Es ist kurz vor 22 Uhr, als Anja Gabor im sechsten Stock des städtischen Verwaltungsgebäudes Laube endlich mit ihrer Präsentation beginnt. Anja Gabor ist Architektin im Dienste der Stadt. Dass dieser Dienst sie zu einer Uhrzeit, zu der andere längst auf dem Sofa liegen, in den Sitzungssaal des Verwaltungsgebäudes geführt hat, liegt an einer Idee der CDU. Die Idee ist an diesem Tag Punkt 11 von 15 auf der Tagesordnung des Technischen und Umweltausschusses der Stadt Konstanz: „Einführung mobiler Gärten“. Anja Gabor hat die Idee geprüft und bewertet. Nun also die Präsentation. Die Sitzung begann vor knapp sechs Stunden, um 16 Uhr.
„Also“, Anja Gabor räuspert sich und unterdrückt ein Gähnen.
„Haben Sie heute Abend etwa noch was vor?“
Ihr Publikum ist um einen oval-runden Tisch gruppiert: Es sind die Stadträte des Technischen und Umweltausschusses. So manch einer von ihnen, der mit kerzengeradem Rücken um 16 Uhr in die Sitzung gestartet war, lümmelt jetzt, um 21.49 Uhr, im Polsterstuhl. Trotzdem sind alle in gespannter Erwartung. Die CDU, namentlich Kurt Demmler, hat einen Antrag, den man nicht anders als grün nennen kann, eingebracht. Das ist neu.
Überstunden sind Stadträte gewohnt
Überstunden sind die Stadträte gewohnt – und erwarten diese Geduld auch von anderen, die an ihren Sitzungen teilnehmen. Ein Gähner aus den Zuschauerreihen (um 21 Uhr) wird schon mal mit „Haben Sie heute Abend etwa noch was vor?“ kommentiert. Nun sitzt aber kein Zuschauer mehr in der Reihe.
Martin Wichmann ist genervt – und das nicht wegen der Uhrzeit
Noch da ist der Bürgermeister und Leiter des Ausschusses, Karl Langensteiner-Schönborn. Seine Aufforderung „Nun machen wir aber schnell“ von vor zwei Stunden wurde zwar bejaht, dann aber nicht in die Tat umgesetzt, was Langensteiner-Schönborn mit einem stoischen Lächeln ertrug. Außerdem im Saal sitzt Martin Wichmann. Er ist der Vorgesetzte von Anja Gabor aus dem Amt für Stadtplanung und Umwelt. Er fixiert mit verschränkten Armen und strengem Blick über die randlose Brille hinweg einen Punkt am Ende des Raumes. Er ist genervt. Nicht wegen der Uhrzeit.
Sondern wegen der mobilen Gärten. Einfach ausgedrückt sind das Pflanzenkübel oder andere bewegliche – mobile – Behälter, die bepflanzt und zur Verschönerung des Stadtbildes auf Brachflächen gestellt werden sollen. Betreut von Bürgern, die Lust darauf haben.
„Grundsätzlich begrüßen wir mobile Gärten.“
Anja Gabor klickt sich durch die Präsentation. „Grundsätzlich“, beginnt sie, „begrüßen wir mobile Gärten, sie sind eine super Möglichkeit für Bürger, sich zu engagieren.“ Der Antragssteller, CDU-Mann Kurt Demmler, nickt.
Anja Gabor zählt auf, wie Konstanzer schon heute die Stadt begrünen können – Nachbarschaftsgärten an der Mannheimer, ein interkultureller Garten an der Leipziger Straße, Urban Gardening am Klosterareal Petershausen, Baumspenden und vieles mehr. Dann zeigt sie, wie Mobile Gärten aussehen könnten.
Nämlich so:
Das sind die Berliner Prinzessinnengärten.
Oder so:
Das ist das Wiener Projekt „Gemeinsam Garteln.“
„Schön“, sagt ein Ratsmitglied und Kurt Demmler freut sich. Alles läuft, wie er als Ideengeber sich die Sache vorstellt. Bisher.
Doch dann macht Anja Gabor, machen ihre Präsentation und ihre Aussagen eine gefühlte 180-Grad-Wendung.
Und dann plötzlich die 180-Grad-Wendung
Sie sagt: „Die grundsätzliche Position des ASU zu mobilen Gärten auf den Punkt gebracht ... an und für sich bevorzugen wir ganz klar dauerhafte Nutzungen ... Das würden wir eindeutig vorziehen.“ Gabors Chef, Martin Wichmann, nickt, die Arme immer noch verschränkt.
Sie sagt: „Wir haben recherchiert und tatsächlich, wirklich keine Flächen gefunden, die sich eignen.“
Kurt Demmler beginnt, mit seinem Sitznachbarn zu flüstern.
Anja Gabor: „Jetzt“, sie seufzt, „haben wir die Anforderungen zusammengestellt, die mobile Gärten erfüllen müssen.“ Da ist der Richtwert für städtisches Mobiliar, Rettungswege dürfen nicht versperrt werden, jeder Kübel braucht einen Ansprechpartner und einfach so irgendwelche Kübel in der Innenstadt aufzustellen, das geht gar nicht.
