Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen: In 75 Fällen wurden zwischen Januar und Juli 2016 Gräber, Container oder Müllbehälter mit Parolen besprüht: „Ich hase Deutsche“, „Deutsche raus aus Syrien“, „Christ tot“, „IS“, "Frauke Petry töten", "Gauland töten", "IS-Terror komt" oder "Allah Akbar" war zu lesen.
Offensichtliche Rechtschreibfehler sollten, so die Erkenntnis des Staatsschutzes, auf einen Nicht-Deutschen schließen. An der Uni Konstanz wurden mit schwarzem Permanent-Marker verschiedene Parolen an Wände geschrieben – unter anderem wurde ein Bombenanschlag auf einen Omnibus im Mai 2016 angedroht.
Schuldunfähigkeit führt zu Freispruch
Der ermittelte Hauptverdächtige war jedoch ein 36-Jähriger Deutscher aus Konstanz mit osteuropäischen Wurzeln. Am Montag nun wurde der Mann frei gesprochen, obwohl nach Beweislage und Zeugenaussage alle Anwesenden im Landgericht Konstanz überzeugt waren: Der Angeklagte hat die Tat auch begangen. "Sie haben die Straftaten zwar begangen", sagte der Vorsitzende Richter Joachim Dospil. "Aber zum Zeitpunkt der Taten waren Sie in einem Zustand, in dem Sie als schuldunfähig gelten."
"Sie sind psychisch krank"
Damit folgte er dem Plädoyer von Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach, der dem Angeklagten "in einer Wahnwelt" sieht. Er richtet diese Worte an den 36-Jährigen: "Sie sind psychisch krank. Lassen Sie sich behandeln, sonst wird das mit einem normalen Leben nichts. Sie denken, Sie sind gesund, doch das sind Sie nicht." Paragraf 20 des Strafgesetzbuches verfestigte sich in seinen Augen: die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen.
So berichtete der SÜDKURIER im Januar 2016
Der Angeklagte wiederholte gebetsmühlenartig seinen veganen Lebensstil, seine Liebe zum Wald und seinen Traum vom Studium. Er fahre nicht mehr Bus, weil man sich schnell strafbar mache. Er äußerte Angst, dass ein Schwan ihm einen Hoden abbeißen könne. Während der Sachverständige Jan Bulla, stellvertretender medizinischer Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Forensischen Ambulanz im Zentrum für Psychiatrie Reichenau, seine Einschätzung verlas, bemalte sich der Angeklagte die Hände und Arme mit einem Edding.
Die Tatsache, dass Jan Bulla überzeugt ist, dass von dem 36-Jährigen keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, hat diesen vor einer Zwangseinweisung in eine Psychiatrie gerettet. "Er hat jahrelang durch Briefe oder Schmierereien nur gedroht, aber nie etwas gemacht." Bei einer Hausdurchsuchung seien zwar eindeutige Indizien gefunden worden, jedoch weder Waffen noch Bausätze für Bomben.
Der Forensiker sieht einen direkten Zusammenhang zwischen den Schmierereien und einem Vorfall an der Universität Chemnitz zuvor. Damals kam es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit einem Kommilitonen aus der islamischen Welt. Der damals Beteiligte sagte auch gestern in Konstanz aus und sprach von "Drohmails, die er von einem Fake Account geschrieben hat und in denen er mich und Freunde als Drecksausländer bezeichnet hat, die ihm das Studium versaut hätten".
Schwelle zum Wahn überschritten
Jan Bulla sah die Schwelle zum Wahn überschritten und einen Mann, der einen Plan verfolge: Die Bevölkerung aufhetzen, in dem er so tut, als würden Migranten Anschläge planen und christliche Dinge beschmutzen. Sein Verhalten, seine Aussagen, seine Denkstörungen, seine gereizte Stimmungslage ließen jedoch auf eine leichte bis mittlere paranoide Schizophrenie sowie eine schizotypische Persönlichkeitsstörung schließen. Letztlich der Grund für den Freispruch.
Strafgesetzbuch
- Paragraf 20 bezieht sich auf die Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen: Ohne Schuld handelt demnach, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Sachverständiger, Staatsanwalt, Verteidigung und Richter sahen dies bei dem Angeklagten gegeben – zumindest sei es nicht auszuschließen.
- Paragraf 21 bezieht sich auf die verminderte Schuldfähigkeit: Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in Paragraf 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe gemildert werden. Der Sachverständige Jan Bulla sah diesen Punkt bei dem Angeklagten mit Sicherheit gegeben. Da jedoch Paragraf 20 zum Tragen kam, musste Paragraf 21 nicht mehr berücktsichtigt werden.