Es ist der Samstag vor der Wahl in Konstanz. Birgit Albert ist voller Vorfreude. Sie ist Mitglied im Kreisvorstand der Grünen in Konstanz. Ihrer Partei werden bei Europa- und Kommunalwahl sehr gute Ergebnisse vorausgesagt. Die Klimabewegung Fridays-for-Future trägt die Grünen zu neuen Umfragehöhen.
Doch dann, am frühen Nachmittag, erreicht Birgit Albert eine Bildnachricht auf ihrem Smartphone – der Inhalt ist brisant.
Ein Bekannter hat ihr die Nachricht geschickt. Sie zeigt ein vermeintliches Grünen-Wahlplakat mit der Aufschrift „Polizei entwaffnen, für sichere Straßen“. Das Plakat sieht optisch und stilistisch auf den ersten Blick wie ein Plakat ihrer Partei aus, ist in Wahrheit aber eine Fälschung.
„Ich war entsetzt, wie viel kriminelle Energie da jemand reinsteckt, um die Wähler zu verunsichern“, sagt Birgit Albert.
Stecken Rechtsradikale hinter den Fake-Plakaten?
Die Plakate wirken professionell auf Albert, die Aktion von langer Hand geplant. Es sei ganz klar darum gegangen, die Grünen zu diskreditieren und Wähler zu täuschen, erklärt die Kreisvorsitzende der Grünen im Rückblick.
Später erfährt Birgit Albert, dass einen Monat zuvor im bayrischen Donauwörth optisch ähnliche Fake-Plakate an einer Grünen-Parteizentrale aufgetaucht sind. Dort bekannte sich die sogenannte Identitäre Bewegung (IB) zu der Aktion.
Die IB wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft, auch in Konstanz und am Bodensee ist die völkisch-nationalistische Gruppierung als Identitäre Bewegung Schwaben aktiv. Aufsehen erregte die IB in Konstanz zuletzt mit der Verhüllung der Imperia.
Wer ist der Urheber der Fake-Plakate in Konstanz? Diese Frage ist bis heute nicht geklärt.
Am Samstag vor der Europa- und Kommunalwahl geht es für den Kreisvorstand zunächst um Schadensbegrenzung; darum, einem falschen Eindruck bei den Wählern entgegenzuwirken. Mitglieder der Grünen schwärmen aus, um die Fake-Plakate zu beseitigen. Darunter unter anderem solche mit der Aufschrift: „Wir schaffen Deutsch als Amtssprache ab, um keine Nationalitäten zu benachteiligen“.
Oder Plakate mit dem Slogan „Für eine Gesellschaft ohne alte weiße Männer“ mit dem Konterfei des Grünen Bundestagsabgeordneten Jürgen Trittin.
Auf den Plakaten findet sich eine Spur nach Konstanz
Am Ende des Tages übergibt der Kreisvorstand der Grünen in Konstanz etwa 15 Plakate der Polizei. Die ist bereits seit einigen Stunden eingeschaltet, die Staatsanwaltschaft in Konstanz prüft zu diesem Zeitpunkt einen möglichen Straftatbestand.
Birgit Albert weist die Beamten der Polizei auch auf eine mögliche Spur hin. Die Plakate sind zur Befestigung auf Kartons geklebt. Auf mindestens einem dieser Kartons ist ein Etikett mit einer Lieferadresse angebracht.
Der Lieferschein auf dem Karton ist notdürftig mit einem spitzen Gegenstand verkratzt, die Adresse nur schwer leserlich.
„Felix-Wankel-Straße 10, 78467 Konstanz„: So viel lässt sich ausmachen, wie mehrere Mitglieder der Grünen auf Anfrage bestätigen. Der Seemoz berichtete über den Vorfall. Die Adresse ist keine Unbekannte in Konstanz: Hier sitzt das Unternehmen Schwarz Außenwerbung, genauer: dessen Logistikzentrum.
Laut Mutmaßungen im Internet soll bei dem auf Plakatwerbung spezialisierten Unternehmen ein mutmaßlicher Aktivist der Identitären Bewegung arbeiten.
Lokale Antifa-Aktivisten haben Dominik B. als „Ortsgruppenleiter“ der IB in Konstanz und Mitarbeiter der Firma Schwarz Außenwerbung im Internet zu erkennen gegeben. Doxing nennt sich diese umstrittene Methode, bei der Daten von etwa politischen Gegnern zusammengetragen und veröffentlicht werden.
Auf der Internetseite der Identitären Bewegung Schwaben präsentiert sich mutmaßlich jener Dominik B. gemeinsam mit anderen Aktivisten der Bewegung.
Stammt der Karton vom Gelände der Firma Schwarz Außenwerbung? Ist Dominik B. Mitarbeiter? Und ist er Aktivist der rechtsextremen IB?
Ein Gespräch mit dem Chef der Firma Schwarz
Es ist ein früher Mittwochmorgen, Christoph Schwarz, Firmenchef von Schwarz Außenwerbung, möchte Stellung nehmen. Er und sein Vertriebsleiter nehmen an einem großen Konferenztisch im dritten Stock der Firmenzentrale in Konstanz Platz.
