Kaffee und Karl Marx waren gestern. Die Revoluzzer von heute trinken Kakao und zitieren den Weltklimarat.

Jannis Krüßmann sitzt in einem Café am Münster nippt an an einer heißen Tasse Kakao. Zwischendrin sagt er Sätze wie: “Die junge Generation legt ihr Veto ein.”

Über Jannis und sein Fahrrad scherzen Freunde: Beide sind lang und dünn.
Über Jannis und sein Fahrrad scherzen Freunde: Beide sind lang und dünn. | Bild: Lukas Ondreka

Gemeint ist ein Veto gegen ein Weiter so in den Wohlstandsländern des globalen Nordens. Der Abiturient ist überzeugt: Wir tragen die Hauptschuld am Klimawandel, und unsere Politiker fahren den Karren gerade an die Wand.

Erlebt man den 17-Jährigen, dann weiß man: Es bewegt sich etwas. In Neu Delhi, Sydney, Paris, in Basel. Und in Konstanz.

Stellt euch vor, es ist Schule und keiner geht hin

Fridays For Future heißt die weltweite Jugendbewegung für die Umwelt. Die Schwedin Greta Thunberg hat sie losgetreten und als erste die Schule geschwänzt. Warum lernen, wenn die Zukunft auf dem Spiel steht? Warum für einen Platz auf dem Sonnendeck des Dampfers schuften, wenn der Dampfer in die falsche Richtung fährt?

Dem Ruf der jungen Schwedin sind Jugendliche wie Jannis Krüßmann in der ganzen Welt gefolgt. An dem internationalen Protesttag tauschen Schüler in mehr als 100 Ländern Füller und Schulhefte gegen Transparente und Plakate.

In mehr als 1000 Orten weltweit demonstrieren Schüler. Antonia Schütz wird in Konstanz für die Zukunft ihrer Generation marschieren.

Antonia im Garten ihrer Eltern. Hier spannt sie aus, Politik wird am Küchentisch gemacht.
Antonia im Garten ihrer Eltern. Hier spannt sie aus, Politik wird am Küchentisch gemacht. | Bild: Lukas Ondreka

Was Antonia Schütz an Greta bewundert? „Sie hebt das Thema nicht auf die emotionale Schiene, sondern nennt einfach die Fakten.“

Für die 20-Jährige, die in Augsburg Erziehungswissenschaften studiert, geht es beim Klimawandel um die Existenz, er macht ihr Angst. Auch deswegen wird sie in Diskussionen mit ihren Eltern schon mal emotional.

Dabei hat dieses Elternhaus die junge Frau, die sich den Klimaprotesten in ihrer Heimatstadt angeschlossen hat, geprägt. Als Kindergartenkind begleitet Antonia ihre Mutter auf eine Demo gegen den Irak-Krieg, politische Themen sind am Küchentisch der Familie stete Gäste. Alle vier Schütz-Kinder nehmen an den Klima-Demos teil.

Julian Kratzer, 21, Abiturient an der Wessenbergschule, geht es ähnlich.

Julian im Lokal seines Onkels, dem Weinteufele. Hier hilft er ab und an aus.
Julian im Lokal seines Onkels, dem Weinteufele. Hier hilft er ab und an aus. | Bild: Lukas Ondreka

Der Schüler, dessen eigentliche Passion das Theater ist, spricht von einer leisen Verzweiflung, die ihn in den vergangenen Jahren immer wieder beschlich, wenn es um Umwelt und Klima ging.

"Ich hatte meine Phasen, da dachte ich: es tut doch eh niemand etwas, dann ist alles egal". In einer dieser Phasen erwischte ihn Fridays For Future, Julian war sofort dabei. Es bewegt sich wieder etwas.

Kein Fleisch, kein Auto, keine Flugreise?

Am Anfang stand für Antonia Schütz ein Buch über den Klimawandel. Sie hat mit 16 angefangen, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Das Buch las sich so deprimierend, dass sie es in den Schrank stellte und nicht mehr anfasste.

Das scheint symptomatisch für diese junge Generation zu sein: Sie hat Angst. Doch sich duckt sich nicht weg. Das dicke Buch des Klimawandels lässt sich nicht mehr ohne Weiteres zurück ins Regal schieben.

Wenn sie Zeit für sich braucht, dann spielt Antonia Gitarre.
Wenn sie Zeit für sich braucht, dann spielt Antonia Gitarre. | Bild: Lukas Ondreka

Antonia Schütz hörte irgendwann auf, Fleisch zu essen. Inzwischen verzichtet die junge Frau auf Flugreisen und aufs Autofahren.

