Warum trägt Sara Kopftuch?

Ihr Blick aus den dunklen Augen ist klar und offen auf das Gegenüber gerichtet, die Haarfarbe der jungen Frau erahnt man nur: Das Gesicht ist von einem Kopftuch umrahmt, das sich in modischer Hinsicht nicht zu verstecken braucht. „Es gibt für mich viele Gründe, Kopftuch zu tragen“, sagt Sara Almohamad Alfadel, 20 Jahre alt. „Der wichtigste Grund ist: weil ich es will“, ergänzt sie mit Nachdruck.

„Der wichtigste Grund, Kopftuch zu tragen: weil ich es will“, findet Sara.
„Der wichtigste Grund, Kopftuch zu tragen: weil ich es will“, findet Sara. | Bild: Lukas Ondreka

In Deutschland ist das Kopftuch nicht mehr selbstverständlich

Was in Syrien allgemein akzeptiert war, das bedarf in Deutschland einer Rechtfertigung. So scheint es Sara jedenfalls: Frauen, die Kopftuch tragen, fallen in Europa auf, ihnen wird unterstellt, begrenzten Wert auf Frauenrechte zu legen. Mädchen und Frauen mit Kopftuch werden unterdrückt? Sara und ihre Schwestern haben ihre eigene Sicht auf ein Kleidungsstück, das mehr als ein Mode-Accessoire ist.

Wie Sara sich an den Brauch herantastet

Sara trägt ihr Kopftuch, seit sie 16 ist. Einen konkreten Anlass habe es dafür nicht gegeben: „Am Anfang hat es mir einfach gefallen“, sagt sie. Ihre Familie habe sie zu Beginn gewarnt. Es sei nicht gut, zuerst Kopftuch zu tragen und es später wieder abzulegen, das sei „haram“. Ihre Familie hatte zunächst die Befürchtung, dass Sara nicht durchhalten würde.

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Wie reagiert die Umgebung?

Eine Frau, die Kopftuch trage, errege in Deutschland immer Aufmerksamkeit, findet Sara. „Es gibt viele, die ein wenig Angst haben vor Frauen mit Kopftuch„, vermutet sie, das sei vor allem so gewesen, als viele Terroranschläge passierten. Wenn sie merke, dass sie angestarrt werde, versuche sie, nicht auf die Blicke zu reagieren, sondern möglichst freundlich zu lächeln, um die Voruteile anderer abzuschwächen.

„Es gibt viele, die ein wenig Angst haben vor Frauen mit Kopftuch.“
„Es gibt viele, die ein wenig Angst haben vor Frauen mit Kopftuch.“ | Bild: Lukas Ondreka

Sara und ihre zwei Schwestern sind vor etwas mehr als zwei Jahren mit ihrer Familie vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen. Seither leben sie sich in Konstanz ein, mischen sich ein, kämpfen sich auch mal durch und gestalten mit. Aus schüchternen fremden Mädchen sind selbstbewusste junge Erwachsene geworden, die auch die einst fremde Sprache zu nutzen wissen.

Wie Sara sich zum Schwimmen kleidet

Beim Schwimmen falle es am meisten auf, sagt Sara. Wenn sie im See baden, tragen die meisten ihrer Freundinnen keine Kopfbedeckung. Sie sei die einzige, die sowohl Burkini, eine Badebekleidung, die den ganzen Körper bedeckt, als auch Kopftuch trage. „Es gefällt mir aber, dass ich aus der Rolle falle. So bin ich etwas Besonderes“.

Die religiöse Begründung

Eine Laune oder Mode ist das Kopftuch für die 20-Jährige nicht. Es sei eine wohlüberlegte Entscheidung und passe zu ihrer Religion, erklärt die Syrerin, die eine Ausbildung als pharmazeutisch-technische Assistentin machen möchte. „Ich will nicht, dass die Jungs meine Haare oder meinen Körper sehen“, erläutert sie. Als Muslimin gehe ihr Körper nur ihren späteren Ehemann etwas an. Für sie ist es auch eine Frage der Wertschätzung. „Ich fühle mich mit Kopftuch wertvoller“, äußert Sara.

Warum trägt Nour kein Kopftuch mehr?