Seine Firma habe mit den Fake-Plakaten nichts zu tun gehabt, stellt er eingangs klar. Die falschen Grünen Plakate seien weder vor Ort gedruckt noch von hier aus in Auftrag gegeben worden. Das habe eine firmeninterne Untersuchung ergeben, erklärt der Unternehmer.
Wie er sich erkläre, dass ein Etikett mit der Adresse seines Logistikzentrums auf der Rückseite der Fake-Plakate gefunden wurde?
Besagter Karton sei durch sein Logistikzentrum gegangen, sagt Christoph Schwarz. Dort kämen täglich viele Kartons verschiedenen Inhalts an, auch von der Druckerei „teNeues“, deren Name auf dem notdürftig zerkratzten Etikett auf einem der gefälschten Wahl-Plakate zu lesen ist. Die meisten dieser Kartons würden laut Schwarz nach der Bearbeitung in einem großen Recycling-Container auf dem Gelände entsorgt.
Der Karton der Fake-Plakate könne von Firmenfremden aus dem Container gestohlen worden sein, sagt der Firmenchef. Oder er könne auf dem Gelände des Recycling-Unternehmens Hämmerle, das den Container regelmäßig abhole und den Inhalt entsorge, entwendet worden sein.
Christoph Schwarz sagt im Laufe des Gesprächs auch: „Ich kann nicht für jeden Mitarbeiter die Hand ins Feuer legen.“ Und dass der Altpapiercontainer auch für sämtliche Angestellte zugänglich sei.
Der Firmenchef bestätigt, dass Dominik B. im Vertrieb des Unternehmens arbeite. Er identifiziert den jungen Mann auf dem Foto von der Internetseite der Identitären Bewegung Schwaben. B. sei ein beliebter und zuverlässiger Mitarbeiter. Dass sein Mitarbeiter in der IB Aktivist sei, habe er erst vor Kurzem erfahren.
Als Unternehmer dürfe er nicht die politische Gesinnung seiner Mitarbeiter prüfen. Er wolle sich aber über die Ideologie der IB informieren. Und, erklärt Christoph Schwarz, grundsätzlich habe sein Unternehmen nichts mit rechtsradikalem Gedankengut zu tun.
Im Gegenteil: Schwarz Außenwerbung unterstütze kulturelle und politische Initiativen, die für eine vielfältige Gesellschaft eintreten würden. Das Unternehmen habe bereits mehrfach den Christopher Street Day in Konstanz unterstützt. Und für ein Afrika Festival sei Schwarz als Sponsor aktiv.
Das Telefonat mit IB-Mitglied Dominik B.
Nach dem Firmenbesuch wird sich Dominik B. melden. In der Vergangenheit haben Aktivisten der Identitären Bewegung mehrere Interviewanfragen des SÜDKURIER ausgeschlagen.
Jetzt ist alles anders. Christoph Schwarz hat versprochen, seinem Mitarbeiter ein Gespräch nahe zu legen. Dominik B. kommt dem nach. Der mutmaßliche Rechtsextremist ruft aus dem Urlaub an, mit unterdrückter Nummer.
Er nehme das Gespräch auf, stellt Dominik B. zu Beginn des Telefonats klar. Das Interview dauert nicht lange: Ja, er sei in der Identitären Bewegung aktiv. Er trete unter anderem im Namen der IB an Infoständen auf. Eine leitende Funktion, wie im Internet behauptet, habe er aber nicht, sagt B.
Mit der Entwendung der Kartons oder den Fake-Plakaten habe er nichts zu tun, sagt er. Und andere Aktivisten der Gruppierung? Er wisse nichts davon, dass diese involviert gewesen seien. „Ich kann nicht für alle sprechen“, fügt er hinzu. Kurz darauf ist das Gespräch beendet.
Wie ist der Stand der Ermittlungen?
Die Polizei hat indes die Ermittlungen nach den Urhebern der falschen Grünen-Plakate eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Konstanz erklärt auf Anfrage per Email, dass kein Straftatbestand festgestellt werden konnte.
Am Telefon führt der leitende Oberstaatsanwalt Johannes-Georg Roth aus: Das Aufhängen gefälschter Plakate sei nicht strafbar. Wählertäuschung liege nach Paragraf 108a des Strafgesetzbuches nur dann vor, wenn der Wähler direkt bei der Stimmabgabe, also in der Wahlkabine, manipuliert werde. Es handle sich um eine Gesetzeslücke.
Auch darüber hinaus habe es keine Anhaltspunkte für Ermittlungen gegeben, der konkrete Inhalt der Fake-Plakate sei unter anderem nicht volksverhetzend.
Grünen sehen Gefahr für Demokratie
Die Grünen kommen zu einer anderen Einschätzung. Ein Jurist in den eigenen Reihen habe Strafanzeige gestellt, sagt Kreisvorstand Birgit Albert. Man sei der Überzeugung, dass Wählertäuschung nicht nur im Wahllokal, sondern auch davor stattfinden könne. Und dass der entsprechende Paragraf Spielraum lasse. Der Kreisvorstand hat kürzlich ebenfalls Strafanzeige wegen Wählertäuschung gestellt.
„Wenn da noch nicht einmal ermittelt wird und Leute, die so etwas machen, ungestraft davon kommen, dann ist da ja geradezu eine Einladung“, sagt Birgit Albert und fügt hinzu: „Nach der Wahl ist vor der Wahl.“