Warnt die Bundespolizei ihre Beamten vor einer Zunahme unerlaubter Einreisen von Geflüchteten aus der Schweiz nach Deutschland? Dies behauptet die "Bild" und stützt sich auf ein "internes Informations-Schreiben" der für die Grenzüberwachung zuständigen Behörde.
Demnach gehe die Bundespolizei davon aus, dass durch die Eröffnung des sogenannten Bundesasylzentrums in Kreuzlingen damit gerechnet werden müsse, dass mehr abgewiesene Asylsuchende in der Grenzregion untertauchten.
Vom Empfangs- und Verfahrenszentrum zum Ausreisezentrum
In dem Gebäude, das nur wenige hundert Meter von der Grenze nach Konstanz entfernt steht, werden im Zuge der Neugliederung der Schweizer Asylpolitik künftig bis zu 310 Geflüchtete untergebracht, die das Land innerhalb weniger Wochen verlassen müssen. Zuvor befand sich dort eine erste Anlaufstelle für Asylsuchende.
Der SÜDKURIER hatte erstmals im September 2018 bei der Bundespolizei in Konstanz angefragt, ob sich für sie eine veränderte Lage ergebe. Nein, lautete die Antwort damals zusammengefasst. Man betrachte mögliche Entwicklungen tagesaktuell, stehe im Austausch mit den Kollegen der Schweizer Grenzwacht und sei über Veränderungen der Schweizer Asylpolitik informiert.
Sprecher der Bundespolizei: Behalten die Zahlen im Auge
Diese Aussagen haben auch im März 2019 Bestand, erklärt nun Sebastian Brandt, Sprecher des für die Kommunikation zuständigen Polizeipräsidiums in Potsdam, nach einer neuerlichen Anfrage. Ob die Bundespolizei tatsächlich, wie von der "Bild" zitiert, von mehr unerlaubten Einreisen ausgehe, will die Behörde nicht beantworten: "Die Bundespolizei wird die Feststellungszahlen weiterhin im Auge behalten", erklärt Brandt lediglich.
Diese Zahlen sind zuletzt gesunken
Die Zahl der versuchten oder vollzogenen unerlaubten Einreisen im Zuständigkeitsgebiet der Bundespolizeiinspektion Konstanz sei gesunken: 2016 lag sie bei 1978, im Jahr danach bei etwas mehr als 1000 und 2018 schließlich bei 866 Fällen.
Landrat Frank Hämmerle lobt zunächst neue Schweizer Asylpolitik
Weniger zugeknöpft gibt sich der scheidende Landrat Frank Hämmerle (CDU) gegenüber dem SÜDKURIER. Dass die Schweiz abgelehnte Asylbewerber oder straffällig gewordene Personen abschiebt, hält der scheidende Konstanzer Landrat für richtig und nachvollziehbar. "Das sollte Deutschland auch verstärkt tun", erklärt er auf Anfrage. Auch die Zusammenführung dieser Menschen in einem zentralen Ausreisezentrum sei richtig.
Dennoch löse für Hämmerle die veränderte Schweizer Asylpolitik eine Verschärfung der Sicherheitslage aus – nicht in der Stadt oder dem Landkreis Konstanz, aber im Bundesgebiet.
Schweizer Behörde räumt ein: 60 Prozent der Bewohner verlassen Zentren mit unbekanntem Ziel
Es stelle sich die Frage, "warum nicht Ausreisezentren in der Nähe der Flughäfen eingerichtet werden, sondern hier in Kreuzlingen, 300 Meter von der Grenze zu Deutschland entfernt", sagt der CDU-Landrat. Wie Deutschland schiebe seiner Einschätzung nach auch die Schweiz Menschen mehrheitlich per Flugzeug ab.
Bei einem Pilot-Betrieb zum neuen Schweizer Asylgesetz in Embrach (Kanton Zürich) zeigte sich: 309 von 503 Bewohner verließen das Ausreisezentrum dort unkontrolliert – es ist vergleichbar mit dem in Kreuzlingen – und tauchten ohne bekanntes Ziel unter.
Mit diesen Zahlen sei zu rechnen gewesen, räumte das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) im vergangenen Sommer gegenüber Schweizer Medien ein. Lukas Reichlin, Sprecher der Behörde, sagte gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF): "Sie haben praktisch keine Chance hierzubleiben, weil die Schweiz das Dublin-System sehr konsequent anwendet. Das heißt, für die Flüchtlinge ist die Hemmschwelle, die Schweiz wieder zu verlassen, sehr tief."
Frank Hämmerle: "Ist das gewollt?"
Wenn 60 Prozent der Geflüchteten ohne bekanntes Ziel aus den Ausreiszentren verschwänden, fragt Frank Hämmerle: "Ist das gewollt?"
