"Du kommst nicht angemalt einfach anders an", sagt Dave Beier und lacht. "Bei der Polizei, beim Zoll, beim Schwiegervater." Der Tätowierer krempelt seine Ärmel hoch, legt damit den Blick auf seine tätowierten Unterarme frei. Es wirkt wie ein Protest. Gegen das Mustern der Leute, gegen ihre Blicke auf der Straße. "Das versuche ich den Frischlingen mitzugeben", sagt Beier.
Frischlinge, das sind die Menschen, die für ihr erstes Tattoo zu ihm ins Studio kommen. Er sagt: Ein Tattoo zu haben, sei wie mit einem schicken Auto durch eine Großstadt zu fahren. "Die einen sind skeptisch, andere neidisch." Aber alle schauen sie. Trotzdem sagt Beier: "Es ist mittlerweile entspannter geworden, weil immer mehr Menschen Tattoos tragen."
Dennoch: Lange Zeit wurden Tätowierungen als kriminell und asozial abgetan. Seitdem hat sich einiges getan. Viele Menschen tragen heutzutage die Namen ihrer Kinder, eine Zeichnung oder eine Erinnerung unter der Haut. In Großstädten wie Berlin sind sie längst keine Attraktion mehr. Aber wie reagieren Menschen in kleineren Städten wie Konstanz darauf? Uns haben tätowierte Konstanzer ihre Erfahrungen mit Vorurteilen geschildert.
Rosemarie Bernadotte, 46 Jahre
Rosemarie Bernadotte hat ihre Haare kurz und blond. Sie trägt eine schlichte schwarze Brille, etwas Farbe auf den Lippen. "Die Reaktion auf meine Tattoos ist immer die gleiche: Wie, du bist du tätowiert?", sagt Bernadotte und lacht. Sie ist Mutter von zwei Kindern, arbeitet in der Gastronomie. Ein normales Leben für eine 46-Jährige. "Für viele passt meine Lebensart nicht zu einem Tattoo."
Vor 25 Jahren hat sie sich ihr erstes Tattoo stechen lassen. Eine Jugendsünde, sagt sie heute. "Es war eine Trotzreaktion." Auch ihrer Herkunft wegen: Sie ist eine Schwester der Mainau-Bernadottes. Es kam ein weiteres auf dem Oberarm hinzu. Dort trägt sie eine große, rote Rose. Die Rose wegen ihres Namens und auch die Anfangsbuchstaben der Kindernamen sind dort verewigt. "Ich will damit zeigen, dass ich für sie eine starke Schulter bin." Ein anderes ziert mittlerweile ihre Wade.
Kein Problem in der Gastronomie
Probleme im Job gab es für sie durch die Tattoos noch nicht. In der Gastronomie seien Verzierungen mittlerweile normal. "Meine Mutter findet es aber nach wie vor nicht gut", sagt Bernadotte. Doch das ist ihr egal. "Früher war ein Tattoo kein Statement, sondern einfach doof."
David Heinkel, 54 Jahre
Bei David Heinkel wird auf den ersten Blick sichtbar, dass er tätowiert ist. Er trägt eins seiner Tattoos über seinem rechten Auge. Seit mittlerweile drei Jahren hat er das Tattoo, das er sich seiner Herkunft zuliebe gestochen hat. Sein Opa war halb Chinese und halb Samoaner. "Als Samoaner sind Tattoos im Gesicht normal", sagt Heinkel. "Aber hier ist es etwas Spezielles." Trotzdem hat der 54-Jährige sich für das Tattoo entschieden.
Er vergesse oft, dass er ein Tattoo im Gesicht habe. "Ich merke es erst dann wieder, wenn die Leute mich anstarren", sagt er. Wenn sie Heinkel dann reden hören würden, seien sie meist überrascht: "Die Leute denken nicht, dass jemand, der so aussieht, sich gewählt ausdrücken kann." Zwölf Tattoos trägt er auf der Haut. Pain steht auf seinen Fingern, sein chinesisches Sternzeichen hat er sich mit weißer Tattoofarbe an seinen Hals stechen lassen. Auch den Namen seines Hundes Taylor hat er für ewig bei sich auf dem Arm.
