Donnerstagabend, kurz vor 20 Uhr. Noch schnell in den Supermarkt und etwas fürs Abendessen besorgen, das ist für viele schon zur Gewohnheit geworden. Genauso wie die Tatsache, dass selbstverständlich noch verschiedene Salatsorten, frisches Obst und Gemüse vorrätig sind, auch wenn der Laden in fünf Minuten schließt. Sollte das frische Grün einmal nicht mehr ganz so frisch aussehen, ist das für viele Kunden nicht akzeptabel – und in aller Regel hat der Markt das angeschlagene Stück dann ohnehin schon längst aussortiert.
Doch was passiert eigentlich mit all den Lebensmitteln, die bei Ladenschluss noch in den Körben und Regalen bereit liegen, aber am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden können? Laut der WWF-Studie "Das große Wegschmeißen" wandern hierzulande über 18 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr in den Müll, obwohl sie gesundheitlich völlig unbedenklich sind. Das entspricht fast einem Drittel des gesamten Lebensmittelverbrauchs.

Warum in Konstanz nur wenig in der Tonne landet
Zumindest, was die Supermärkte angeht, landet hier in Konstanz der allergrößte Teil jedoch nicht in der Tonne, sondern am nächsten Morgen im Laster von Mischa Bondarenko. Seit über zehn Jahren arbeitet er als Fahrer für die Konstanzer Tafel. Für ihn mehr als nur ein Job. Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen, liegt die Aufgabe dem gebürtigen Russen am Herzen.
"Zuhause würde die Sachen niemand wegwerfen", sagt er. "Es ist nicht so, dass wir unseren Kunden Müll oder minderwertige Waren anbieten. Alles, was wir bei den Märkten abholen, lässt sich noch einwandfrei verwenden." Sollte doch mal etwas dabei sein, das besser in den Restmüll oder die Biotonne gehört, sortieren Bondarenko und seine Kollegen es gleich vor Ort aus, nur Brauchbares wird mitgenommen. "Ob man die Sachen essen will, ist reine Kopfsache und persönliche Entscheidung", sagt er.

Auf Sammel-Tour mit der Konstanzer Tafel
Die Tour von Mischa Bondarenko und seinem Kollegen Ruslan Olhovatskij startet wie jeden Morgen um acht Uhr. Und nach spätestens zwei Minuten wird klar, dass Lebensmittel retten kein Job für verträumte Weltverbesserer ist. 25 Supermärkte in maximal vier Stunden, besser schneller – denn um Punkt zwölf Uhr öffnet die Tafel und bis dahin will noch alles ausgepackt und sortiert werden. Für Mischa Bondarenko und seinen Kollegen bedeutet das Stress pur: Die Warenannahme des ersten Supermarktes wird angesteuert, die beiden springen aus dem Wagen, packen die Lebensmittel im Akkord aus den Kisten des Marktes in die der Tafel, verfrachten sie in den Laster und schon geht es im Eiltempo weiter zum nächsten Markt.
Nach anderthalb Stunden folgt der erste Zwischenstopp an der Tafel, wo die ehrenamtlichen Helferinnen schon warten, um die Waren zu sortieren. 30 Kisten waren es auf dieser Tour, zwei weitere Runden werden heute noch folgen. Für einen Freitag sei das ganz gut, sagt Bondarenko, aber an den wirklich geschäftigen Wochentagen, Montags zum Beispiel, können es auch schon mal 130 Kisten werden.
Doch auch, wenn die Mengen an aussortierten Lebensmitteln schier unendlich wirken – das Problem ist lange nicht mehr so gravierend wie noch vor einigen Jahren. "In den letzten zehn Jahren hat sich viel getan", sagt Pamela Baumhardt von Edeka Baur. "Die meisten Supermärkte disponieren viel genauer, bestellen kleinere Mengen und planen dafür mehr Lieferungen. Je nach Jahreszeit bekommen wir im E-Center an der Reichenaustraße mehrere Lieferungen pro Tag." Auch hier werden Bondarenko und Olhovatskij heute noch Kisten mit Lebensmitteln in Empfang nehmen. So wie Edeka geben fast alle Konstanzer Supermärkte alles, was lebensmittelrechtlich möglich ist, an die Tafel – oder ans Foodsharing.
Lebensmittelretter mit Fahrradanhänger
Denn Lebensmittel zu retten muss nichts mit Bedürftigkeit zu tun haben. Auch Susanna Güttler und Elisa Helms haben sich dem Ziel verschrieben, unsere Wegwerf-Gesellschaft zumindest ein wenig in die Schranken zu weisen. Ihre Fahrradanhänger, die sie vor dem Alnatura-Markt in der Altstadt geparkt haben, können es zwar nicht mit den Dimensionen der Tafel aufnehmen. Doch auch für einen halben Einkaufswagen voll mit Kartoffeln, Salat und Brot kommen die beiden gern. Absprachen mit der Tafel sorgen dafür, dass sich die Organisationen nicht gegenseitig in die Quere kommen.

Susanna Güttler brachte ein persönliches Erlebnis vor einigen Jahren zum Nachdenken: Nach einem schmackhaften Abendessen verkündete der Gastgeber ihr, dass das gesamte Menü aus Lebensmittelresten gekocht war. Die junge Frau begann sich über das Thema zu informieren, suchte nach Foodsharing in Konstanz – und da es noch keine Gruppe gab, gründete sie kurzerhand selbst eine. "Vielen fehlt immer noch das Wissen, welche Lebensmittel man wann noch verwenden kann oder sie sind zu bequem, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Ein Handy werfe ich ja auch nicht gleich weg, nur weil die Garantie abgelaufen ist", sagt Güttler. Was die beiden sammeln, bringen sie zum Verteiler-Regal am Palmenhaus im Paradies.
Bedienen kann sich hier jeder, der möchte. "Ich habe immer gehofft, dass all das irgendwann mal überflüssig wird", sagt Elisa Helms. "Aber immerhin gibt es mittlerweile viele Supermärkte, die zum Beispiel nicht mehr ganz frische Ware zum halben Preis anbieten. Noch sehr viel mehr wäre hier möglich."
Foodsharing Konstanz
Foodsharing ist ein Trend, der sich seit einigen Jahren vor allem in vielen Großstädten immer weiter ausbreitet. Die Idee entstand unter anderem bei der Produktion der Dokumentation "Taste the Waste" im Jahr 2011. Der Film von Valentin Thurn beschäftigt sich mit den Ausmaßen von Lebensmittelabfall in Industrieländern und befeuerte das Entstehen einer regelrechten Foodsharing-Bewegung. Mitmachen kann jeder, der sich einmal über www.foodsharing.de registriert hat. Hier geht es vor allem darum, die eigene Ernsthaftigkeit und Redlichkeit unter Beweis zu stellen. Denn gewerbliche Weiterverkäufer haben beim Foodsharing nichts zu suchen. Die Konstanzer Foodsharing-Gruppe ist außerdem zu erreichen unter bodensee.foodsharing@gmail.com oder über Facebook. Aber auch ohne Registrierung kann jeder am Verteiler beim Palmenhaus, Zum Hussenstein 12, vorbeischauen und ein paar fast schon weggeworfenen Lebensmitteln eine zweite Chance geben.