Da sich die dort untergebrachten Menschen tagsüber und an den Wochenenden frei bewegen könnten, sei ferner davon auszugehen, "dass sich der Großteil der Bewohner des Kreuzlinger Ausreisezentrums der Abschiebung aus der Schweiz entziehen wird, indem sie die fußläufig zu erreichende Grenze nach Deutschland nutzen".
Als endgültigen Zielort geht Hämmerle nicht von der Stadt oder dem Landkreis Konstanz, sondern von Ballungszentren in Deutschland aus. "Damit wird sich die Sicherheitslage zwar nicht bei uns, aber im Bundesgebiet verschärfen", erklärt er gegenüber dem SÜDKURIER.
Schweizer Behörde hält untergetauchte Geflüchtete für "kein Problem"
Für die zuständige Schweizer Behörde stellen die untergetauchten Geflüchteten dagegen "kein Problem" dar, wie SEM-Sprecher Lukas Reichlin gegenüber dem SRF während des Pilotprojekts in Embrach erklärte: "Wir haben keine Motivation, Personen in der Schweiz zu halten, die lieber weiterreisen möchten."
Landrat will Bundespolizei stärken – und bringt vorübergehende Grenzkontrollen ins Spiel
Der Konstanzer Landrat äußert gegenüber der Bundespolizei die Erwartung, Kontrollen entlang der Grenze zu intensivieren. Hierzu müsse die Behörde "materiell und personell gestärkt" werden. Die Politik müsse ferner dafür sorgen, so Hämmerle abschließend, "dass die Bundespolizei vorübergehend Grenzkontrollen an diesem Grenzabschnitt durchführen darf".
Nur dann sei es den Beamten möglich, illegal nach Deutschland kommende Personen auch zurückzuweisen. Die Bundespolizei will diese Aussagen "aus dem parlamentarischen oder politischen Bereich" auf Anfrage des SÜDKURIER nicht kommentieren.
Was passiert im Bundesasylzentrum Kreuzlingen?
Seit März setzt die Schweiz auf beschleunigte Asylverfahren. Laut des zuständigen Staatssekretariats für Migration (SEM) ist das Ziel: Die einzelnen Verfahren sollen innerhalb von maximal 140 Tagen abgeschlossen sein. Erreicht werden soll dies mit einer Bündelung aller Ansprechpartner in sogenannten Bundesasylzentren ohne Verfahrensfunktion, eines davon befindet sich in Kreuzlingen an der Grenze zu Konstanz.
- Wie viele Personen leben dort? Das bestehende Gebäude zur Betreuung Geflüchteter an der Döbelistraße wurde umgebaut und bietet Platz für bis zu 310 Personen, deren Ausreise aus der Schweiz kurz bevorsteht. Entweder, weil ihre Anträge auf Asyl abgelehnt wurden, oder weil sie unter die Vorgaben des Dublin-Verfahrens fallen.
- Wie schlafen die Menschen dort? Getrennt nach Geschlechtern in Mehrbettzimmern, Familien erhalten eigene Räume, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden in separaten Räumen untergebracht und dort betreut.
- Sind die Bewohner eingesperrt? Nein, laut SEM gilt unter der Woche eine Ausgangszeit von 9 bis 17 Uhr. Über das Wochenende ist den Bewohnern erlaubt, die Unterkunft von Freitagmorgen bis Sonntagabend ganz zu verlassen, etwa für Verwandtenbesuche.
- Was tun die Menschen, die auf ihre nahende Ausreise warten? Die Bewohner arbeiten in den Bundesasylzentren mit, beispielsweise bei der Reinigung oder Essensausgabe. Eine Lohnarbeit ist ausdrücklich verboten, Hilfsarbeiten in der Gemeinde sind möglich. Laut SEM sollen Betreuer dafür sorgen, dass es ausreichend Sport- und Beschäftigungsmöglichkeiten gibt.
- Gibt es eine Schulpflicht? Teils. Weil auch Kinder innerhalb kurzer Fristen aus der Schweiz ausreisen müssen, hält das SEM eine Unterbringung im regulären Schulbetrieb für nicht sinnvoll. Es soll aber Unterricht innerhalb der Bundeszentren für schulpflichtige Kinder und Jugendliche geben.
- Wer betreibt diese Zentren? Das SEM beauftragt für die Organisation des Alltags – hierzu zählen zum Beispiel Ernährung, Hygiene, Bekleidung oder Beschäftigung – externe Unternehmen.
- Wie geht das SEM mit Bewohnern um, die verschwinden? Das Asylgesuch wird dann abgeschrieben. Das SEM erklärt hierzu: "In der Regel verlassen diese Personen die Schweiz."