Journalisten haben es leicht. Selten arbeiten sie vor 8.30 Uhr. Wenn sie die Information über eine "arbeitsreiche Sitzung" des Gemeinderats erhalten – so der O-Ton aus der Stadtverwaltung -, dann verschiebt sich ihr Feierabend eben um einige Stunden nach hinten.

Was aber machen Handwerker, Mütter oder Väter, Lehrerinnen und Lehrer oder andere berufsbedingte Frühaufsteher, wenn sie nach zehn und mehr Stunden auf den Beinen zu Beginn einer Gemeinderatssitzung um 16 Uhr auf eine Tagesordnung mit 34 Punkten blicken? Im schlimmsten Fall kommen oben beschriebene Personen gar nicht in Versuchung, die Tagesordnung zu sehen – weil sie sich nicht als Kommunalpolitiker engagieren wollen oder können.

So voll war der Sitzungskalender noch nie

Jene, die das dennoch tun, können das Arbeitspensum mit stoischem Humor bewerten. So wie es CDU-Urgestein Wolfgang Müller-Fehrenbach angesichts seiner Ehrung für 40 Jahre als Stadtrat in dieser Woche tat: "Ich hoffe, dass es noch ein bisschen dauert", sagte er zum Abschluss seiner Dankesrede. Das spitzbübische Lächeln verriet: Damit hat er wohl nicht nur seine persönliche Zukunft in dem Gremium gemeint, sondern auch diesen einen Abend.

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Selbst langjährige Mitglieder des Gemeinderats sagen: So voll wie in diesen Wochen war der Sitzungskalender noch nie. Ja, sie alle erhalten dafür eine Aufwandsentschädigung von mehreren hundert Euro monatlich. Doch es sollte nicht vergessen werden, dass die Frauen und Männer ihre Freizeit in diesem Zeitraum nicht nur im Gemeinderat verbringen, sondern zudem auch in Ausschuss-Sitzungen.

Hinzu kommen noch Sitzungen zum internen Austausch der Fraktionen. Kein aufrichtiger Stadtrat soll da noch sagen können: Ja, ich lese alle Vorlagen von vorne bis hinten durch.

"Enorme Arbeitsbelastung" wurde schon angesprochen

Zuletzt war Kritik aufgekommen, weil Ausschüsse parallel stattfanden. Die Fraktionen, so hört man, waren teils an ihre Grenzen gebracht, weil sie sich nicht mehr untereinander vertreten konnten. Im nicht-öffentlich tagenden Ältestenrat, der den Oberbürgermeister unter anderem in Angelegenheiten zur Tages- und Geschäftsordnung berät, wurde die "enorme Arbeitsbelastung" bereits moniert. Diese Information sickerte nicht durch, sie wurde von Uli Burchardt selbst bestätigt.

Wie war das denn Mitte dieses Monats? Am 9. Oktober: Haupt- und Finanzausschuss von 16.05 bis 23.45 Uhr, Betriebsausschuss Bodenseeforum von 19.45 bis 23.15 Uhr. Zwei Tage später: Spitalausschuss von 16 bis 21.15 Uhr, Technischer und Umweltausschuss von 16 bis 21.40 Uhr.

Und vergangene Woche eine 34-Punkte-Gemeinderatssitzung, die kurz nach 16 Uhr startete und inklusive nicht-öffentlichem Teil erst nach 22 Uhr endete. Sie hätte noch länger gedauert, wäre die Verabschiedung der langjährigen Leiterin der Chancengleichheitsstelle, Christa Albrecht, nicht krankheitsbedingt kurzfristig verschoben worden.

Wer soll denn noch Gemeinderat werden?

Wie geht man hiermit um? Man kann, wie OB Burchardt es in dieser Woche tat, auf die "Einhaltung einer gewissen Tagesordnungsökonomie" hinweisen. Also den Stadträten nahelegen, alle in Ausschüssen vorberatenen Punkte nicht noch einmal im Gesamtgremium Gemeinderat zu diskutieren.

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Die Satzung gibt diesen Tipp her. Doch hat das Wort von 40 Frauen und Männer nicht ein größeres Gewicht, als das der personell wesentlich schmaler besetzten Ausschüsse? Man kann diesen 40 Lokalpolitikern auch sagen: Haltet ihr keine Fensterreden in epischer Länge, dann haben Sitzungstage auch einen Feierabend. Und bevor ihr jammert, es hat euch ja keiner gezwungen, sich einen Listenplatz für die Gemeinderatswahl zu sichern. Macht dieses Selber-Schuld-Prinzip Schule, finden sich auf diesen Listen bald keine Namen mehr.