Herr Burchardt, das wichtigste zuerst: Geht es Ihnen gut?
Mir geht es gut, danke. Ich bin symptomfrei und verfüge über ein gutes Immunsystem.
Wie erleben Sie die aktuelle Lage?
Meine Tagesstruktur besteht normalerweise aus Terminen und Sitzungen. Diese gibt es so jetzt nicht mehr. Jetzt erlebe ich eine Zeit sehr kurzer Wege innerhalb unserer Verwaltung und zu übergeordneten Stellen im Regierungspräsidium und im Land. Aber die Stimmung ist etwas bedrückend, auch mit Blick auf Italien und die bange Frage: Kann das hier auch geschehen?
Würden Sie sich als guten Krisenmanager bezeichnen?
Ich weiß nicht, ob ich ein besserer bin als andere. Aber ich habe aus über 20 Jahren Führungstätigkeit viele Erfahrungen im Krisenmanagement. Auch entscheide ich ja nicht alleine, sondern lasse mich beraten. Und ich kann mit Unsicherheit gut umgehen. Die letzte große Krise durch die Flüchtlingswelle hat sich anfangs ähnlich angefühlt...
...Sie vergleichen die aktuelle Situation mit der Flüchtlingskrise?
In manchem schon. Man ist mit Aufgaben konfrontiert, die gestern noch undenkbar waren und muss Entscheidungen auf schnellstem Wege treffen. Aber insgesamt stellt die aktuelle Krise natürlich noch eine wesentlich größere Herausforderung dar.
Schnell ändert sich derzeit auch die Nachrichtenlage. Jüngst wurde bekannt, dass Hallen zu Behandlungszentren leichterer Corona-Fälle umgerüstet werden könnten, um Intensivkapazitäten steigern zu können. Ist das Bodenseeforum dafür eine Option?
Das ist derzeit nicht der Plan. Unser Klinikum hat uns vermittelt, dass es auch dank des Neubaus gut ausgestattet ist. Das Bodenseeforum brauchen wir derzeit vor allem als Raum für Besprechungen des Krisenstabes, weil es einfach das beste Gebäude dafür ist, ausreichend Platz und eine gute Belüftung bietet.
Seit dieser Woche sind in Konstanz nicht nur Schulen, sondern auch Kitas geschlossen – mindestens einen Monat lang. Müssen Eltern dennoch bezahlen?
Wir werden den April nicht berechnen. Wir können Menschen, die womöglich Angst um ihren Job haben, nicht sagen: Bitte bezahle noch die Gebühren für die Kinderbetreuung, die du gerade selbst übernimmst. Aber ich kann nicht für freie Träger entscheiden, sondern lediglich empfehlen, dass sich diese den städtischen Kitas anschließen.
Kommt Ihnen entgegen, dass Sie in solchen Fällen schnell entscheiden können?
Im Moment ist das Wichtigste, dass entschieden wird. Ich hoffe, dass ich bald wieder mit dem Gemeinderat entscheiden kann. Wir warten hier auf Hilfestellung aus dem Innenministerium, wie wir unter diesen Umständen Beschlüsse fassen können. Die heutige Rechtsgrundlage weist hier Lücken auf.
Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollen Wirtschaft zur Chefsache machen. Sind Sie in Wirtschaftsfragen nicht nur Co-Co-Co-Chef nach den Entscheidungsträgern auf höheren Ebenen?
Ja, wir als Stadt können wahrscheinlich wenig tun, wenn es um große Unternehmen geht. Aber wir können an der richtigen Stelle darüber reden, worauf es für deren Konstanzer Arbeitnehmer gerade ankommt. Was wir aber unbedingt tun müssen, und da kommt es besonders auf die Stadt Konstanz an: Für die kleinen und kleinsten Unternehmen, die nicht viel umschichten können und von 100 auf Null fallen, müssen wir schnell tätig werden.
Wie konkret?
Wir schaffen uns gerade einen Überblick, sortieren nach Branchen und Größe. Dann wollen wir daraus einzelne Firmen befragen, um zu verstehen, was diese brauchen. Wir wollen schließlich aus dieser Krise mit einer funktionsfähigen Wirtschaft herauskommen. Als weiteren Schritt nutzen wir unseren Spielraum bei der Gewerbesteuer, bieten zum Beispiel die Absenkung der Vorauszahlung oder eine Stundung an. Jeden einzelnen Bürger will ich dazu aufrufen, jetzt nicht kopflos Aufträge bei Handwerkern zu stornieren. Wir wollen als Stadtverwaltung ebenfalls unseren Beitrag dazu leisten. Ein Beispiel könnte es auch sein, bei den notwendigen EU-Ausschreibungen pragmatische Lösungen an die Hand zu bekommen durch die Politik.