"Wenn ich wüsste, ich müsste mich noch auf eine Stelle bewerben, dann hätte ich mir die sichtbaren Tattoos nicht stechen lassen." Doch der Filmemacher, der auch Uhren herstellt und in Immobilien investiert, muss das nicht mehr. Seine Kunden haben mit den Tattoos keine Probleme. Bei Kursen, die er als Gastdozent an der Hochschule Konstanz gibt, schauen die Studenten ihn hingegen erst einmal erstaunt an. "Ich finde, ich sehe nicht furchterregend aus", sagt Heinkel und lacht. Ein Tattoo sei heute nicht mehr mit Straftätern in Verbindung zu bringen. "Heute sind es eher Freigeister, die sich tätowieren lassen."
Erik Merz, 47 Jahre
"Ich wollte nie sein, wie alle anderen", sagt Erik Merz. Er hat schwarze Haare, einen Rauschebart, viele Piercings zieren sein Gesicht. Anders sein, das war der Grund für seine Tattoos. 13 Stück sind es mittlerweile. "Ich habe noch nie negative Reaktionen bekommen", sagt der 47-Jährige. "Heute haben ja sogar die Bänker Tattoos unter ihrem Anzug." Eins von Merz' Tattoos zeigt seine Katze "Charly". Weitere Katzen, Drachen und Totenköpfe zieren seine Arme.
Merks Ziel ist es, dass die Arme bald voll tätowiert sind. Sein Job in der Lagerlogistik erlaubt ihm auch sichtbare Tattoos an den Armen. "Im Alltag erlebe ich eigentlich keine Vorurteile", sagt Merz. Einzig seine Eltern hätten sich an die Tattoos gewöhnen müssen: "Meine Mutter hat immer gesagt: Jetzt hast du ja schon wieder eins."
Heike Hühnlein, 53 Jahre
Bei Heike Hühnlein war schon lange der Wunsch nach einem Tattoo da. Im Alter von 25 Jahren hat sie sich ihr erstes stechen lassen. "Es hatte diesen Knast-Touch und genau das wollte ich erreichen", sagt Hühnlein heute. Ihr Vater sei fast am Durchdrehen gewesen. Das Tattoo am Oberarm missglückte.
Trotzdem hat sie sich weitere stechen lassen – am Arm und auf dem Rücken. Den verziert der Ganesha, ein indischer Kriegsgott mit einem Elefantenkopf. Vor vier Jahren hat sie mit dem Tattoo begonnen, noch immer ist es nicht vollkommen fertig. Das Tattoo am Rücken ist im Alltag nicht sichtbar. Der Kolibri und die Seerose am rechten Unterarm hingegen schon.
"Du musst dich mehr beweisen"
Ein Tattoo, das auch bei ihrer Arbeit als Verkäuferin in einem Herrenmode-Geschäft sichtbar ist. Ein konservativer Laden, sagt sie: "Da ist ein Tattoo natürlich auffällig." Offen zum Thema gemacht wurde das Tattoo aber nie. Hühnlein merkt aber einen Unterschied: "Du musst dich mehr beweisen", sagt die 53-Jährige. "Wenn ich durch meine Tattoos auffallen will, wird mir bei der Arbeit auch besonders auf die Hände geschaut."
Interesse an ihren Tattoos spüre sie vor allem bei älteren Kunden über 60 Jahren. Einige hätten schon zu ihr gesagt: "Wenn ich noch mal jung wäre, würde ich mir so etwas auch machen lassen." Als Hühnlein sich vor 28 Jahren das erste Tattoo stechen ließ, war das noch recht außergewöhnlich. "Mittlerweile", sagt sie, "sind Tattoos salonfähig geworden."