Juristen können auch anders. Dass die Rechtsvertreter und Interpretationskünstler der Paragrafen zum einen kurzweilig und witzig, bei Bedarf aber auch ernsthaft politisch sein können, dies war bei der aktuellen Feierstunde im historischen Ratssaal hautnah mitzuerleben. Offiziell in den Ruhestand verabschiedet wurde in diesem Rahmen der bisherige Direktor des Amtsgerichts Überlingen, Günther Völk, der die Geschicke der Behörde zehn Jahre lang mit viel Empathie und Fingerspitzengefühl geleitet hatte, wie den Ansprachen zu entnehmen war. Gleichzeitig wurde Nachfolgerin Anke Baumeister als neue Direktorin in ihr Amt eingeführt.

Der Bodensee als Sehnsuchtsort

Für beide sei die Behörde in Sichtweite des Seeufers zu einem „Sehnsuchtsort“ geworden, erklärte der Präsident des Landgerichts Konstanz, Christoph Reichert. Warum dies gar nicht anders sein konnte, das hatte er zu Beginn seiner Rede in poetischen Worten beschrieben. Vom „glasklaren Wasser, das fast bis an die Treppen des Amtsgerichts schwappte“, sprach Reichert. „Was für ein schöner Anblick“, habe er bei seinem ersten Besuch gedacht und hier viele „glückliche Menschen“ getroffen.

Es sei die Liebe gewesen, die sie nach Überlingen geführt habe, sollte die neue Direktorin Anke Baumeister am Ende formulieren und präzisieren: „Die Liebe zum Bodensee.“ Bei ihrer Premiere am hiesigen Amtsgericht vor zehn Jahren habe sie gedacht: „Wow – da will ich hin.“

Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr

Mit einem engagierten Plädoyer für die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit hatte Christoph Reichert, der Präsident des Landgerichts Konstanz, eine ernste politische Botschaft zwischen den ansonsten launigen Lobesworte für die Kollegen eingeflochten. Dies sei dringend notwendig, betonte der Jurist und verwies unter anderem auf die Beispiele Ungarn, Polen, Türkei und USA. Nach Reicherts Worten lehrten diese: „Wer die Demokratie beseitigen will, fängt bei der Unabhängigkeit der Justiz an.“ Um dann auch Deutschland ins Visier zu nehmen. Wenn er „so manche Äußerungen einer populistischen Partei“ höre, dann habe er den Eindruck, „da werden in den Hinterzimmern bereits Schlachtpläne für den Tag der Machtübernahme geschmiedet, die der Justiz das Fürchten lehren sollen“. „Dagegen müssen wir uns wehren“, sagte Reichert. Und mit „Wir“ meine er nicht nur die Justiz, sondern „alle, die ein Interesse am Fortbestand der Demokratie haben.“

Zur Feierstunde im historischen Ratssaal, die von Schüler Luis von Kennel musikalisch umrahmt wurde, waren viele amtierende und ...
Zur Feierstunde im historischen Ratssaal, die von Schüler Luis von Kennel musikalisch umrahmt wurde, waren viele amtierende und ehemalige Kollegen von Günther Völk und Anke Baumeister sowie Vertreter von Behörden und Gemeinderat gekommen. | Bild: Hanspeter Walter

Dritte Gewalt muss funktionsfähig bleiben

Daher gelte es, jeden Tag, um dieses Vertrauen zu werben. „Wir müssen erklären, was wir machen und warum wir es machen“, betonte Reichert. Transparenz sei die Voraussetzung für Akzeptanz der Rechtssprechung. „Wir müssen auch dafür eintreten, dass die dritte Gewalt im Staat funktionsfähig bleibt.“ Das heiße auch, dass die dritte Gewalt mit allen personellen, finanziellen und technischen Ressourcen ausgestattet werden müsse, um funktionsfähig zu sein. „Ich appelliere an Sie alle, uns dabei zu unterstützen und für die Unabhängigkeit der Justiz einzutreten“, sagte der Landgerichtspräsident: „Gerade dann, wenn es schwieriger wird.“ Kritik an der Justiz sei erlaubt, aber eine pauschale Verunglimpfung von Richtern und die Forderung, es müsse „volksnäher – gemeint ist natürlich volksideologischer“ entschieden werden, sei untragbar.