Es fange beim eigenen Handeln an. Und bei der Sprache, sagt Antonia Schütz. Klimawandel, das klinge so positiv, so steuerbar. "Klimakrise muss es heißen, und das muss die Gesellschaft so wahrnehmen", ist die Studentin überzeugt.

Dass die Lage dringlich ist, davon ist auch Julian Kratzer überzeugt. Er ernährt sich vegetarisch, jetzt wieder, nachdem er den Vegetarismus zwischendurch aufgegeben hatte. Und er versucht, Verpackungsmüll zu vermeiden, wo es geht.

Das Thema macht ihn wütend: "Verbraucher werden ja gezwungen, Lebensmittel in Plastik verpackt zu kaufen, als einzelner kann ich kaum etwas ändern".

Nicht Markt, nicht Verbraucher – die Politik kann es richten

Es reiche nicht, darauf zu warten, dass es die Verbraucher richten, sagt auch Jannis Krüßmann. Er fährt Fahrrad. Seine Eltern besitzen kein eigenes Auto, sind Mitglied in einem Car-Sharing-Verein.

Trozdem: Der Mensch sei ein Gewohnheitstier. “Ich bin auch kein leuchtendes Beispiel – ich fliege und Fleisch esse ich auch." Deshalb ist der junge Mann dafür, dass die Politik Regeln aufstellt, sich die Menschen gegenseitig in die Pflicht nehmen.

Das Motto: Verzicht nicht als Zwang, sondern als Freiheit, der Erde und den Mitmenschen nicht schaden zu müssen.

Macht eure Hausaufgaben, und wir machen unsere

Der Kohleausstieg bis spätestens 2030, das ist eine zentrale Forderung von Fridays For Future. Was für ältere Generationen die Proteste gegen atomare Aufrüstung und Atomkraft waren, ist für die jungen Menschen die Kohle.

Der Ausstieg aus der schmutzigen Energiegewinnung bis 2038, wie von der Bundesregierung angepeilt, das geht den jungen Menschen nicht schnell genug.

"Macht eure Hausaufgaben, und wir machen unsere", sagt Jannis Krüßmann.

Jannis hat Fridays For Future in Konstanz angestoßen.
Jannis hat Fridays For Future in Konstanz angestoßen. | Bild: Lukas Ondreka

Die drei Revoluzzer aus Konstanz wollen aber nicht nur Druck auf die Bundesregierung und die Lenker der Weltwirtschaft machen. Auch in Konstanz soll sich etwas bewegen.

Über Themen wie Nachhaltigkeit beim Wohnen, Radverkehr und einen gut ausgebauten und kostengünstigen Nahverkehr, eine autofreie Innenstadt diskutieren sie in der Konstanzer Orga-Gruppe von Fridays in Future bereits.

Ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister hat es schon gegeben. Dass das Globale und das Lokale zusammenhängen, ist für die Generation von Jannis, Antonia und Julian selbstverständlich.

Die Jugend beflügelt ihre Eltern

Es ist ein Konflikt zwischen Generationen. Die Befürchtungen richten sich an die Elterngeneration, und an die über-60-Jährigen. Was, wenn sie die Forderungen der Jungen nicht ernst nehmen? Wenn sie aus Egoismus gleichgültig sind gegen die Existenzangst, die die Jungen spüren?

Die Angst ist die eine Seite. Auf der anderen steht der Mut. Der Mut, Schule für politische Ziele zu schwänzen, wird durch die Dynamik belohnt.

"Unsere Bewegung hat den Effekt, dass man Lust hat, aktiv zu werden. Ich habe Hoffnung, dass sich doch noch etwas ändert", sagt Julian Kratzer.

Julian will zum Theater. Wichtig ist ihm aber jetzt: Fridays For Future – und sein Abi.
Julian will zum Theater. Wichtig ist ihm aber jetzt: Fridays For Future – und sein Abi. | Bild: Lukas Ondreka

Es ist ein Generationenkonflik, aber nicht nur. "Es gibt auch in meiner Klasse Leute, die nicht zur Demo gehen", sagt Jannis. "Weil es ihnen egal ist, weil sie ein bequemes Leben leben wollen."

Und die Jungprotestler haben Verstärkung von älteren Semestern bekommen. Viele Eltern setzen sich als "Parents for Future" für sie ein und versuchen, mit kollektiven Briefen an Schulleitungen das Fehlen der Jugendlichen im Unterricht zu entschuldigen. Protest mit Freibrief.

Dabei war das unentschuldigte Fehlen, der Regelbruch als Druckmittel notwendig, ist Julian Kratzer überzeugt: "Niemals hätten wir so viel Aufmerksamkeit bekommen, hätten wir nicht die Schule bestreikt."