Saras Schwester Nour hatte mit 14 Jahren in Syrien begonnen, Kopftuch zu tragen. „Ich habe meine Freundinnen damit gesehen und wollte das probieren“, sagt die 17-Jährige. So kommt sie nach Deutschland. Seither hat Nour ihre Erfahrungen gemacht. Sie habe viel darüber nachgedacht, bevor ihre Entscheidung fiel, das Kopftuch abzulegen. Eine entscheidende Rolle spielt die Suche nach einem Praktikumsplatz. Nour bewirbt sich für ein Praktikum in einer Zahnarztpraxis. Sie habe gute Chancen gehabt, jedenfalls vermittelt eine Mitarbeiterin der Praxis ihr dies so. Dann lehnt die Praxis sie doch noch ab, mit der Begründung, dass eine Frau mit Kopftuch nicht erwünscht sei. Die Zurückweisung trifft Nour zu diesem Zeitpunkt hart. Es sei zwar leicht gewesen, einen neuen Praktikumsplatz zu finden, doch das Ereignis bleibt haften.

„Damals habe ich angefangen, zu überlegen, ob ich das Kopftuch ablegen soll“, sagt Nour.
„Damals habe ich angefangen, zu überlegen, ob ich das Kopftuch ablegen soll“, sagt Nour. | Bild: Lukas Ondreka

Erfahrungen, die die junge Frau nicht vergessen hat

„Damals habe ich angefangen, zu überlegen, ob ich das Kopftuch ablegen soll“, sagt Nour. Als sie vor wenigen Monaten mit der Schulklasse nach London flog, sei sie am Flughafen abgetastet worden – das habe sie mit Kopftuch als unangenehm empfunden. „In der Realschule habe ich als einzige Kopftuch getragen“, sagt Nour. Schließlich war klar: es kommt weg. Ihre Schwester Sara betrachtet Nours Entscheidung zunächst kritisch: „Nour hat das Kopftuch abgelegt, weil andere Menschen es nicht akzeptierten. Ich habe ihr gesagt: Mach es nicht wegen der anderen. Du musst stark sein“, sagt Sara.

Nour Almohamad Alfadel
Nour Almohamad Alfadel | Bild: Lukas Ondreka

Wie der Kopftuch-Verzicht bei der Familie ankommt

Zurück aus London setzt Nour ihrer Familie ihre Entscheidung auseinander. Ihr Vater sei zunächst völlig dagegen gewesen, sagt die Schülerin, sie selbst habe die Diskussion aber irgendwann beendet. Ganz unproblematisch dürfte der familiäre Konflikt dennoch nicht gewesen sein. „In unserer Religion sind Vater und Mutter für die Kinder verantwortlich“, erläutert Rim Alnaser Alshikh, die Mutter der drei Jugendlichen. Sie will keinen Druck auf ihre Töchter ausüben, sie habe selbst erst sehr spät begonnen, ein Kopftuch zu tragen.

„Ich will nicht anders sein als die anderen“

Heba, 15, die jüngste der drei Schwestern, beschäftigen ohnehin andere Dinge. Sie besucht die zehnte Klasse der Geschwister-Scholl-Schule und weiß jetzt schon, dass sie nach dem Abitur studieren möchte. Im Moment nimmt sie am Schülerstudium teil und wird von einer Talent-Stiftung gefördert. Für das Kopftuch bleibt in dieser Welt weder Raum noch Zeit. „Ich will nicht anders als die anderen sein“, sagt die 15-Jährige.

„Ich will nicht anders als die anderen sein“, sagt Heba.
„Ich will nicht anders als die anderen sein“, sagt Heba. | Bild: Lukas Ondreka

„Man kann im Herzen Muslimin sein, ohne Kopftuch zu tragen“, ergänzt sie mit Nachdruck. In der Moschee trage sie ein Kopftuch, beim Beten wie bei gesellschaftlichen Anlässen.

Wie die Zukunft aussehen könnte

„Ich bin auch noch jung“, erwähnt die Schülerin und spricht lieber von ihren Interessensgebieten. Biologie und Wirtschaftswissenschaften, beide Fächer könnte sie sich für ein Studium vorstellen. „Eigentlich möchte ich Geschäftsfrau werden“, sagt sie noch.

„Eigentlich möchte ich Geschäftsfrau werden“.
„Eigentlich möchte ich Geschäftsfrau werden“. | Bild: Lukas Ondreka

Die langen schwarzen Haare fallen lässig über ihren Pullover, gebändigt nur von einem Haarreif. Die 15-Jährige hat längst gelernt, ihre Entscheidungen zu treffen – ebenso wie Sara und Nour, ihre älteren Schwestern.