„Die Forderung nach Absetzung von Richtern, die nicht so entscheiden, wie die Regierung es gerne möchte“ – wie man es in den USA leider schon beobachten müsse – sowie die eklatante Missachtung von Gerichtsentscheidungen durch die Exekutive, all das seien Entwicklungen, denen „wir als Gesellschaft, als Demokraten Einhalt gebieten müssen“, warnte Reichert, denn: „Wenn wir das nicht schaffen, legen wir die Axt an den Rechtsstaat und damit an die Demokratie selbst.“

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Günther Völk ist ein Menschenfreund

An diesem Ort habe sich der scheidende Direktor Günther Völk mit großer Leidenschaft „für das Recht, für die Menschen, für die Mitarbeitenden und die Rechtssuchenden“ eingesetzt, betonte Christoph Reichert in seiner Ansprache. Dass die Menschen im Mittelpunkt seines Handelns und Wirkens gestanden hätten, sei ihr „unmittelbar spürbar“ gewesen. Der Landgerichtspräsident skizzierte die Stationen Völks und dessen Kompetenzen mit Zitaten von Vorgesetzten. Sein Selbstbewusstsein habe der scheidende Direktor „aus seinem Können, nicht aus seinem Amt geschöpft“. Mit Günther Völk sei ein Stück Geschichte des Amtsgerichts Überlingen zu Ende gegangen. Seine leitende Funktion habe er „beispielhaft“ ausgeübt. Ja, man habe blindes Vertrauen zu ihm haben können. Der Nachfolgerin Anke Baumeister bescheinigte Reichert das optimale Rüstzeug, um dessen Aufgabe zu übernehmen.

Wie wichtig das Amtsgericht für die Stadt sei, betonte Hausherr Jan Zeitler und dankte beiden Juristen für deren engagierte Arbeit. Er sei gespannt auf die neue Ära, sagte er. Die Behörde genieße das Vertrauen der Kommune, betonte Zeitler: „Die Stadt steht hinter ihnen.“ Dies unterstrich das Stadtoberhaupt mit einem Präsent für den ausscheidenden Günther Völk und die neue Direktorin Anke Baumeister.

Völk dankt seinem Team

Der angehende Ruheständler Günther Völk dankte allen bisherigen Mitstreitern in den verschiedenen Positionen für das kollegiale Miteinander. Seine zehnjährige Dienstzeit sei kein „Sololauf“ gewesen, denn ein Dirigent sei nur so gut wie sein Orchester. Auch schwierige Situationen habe das Team des Amtsgerichts Überlingen im Verlauf seiner Amtszeit dank dieses Zusammenhalts bestens bewältigt, sagte er. Insofern sei seine enge Verbundenheit mit Überlingen keineswegs nur dem attraktiven Standort geschuldet. „Ich kann mir keine bessere Nachfolgerin vorstellen“, betonte Völk mit dem Blick auf Anke Baumeister, mit der er schon einige Jahre eng zusammengearbeitet hatte und deren Qualitäten er sehr zu schätzen wisse.

Papierakten sollen der Vergangenheit angehören

Die neue Direktorin, die in Überlingen bereits zum 1. Februar das Zepter übernommen hat, ist derzeit noch einer Doppelbelastung ausgesetzt. Nach wie vor trägt Anke Baumeister auch Verantwortung für das Amtsgericht Singen, wo sie schon als stellvertretende Direktorin seit mehr als einem Jahr die Fäden in der Hand gehalten hatte. In ihren Eingangsworten dankte Baumeister zunächst dem Landgerichtspräsidenten für dessen eindringlichen Appell zum Engagement für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit.

Die Rückkehr nach Überlingen habe sich „angefühlt wie nach Hause kommen“, sagte die Direktorin, die in stellvertretender Funktion bereits hier tätig gewesen war. „Nun bin ich wieder da“, erklärte sie und bezeichnete ihre künftige Aufgabe als „schönsten Job der Welt – außer vielleicht Päpstin“. Beim Blick nach vorn musste sich Anke Baumeister allerdings mit der Freude über die Einführung der elektronischen Strafakte begnügen und damit zugleich auf das Ende der „ollen Papierakten“.