Alles fing sehr harmlos an. Vergangenes Jahr machten wir Urlaub in Südfrankreich. Auf dem Campingplatz angekommen, wogen die Palmen leicht im Wind, die Sonne schien, das Meer rauschte sanft. An unserem Bungalow lehnte ein riesiges, pinkes Ungetüm. Nach ein paar Minuten rannte ein etwa 14-jähriges Mädchen an uns vorbei und auf das Ungetüm zu.
"Ist das deins?" fragte ich. "Ja, das ist Pinky". Pinky war ein aufgeblasener Mädchentraum. Ein pink leuchtender Flamingo, deutlich größer als das biologische Original und das Mädchen selbst. Ich dachte kurz daran, irgendetwas über Plastikmüll, Weltmeerverschmutzung, Weichmacher und chinesische Massenproduktion zu sagen – was man eben so sieht in den Fernseh-Dokus. Aber die Begeisterung dieses Mädchens für Pinky hielt mich davon ab. Das, und die Tatsache, dass Pinky auf kurzen Menschenbeinen schon wieder weiter Richtung Meer lief.
Pinky war nur der Anfang
Das war vor mehr als einem Jahr in einem fernen Land. Seit diesem Sommer in Konstanz weiß ich: Pinky war nur der Anfang. Die Population an Gummitieren, sie ist explodiert. Die rot-blaue Luftmatratze aus schwerem Gummi mit Baumwoll-Bezug ist längst nicht mehr das Standardmodell, sondern allenfalls Retro. In den Strandbädern und auf dem Bodensee verbreiten sich unterdessen Einhörner, Orcas, Hummer und Krokodile. Und auf ihnen liegen nicht nur 14-jährige Mädchen. Sondern auch Erwachsene.
Die, die so einen Flamingo einfach schon immer mal haben wollten. Väter, die "sich nur mal kurz" das Gummitier ihrer Kinder ausleihen, um ein bisschen zu entspannen. Junge Frauen, die im Einhorn sitzen und für die Jura-Prüfung büffeln. Es gibt auch die kulinarische Variante: überdimensionale Pizzaschnitten, eine ganze Brezel, eine halbierte Ananas. Ich selbst habe inzwischen einen angebissenen Donut, ein Geburtstagsgeschenk.
Flamingo reiten macht eben mehr Spaß als Steuererklärung
Die erwachsenen Gummitier-Halter eint die kindliche Freude darüber, auf einem Wal im Wasser zu liegen oder sich auf einem Hummer in der Sonne zu wälzen – bevor man wieder an Land einer scheinbar aus den Fugen geratenen Welt mit unberechenbaren Autokraten und wackelnden Gewissheiten geht und seine Steuererklärung machen muss. Unter dem Stichwort "floaty" sammeln sich auf der Internet-Bilderplattform Instagram knapp 75.000 Beiträge mit Menschen auf Gummitieren und -lebensmitteln.
Vorgemacht haben es die Promis: Topmodel Bella Hadid, Heidi Klum oder Schauspielerin Reese Witherspoon zeigten sich schon lässig im Pool mit Gummitier. Frauen, die sich in der Nachfolge nur einigermaßen ähnlich elegant und mit durchgestrecktem Rücken auf so einem Gummi-Ungetüm fotografierten, bekamen jede Menge Likes und Kommentare auf den Plattformen der sozialen Medien. Aber auch Männer wie David Beckham zeigen sich mit Gummi-Getier – in Konstanz geht der Trend ja offenbar zum Schwan und Krokodil.
Wer mit seinem Gummitier Instagram-taugliche Bilder machen möchte, weiß: Elegant aussehen funktioniert nur so lange, wie man sich auch auf das Foto vorbereiten kann. Wer schon mal versucht hat, am Hörnle aus dem Wasser wieder auf die Luftmatratze zu kommen, weiß, wovon ich spreche.
Das würde zwar die Realität besser abbilden – aber elegant sieht anders aus. Und in der Praxis sollte man sich ohnehin nicht auf die schwimmende Brezel oder den Flamingo ohne Beine verlassen. Immer wieder muss die DLRG auch in den Konstanzer Strandbädern Gummitier-Halter mit dem Rettungsboot an Land bringen, nachdem sie bei starkem Wind abgetrieben waren.
Katzen im Bodensee – nur eine Frage der Zeit
Wo führt das alles hin? Schon den ganzen Sommer über rangieren pinke Flamingos und bunte Einhörner beim Onlinehändler Amazon als Bestseller. Unternehmen werben damit, dass Luftmatratzen in jeder Form und Farbe möglich sind. Die Gummitier-Evolution könnte so noch andere Ausmaße annehmen. Schafe, Kühe oder Katzen im Bodensee? Nur eine Frage der Zeit. Und wer weiß, vielleicht landet der Trend ja irgendwann wieder bei der Baumwoll-Luftmatratze. Muss nur ein Promi damit anfangen.