Ich habe es getan. Und ich fühle mich schlecht. Sehr schlecht. Als hätte ich einem Kind das Lieblingsspielzeug weg gerissen und kaputt gemacht. Woran das lag? An Mitmenschen, die mich anstarrten wie einen Aussätzigen. Ich fühlte mich erinnert an jenes Volkslied der 1980er Jahre, bei dem ein paar Gestalten auf einem Donnerbalken ihre große Sehnsucht nach Toilettenpapier in die Welt rufen. Doch der Reihe nach.
Auf dem Donnerbalken saßen zwei Gestalten. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Es gibt derzeit etwas, das man unter keinen Umständen machen sollte: Toilettenpapier kaufen. Oder Nudeln. Oder Mehl.
Und dann kam der zweite, der sich zu ihm reihte. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier
Meistens scheitert das sowieso schon am Versuch. Die leeren Regale dürfte jeder kennen. Wohl dem, der noch etwas davon findet. Oder sollte es nicht besser heißen: Leid dem, der noch etwas findet?
Und da kam der Dritte, setzt sich in die Mitte. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Nach rund drei Wochen haben wir für unseren vierköpfigen Haushalt mal wieder Toilettenpapier benötigt. Eine Packung, acht Rollen. So weit, so normal. Also auf zum Discounter.
Und da kam der Vierte, als die Sch... schmierte. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Und siehe da: Auf einer Palette liegen in der Tat rund 50 Packungen. „Heute morgen waren es noch dreimal so viele“, erklärt die nette Mitarbeiterin. „Das ist eine neue Lieferung. gestern war alles weggekauft. Die Leute hamstern, was das Zeug hält.“
Und da kam der Fünfte, der die Nase rümpfte. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Sie sei von der Marktleitung angehalten, maximal eine Packung pro Person herauszugeben. Mehr will ich ja auch nicht. Ich schnappe mir eine Box und spüre schon die ersten vernichtenden Blicke.
Und da kam der Sechste, als die Sch... kleckste. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Sie brennen wie Feuer auf meiner Haut, bohren sich wie Pfeile in meine Augen. Auf der Stirn der Menschen ist deutlich zu lesen: „Du bist also einer dieser Klopapier-Gangster, die allen anderen das Zeug wegkaufen. Schäm Dich, Du unsolidarischer Verbrecher.“
Und da kam der Siebte, als der Balken wippte. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Mir schießen tausend Gedanken durch den Kopf, aber ich bekomme keinen graden Satz heraus. Aber ich wollte doch nur... wir brauchen daheim doch wirklich... Hätte sich der Boden aufgetan, ich wäre gesprungen.
Und da kam der Achte, als der Balken krachte. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Als ich endlich die Kasse erfolgreich passiert habe, springt zu allem Überfluss ein Mann auf mich zu, schnappt meine Hand, zeigt auf das Klopapier und ruft laut: „Ich nehme Sie wegen Hamsterkausf vorübergehend fest.“
Und da kam der Neunte, als die Sch... schäumte. Und sie schrien nach Klopapier, Klopapier.
Nach wenigen Augenblicken erkenne ich meinen Peiniger: Gordon H., ein guter Freund, Konstanzer Fußball-Funktionär und Hans Dampf in allen Gassen. Wir müssen beide herzhaft lachen über diesen gelungenen Scherz, der für mich jedoch schlimme psychische Folgen hat.
Und da kam der Zehnte, brachte das ersehnte. Das ersehnte Klopapier, Klopapier.
Die umstehenden Personen nämlich wirken weniger amüsiert. Sie schauen das Papier an, dann mich. Dann wieder das Papier, dann wieder mich. Entrüstet schieben sie schließlich ihren Einkaufswagen an mir vorbei auf den Parkplatz. Wieder kann ich ihre dunklen Gedanken lesen. Ich sollte die Stadt verlassen und mich nach Brasilien absetzen. Oder Argentinien. Wenn nur die Reisebeschränkung nicht wäre.
Und dann kam der Elfte, nahm sich gleich der Hälfte. Und sie schrien nach Klopapier! Klopapier! Klopapier!
Ich will nur noch nach Hause, fühle mich wie die elfte Gestalt auf dem Donnerbalken. Wie konnte ich nur? Auf dem Weg nach Litzelstetten überlege ich mir, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. „Die anonymen Toilettenpapierkäufer“. Der Zulauf wäre garantiert riesig. Ich entschließe mich, vor dem jüngsten Gericht alles zuzugeben. Ja, Euer Ehren, ich habe zu Zeiten der Corona-Krise Klopapier gekauft. Ich gehöre bestraft.
Und dann wäre da noch dieser Name...
Das Klopapier heißt übrigens Happy End. Auf so einen Namen für dieses Produkt des täglichen Lebens muss man erstmal kommen. Glücklich war ich persönlich aber erst, als ich daheim ankam. Unverletzt und mit dem Klopapier unterm Arm. Jetzt habe ich drei Wochen wieder Ruhe.