Weil europaweite Ausschreibungen gerade keinen Sinn ergeben angesichts Reiseverboten und geschlossener Grenzen?
Ich habe nichts dagegen, dass man ausschreibt. Aber aktuell sollte man das hier in der Stadt oder der Region unbürokratisch ermöglichen, schnell und ohne endlose Verfahren. So können wir erstens weiter arbeiten und zweitens unsere Wirtschaft unterstützen.
Wenn man sich in Konstanz umschaut, werben Filialisten und Ketten nach der Ladenschließung mit Plakaten an den Türen: Kaufen Sie 24 Stunden ein – über unseren Online-Shop. Auch hier sind die Kleinen doppelt getroffen.
Ich wünsche mir von den Konstanzern, dass sie dort, wo sie es noch können, den einheimischen Handel unterstützen. Aber klar: Die Kleineren trifft es durch diese Krise härter als die Größeren.
Das gilt auch für Veranstalter. Darunter die Organisatoren der Rathausoper oder des Campusfestivals, die bisher städtische Zuschüsse erhielten. Ob die Termine im Juni beziehungsweise August stattfinden können, ist völlig offen.
Was ich gesagt habe, gilt ausdrücklich auch für den kulturellen Bereich und die vielen dort tätigen Leute, von denen viele freischaffend sind: Wir wollen unsere Verantwortung wahrnehmen.
Bislang wurden die Bürger aufgerufen, größere Ansammlungen zu vermeiden. Das hat nicht ausgereicht. Was erhoffen Sie sich vom jetzt ausgesprochenen Verbot von Ansammlungen mit mehr als fünf Teilnehmern im öffentlichen Raum?
Es ist falsch und nicht klug, sich in irgendwelchen Menschenansammlungen zu treffen, weil man andere gefährdet. Viele haben sich an die Empfehlung gehalten, viele leider aber auch nicht. Mit der Allgemeinverfügung haben wir dies nun verboten und können dies durchsetzen. Das ist im Interesse aller Konstanzerinnen und Konstanzer. Es geht um ihre Gesundheit. Ich wünsche uns allen, dass es keine Ausgangssperre braucht. Und dass gerade auch die Kinder in den nächsten Wochen an die frische Luft können. Ich bin übrigens sehr dankbar, dass unsere Polizei uns dabei ganz herausragend unterstützt.
Wie lange halten wir es Ihrer Einschätzung nach aus, fast nur noch zu Hause zu bleiben? Die Krise wird nicht in wenigen Tagen überwunden sein.
Ich will ganz ehrlich sein: Ich gehe davon aus, dass Corona uns über viele Monate hinweg tief und stark beeinträchtigen wird. Es wird nicht nach Ostern wieder alles normal sein. Konstanz nach Corona wird nicht mehr dasselbe sein, wie Konstanz vor Corona. Es werden sich Dinge verändern, die nicht mehr umkehrbar sind. Darauf müssen wir uns einstellen und auch dafür müssen wir die Zeit gut nutzen.
Was sagen Sie verunsicherten Konstanzern, wenn Sie nicht mehr problemlos in ihre Nachbarstadt in der Schweiz können?
Die Grenzschließung ist für Konstanz heftig. Es gibt inzwischen eine Generation, die kennt keine Schranken mehr nach Kreuzlingen. Ich hoffe nur, dass wir schnell wieder grenzüberschreitend zusammenleben können. Für den Spezialfall Tägermoos haben wir jetzt mit Passierscheinen für unsere Landwirte und Kleingärtner eine gute Lösung gefunden. Wie es an den Grenzübertritten gerade aussieht, das ist ein schmerzlicher Anblick. Auch wenn man durch die wie ausgestorben wirkende Stadt geht, wie ich finde.
Ein drückendes Gefühl, das nicht zum aufkommenden Frühling passt.
Es wird nicht der letzte gewesen sein.
Fragen: Benjamin Brumm