Als Zinaida Kasim Ende Juli mit ihrem Mann Pavel und dem neun Monate alten Sohn das Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen verlässt, ist die 26-Jährige glücklich. Glücklich und erleichtert. Denn die junge Familie hat zu diesem Zeitpunkt eine wahre Odyssee hinter sich.
Rückblick. Etwas mehr als eine Woche zuvor hat Zinaida Kasim Schmerzen im Hals. Ihr Mann Pavel bringt sie abends ins Konstanzer Klinikum. „Die Ärztin und die Schwester meinten, dass es nicht so schlimm sei. Dann haben sie mich nach Hause geschickt“, sagt Zinaida Kasim.
Zunächst wird eine Angina diagnostiziert
Am nächsten Tag gehen die beiden zu ihrem Hausarzt, der Zinaida Penizillin verschreibt. Das Medikament jedoch hilft nicht. Im Gegenteil. „Als es schlimmer und schlimmer wurde, haben wir den Notarzt gerufen“, erinnert sie sich. „Am Telefon wurde uns nur gesagt: Dann nehmen sie einfach noch einmal Penizillin“, ergänzt ihr Mann Pavel, der vor mehr als zehn Jahren aus Moldawien nach Konstanz kam, wo er als selbständiger Masseur arbeitet.
Als Zinaida Kasim vor Schmerzen nicht mehr schlafen und nichts essen oder trinken kann, fahren sie erneut ins Krankenhaus. „Wir mussten zwei Stunden warten, dann hat mir die Ärztin sofort Infusionen gegeben und es wurde besser“, sagt Zinaida Kasim. Es sei eine Angina diagnostiziert worden, die Frau habe zur Sicherheit über Nacht bleiben sollen. „Ich konnte aber nicht, weil mein Sohn, den ich stillte, zuhause war“, fährt sie fort. „Ich habe da aber schon vermutet, dass es was Schlimmeres sein könnte, weil ich kaum mehr atmen konnte.“

Nach einer weiteren schlaflosen Nacht hoffen die Kasims am nächsten Tag, einem Sonntag, auf Hilfe. Sie wenden sich erneut an die zentrale Notaufnahme, „doch dort hat uns der Konstanzer Arzt nach Villingen-Schwenningen verwiesen. Er hat gesagt, dass in ein paar Stunden ein Krankenwagen dorthin fahren würde“, erklärt Pavel Kasim.
Da sie nicht so lange warten wollen und kein Auto besitzen, ruft er seinen Freund Ralf Kremer an, der direkt ins Konstanzer Klinikum eilt. „Als ich ankam, nahm ich eine etwas seltsame Stimmung wahr. Ich hatte das Gefühl, dass man als Bagatellfall eher unerwünscht sei und Zeit für wirkliche Notfälle verloren gehe“, erinnert Kremer sich.
Gemeinsam fahren sie in den Schwarzwald. „Dort stellten die Ärzte in wenigen Minuten fest, dass Zinaida Kasim sofort operiert werden musste, da sie einen Abszess in unmittelbarer Nähe der einen Mandel hatte“, sagt Kremer. „Dass sie uns haben fahren lassen, war für mich schon etwas leichtfertig. Sie hätte unterwegs ersticken können.“
Schwere Vorwürfe gegen die zentrale Notaufnahme, die deren Leiter Ivo Quack, der Zinaida Kasim nicht selbst behandelt hat, so nicht stehen lassen möchte. „Ich kann durchaus nachvollziehen, dass die Frau Angst hatte“, sagt er, als er den Fall anonym geschildert bekommt. Weiter könne er sich aus Gründen der Schweigepflicht dazu leider nicht äußern.
Das eigentliche Problem sei für ihn, dass die Notfallversorgung der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) so weit von Konstanz entfernt ist. „Tagsüber kommt entweder ein HNO-Arzt, der Belegbetten im Klinikum hat, vorbei und schaut sich den Notfall an“, sagt Quack, „oder wir arbeiten mit HNO-Praxen zusammen, in die wir unsere Patienten in dringenden Fällen überweisen.“
An Wochenenden und Feiertagen sowie in der Nacht sei jedoch das Schwarzwald-Baar Klinikum zuständig. „Das ist eigentlich nicht adäquat für einen so großen Landkreis wie unseren“, sagt Ivo Quack. Da die Rettungsmittel zudem sehr begrenzt seien, könne es etwas dauern, bis eine transportfähige Person mit dem Krankenwagen in eine andere Klinik verlegt werden könne.
Der Chefarzt will persönlich Kontakt aufnehmen
Ivo Quack kann verstehen, dass sich nicht jeder in der zentralen Notaufnahme richtig behandelt fühlt. „Das liegt in der Natur der Sache einer Notaufnahme, dass der Notfall im Fokus steht und nicht immer eine umfassende Behandlung stattfinden kann“, sagt er.
Zum einen gebe es für solche Fälle eine Beschwerdestelle, die in diesem Jahr bislang drei unzufriedene Patienten genutzt hätten. „Außerdem nehme ich persönlich telefonisch Kontakt auf mit den Leuten, die sich melden“, sagt der Chefarzt der zentralen Notaufnahme. „Wir wollen uns schließlich ständig verbessern.“
Als die Kasims Ende Juli in Villingen ankommen, will Pavel Kasim bei seiner Frau bleiben, die nach der Operation noch einige Tage stationär behandelt wird und den Sohn bei sich hat. „In der Klinik waren keine Zimmer frei, also habe ich fünf Nächte in einem Sessel auf dem Flur geschlafen. Das war kein Problem“, sagt er im Rückblick. Schließlich ist ja noch einmal alles gut gegangen. Auch wenn es wirklich knapp schien.
Reform der Rettungsstellen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will mit einer Reform die Rettungsstellen der Kliniken entlasten. Da gibt es die so genannte Notfallpraxis, in der sich die Hausärzte außerhalb ihrer Dienstzeiten um Patienten mit ambulant zu behandelnden Erkrankungen, kümmern, und die zentrale Notaufnahme, die die Aufgabe hat, Patienten aufzunehmen, bei denen eine stationäre Behandlung absehbar ist, etwa nach einem schweren Unfall oder wenn sich der starke Herzschmerz als Infarkt herausstellt. Künftig soll stärker vorab entschieden werden, ob Patienten in die Notaufnahme kommen sollen oder ob ein zeitnaher Arzttermin reicht. In einer Notfallleitstelle soll geklärt werden, ob das Krankenhaus zuständig ist oder ein Hausarzt. Fraglich ist allerdings, ob sich die Versorgung der Patienten tatsächlich verbessert, wenn diese im Notfall am Wochenende 80 Kilometer weit in eine Fachklinik transportiert werden müssen und dafür im gesamten Landkreis nur ein Fahrzeug bereitsteht. (fei)