Anja Gabor: „Wir würden uns vorbehalten, diese Gärten wieder zu entfernen. Wenn der Bewuchs dem Stadtbild nicht zuträglich ist.“
Ihr Vorschlag: Eine Testphase. Kübel dafür gibt es schon. „Die sehn jetzt gar nicht so schick aus“, warnt sie vor, dann zeigt sie das Bild.
Kurt Demmler schnauft. Flüstern im Publikum.
Gabor: „Je Kübel rechnen wir mit 300 Euro für das Aufstellen mit Erde, 200 Euro für das Abbauen.“
Demmler: „Wir ziehen den Antrag zurück.“
Anja Gabor sagt: „Zusätzliche Kosten würden wir nicht übernehmen: Wir pflegen die Dinger nicht, wir entfernen keinen Müll, und ..“ sie wird ein wenig lauter: „.. wir stellen auf gar keinen Fall die Wasserversorgung, weil das sprengt den Rahmen komplett, also dass kann nicht sein …“
Als sie endet, ist es still im Raum. Dann sagt Kurt Demmler: „Wir ziehen den Antrag zurück.“ In das darauf folgende Gelächter hinein sagt Anja Gabor: „Wir schlagen eine Testphase vor und stellen 5000 Euro dafür ein.“ Das wären zehn Kübel. Bekanntmachung erfolge durch eine Ergänzung des bereits existierenden Flyers: „Grün in der Stadt mit Ihrer Hilfe“.
Kein Applaus, nirgends
Die Präsentation ist nun zu Ende. Alle, die zwischen 16 und 21 Uhr präsentiert hatten, bekamen Applaus. Anja Gabor nicht.
Ausschussleiter Karl Langensteiner-Schönborn ergreift als Erster das Wort. Er sagt, beschwingt, als sei nichts gewesen: „Also, das ist ein ganz konkreter Vorschlag ...und entspricht in gewisser Weise dem Antrag der CDU.“
„Manche tun so, wie wenn das was Neues wär.“
Jemand putzt seine Nase, dann räuspert sich ein verärgerter Karl Demmler: „Manche tun jetzt so, wie wenn das was Neues wär. Das hab ich ja nicht erfunden, das wird in anderen Städten praktiziert!“ Demmler sagt: „Wir wollen die Welt ja nicht verschlechtern und wenn ...“ Der CDU-Gemeinderat sieht die anderen Stadträte an: „Wenn so ein Vorschlag mal von der CDU kommt, da könnte vielleicht der ein oder andere mal zustimmen.“
„Natürlich!“, „Ja!“, „Klar!“ – rufen die anderen Räte schnell. Und springen Demmler, dem grünen Musterschüler, bei.
Stadträtin Gisela Kusche (FGL): „Danke für den Antrag, den hätten wir auch stellen können, wir haben es nicht gemacht, ihr wart schneller, gut gemacht!“ Und in Richtung Anja Gabor: „Ich bin froh, dass der Vortrag am Schluss noch die Kurve gekriegt hat. Weil es hieß: alles sei so kompliziert und gehe nicht.“ Sie äfft nach. Zig Plätze für die Kübel kenne sie außerdem. Die Marktstätte, der Augustinerplatz oder wie wäre der Stephansplatz?
„Ein Beet in Schwarz!“ – alle lachen, bis auf zwei
Verena Faustein von der JFK sagt: „Ich freu mich schon, wenn die CDU mit gutem Beispiel vorangeht und einen solchen Kasten bepflanzt.“ Alle lachen. Bis auf Anja Gabor und Martin Wichmann, dessen Miene immer versteinerter geworden ist. Als jemand in das Gefeixe hineinruft: „Ein Beet in Schwarz!“, reicht es ihm.
Wichmann hat sich die ganze Zeit beherrscht, nun reicht es
Er löst seine Arme aus der Verschränkung und hebt den Zeigefinger. Er ruft: „Ihr lieben Leute, auch zur späten Stunde, wir erinnern uns: Beim Urban Gardening waren alle auch begeistert. Und wer hat sich am Ende darum gekümmert?“ Er sieht in verdutzte Gesichter, niemand antwortet. Und ja, man habe strenge Richtlinien in der Altstadt, wie Anja Gabor es gesagt habe, fährt er fort. Die gelten für jeden – auch für die Stadt.

Wichmann: „Diese Kübel, die Dinger stehen meistens im Weg! Unsere Skepsis ist berechtigt. Aber wir sind doch offen.“ Sein Wortbeitrag endet beim CDU-Mann Demmler: „Und ganz ehrlich, Herr Demmler, so himmelhochjauchzend wie hier alle tun – die perfekte Lösung ist es nicht! Wir wollen den Ball mal flachhalten!“
Alle stimmen zu
Ausschusschef Langensteiner-Schönborn beschwichtigt: „Wir machen ein gemeinderätliches Pflanzenbeet!“ Dann sagt er schnell, bevor jemand dazwischenrufen kann: „Wir gehen damit nicht in den Gemeinderat, wir sind selber groß. Wer dem zustimmen kann, den bitte ich um Handzeichen.“
Eine Hand nach der anderen hebt sich.
Langensteiner-Schönborn: „Einstimmig!“
Peter Müller-Neff von der FGL-Fraktion kommentiert: „Ein Erfolg der CDU! Einstimmig, das hatten wir noch nie!“
Anja Gabor packt ihre Sachen. Es ist weit nach 22 Uhr. Endlich kann sie nach Hause.
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