wir wissen nicht, wohin.“

Sadiku weiß, welche Auswirkungen Schimmel auf die Gesundheit haben kann. In keinem Fall möchte er seinen Sohn dieser Gefahr aussetzen. „Aber uns wurde gesagt, dass die Reparaturen acht Wochen dauern werden. Ich habe nicht das Geld, um in dieser Zeit in ein Hotel zu ziehen.“ 250 Euro: Das sei alles, was er noch übrig habe, um den Rest des Monats über die Runden zu kommen. „Ich habe Angst um meine Familie“, schildert er, während er in dem engen Zimmer auf- und abläuft.

Wie konnte es soweit kommen?

Burhan Sadiku stammt aus dem Kosovo und hat als Kind den Krieg in seiner Heimat miterlebt. In Deutschland lebt er seit 2014. Zunächst habe er bei einer Fast-Food-Kette eine Ausbildung absolviert, danach als Schichtleiter bei einem anderen Gastronomiebetrieb in der Konstanzer Innenstadt gearbeitet. „Dort gab es aber keinen bezahlten Urlaub und wenn man krank war, keinen Lohn“, erzählt er. Heute ist Sadiku in einer Spielbank tätig und trägt für den SÜDKURIER Zeitungen aus.

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Auch als am 9. Juli die Handwerker bei der Familie läuteten, sei er gerade arbeiten gewesen. „Meine Frau spricht nicht so gut deutsch, sie hat einfach die Tür geöffnet“, berichtet er. Daraufhin installierten die Männer die Trocknungsgeräte, von denen es in einer Mitteilung der Hausverwaltung heißt: „Es ist nicht auszuschließen, dass Geräusche auch außerhalb der betroffenen Wohnungen zu hören sind.“ Die betroffenen Wohnungen, von denen die Rede ist, sind das Zuhause der Sadikus und die darunter liegende Ferienwohnung.

„Unsere Vermieterin hat uns inzwischen mehrfach aufgefordert, unsere Wohnung zu räumen“, sagt Burhan Sadiku. Die einzige Wohnalternative, die ihm das Bürgerbüro angeboten habe: der Umzug in eine Obdachlosenunterkunft. „Aber mein Sohn ist ein Säugling. Das kann ich ihm doch nicht zumuten!“

„Uns sind die Hände gebunden“

Rathaussprecher Walter Rügert erklärt, dass aus Sicht der Stadt tatsächlich nur ein Umzug in die Unterkunft in der Bücklestraße infrage komme. „So leid uns das tut, können wir im Moment nichts anderes zur Verfügung stellen“, sagt Rügert. „In anderen Jahreszeiten hätten wir vielleicht die Möglichkeit, die Familie in einer Ferienwohnung einzuquartieren bis die Arbeiten in ihrer Wohnung abgeschlossen sind. Aber jetzt im Sommer ist leider alles dicht.“

In seiner Notlage hat sich Burhan Sadiku auch an verschiedene Beratungseinrichtungen gewendet, berichtet er. Niemand habe ihm helfen können. Brigitte Hauß von Profamilia bestätigt, dass es nicht einfach ist, Menschen, die plötzlich ihr Zuhause verlieren, Alternativen anzubieten.

„Es kommt nicht selten vor, dass ein Partner nach einer Trennung aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen möchte, sich alleine aber keine eigene Wohnung leisten kann“, gibt sie ein Beispiel. „Uns sind da leider die Hände gebunden. Wir können Menschen in Not zwar bei der Antragsstellung unterstützen“, erklärt sie, „aber wir haben keine eigenen Wohnungen, die wir in so einem Fall zuweisen können. Keine Beratungsstelle kann das.“

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Die Aussichtslosigkeit seiner Situation macht dem 27-Jährigen zu schaffen. „Mittlerweile schlafe und esse ich kaum noch“, schildert er. „Eigentlich sollte ich ja nicht mal hier in der Wohnung sein, weil weiter die Gefahr besteht, dass ich Schimmel einatme.“

Mitgefühl mit einem Obdachlosen

Fast schon ironisch ist es, dass Sadiku schon einmal in umgekehrter Rolle in einem SÜDKURIER-Artikel vorkam. Als unser Redakteur Andreas Schuler zum Weihnachtsfest 2017 dem Obdachlosen Werner Husemann einen Besuch abstattete, war dieser gerade in ein Gespräch mit dem jungen Mann vertieft. Der damals 25-Jährige hatte Husemann Tee und einen von seiner Frau gebackenen Kuchen vorbei gebracht.

Im Winter 2017 brachte Burhan Sadiku (rechts) dem Obdachlosen Werner Husemann Kekse und Tee, heute macht er sich selbst Sorgen um sein ...
Im Winter 2017 brachte Burhan Sadiku (rechts) dem Obdachlosen Werner Husemann Kekse und Tee, heute macht er sich selbst Sorgen um sein Zuhause. | Bild: Schuler, Andreas

In jenem Jahr waren die Sadikus in ihre Wohnung in Wallhausen eingezogen. Heute, zwei Jahre später, muss sich die Familie Sorgen um ihr eigenes Obdach machen.

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