Marc-Julien Heinsch

Wettterminals leuchten im Dämmerlicht hinter abgeklebten Scheiben. Die Aschenbecher sind gut gefüllt. Flachbildschirme zeigen Fußball, Radsport, Tennis und Tabellen mit den Quoten der Buchmacher.

Einsatz multipliziert mit Quote minus fünf Prozent ist die Formel der Sportwetter.

Ob Tor oder Tie-Break, auf fast alles kann gewettet werden. Samir und Kovan sind fast jeden Tag im TipWin-Wettbüro unweit des Schnetztors. Samir, weil er gerne Wetten auf Tennisspiele platziert. Kovan ist arbeitslos und sagt, er sei lieber im Wettbüro als zu Hause.

Zu Samir und Kovan gesellt sich Jessica Bertarelli. Sie arbeitet im Wettbüro und nennt die Gäste „meine Jungs“ oder „Brüder“. „Alle lieben doch Fußball“, sagt sie, „bei großen Spielen sitzen hier 80 Leute und der Laden kocht.“ Die Atmosphäre lade eben „zum Zocken“ ein.

Das Geschäft mit den Sportwetten läuft glänzend, egal ob stationär oder online.

Wettanbieter sind Partner großer Vereine und in den Halbzeitpausen der Bundesligaübertragungen läuft ständig Werbung für Sportwetten.

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Die Bruttospielerträge privater Sport- und Pferdewetten in Deutschland, also Spieleinsätze abzüglich der Gewinnauszahlungen, wurden für 2017 auf mehr als eine Milliarde Euro geschätzt.

Im Vergleich zum Vorjahr wuchsen sie um 183 Millionen Euro. Und das, obwohl die Rechtslage hierzulande – gelinde gesagt – kompliziert ist.

Sportwettanbieter wie TipWin oder Tipico vermitteln mit Lizenzen aus Malta in Deutschland Sportwetten und werben für ihr Angebot.

Aktuell wird das geduldet, während die Bundesländer an einer Neufassung des Glücksspielstaatsvertrages arbeiten.

Alexander ?Ellinghaus ist beim Regierungspräsidium Karlsruhe für das Glücksspielwesen in Baden-Württemberg zuständig. Er spricht von einer „noch lückenhaften Aufsicht“ auf die Sportwettanbieter.

Der Glücksspielstaatsvertrag von 2012 sah vor, 20 deutsche Sportwettkonzessionen zu vergeben. Konkurrentenklagen ließen das Verfahren scheitern.

„Das führt zu der merkwürdigen Situation, dass es jede Menge Wettbüros gibt, diese aber gar keine deutsche Erlaubnis haben können“, so Ellinghaus.

Ohne deutsche Konzessionen könne nur schwer auf die Verpflichtungen im Glücksspielstaatsvertrag gepocht werden.

Alexander Ellinghaus vom Regierungspräsidium in Karlsruhe. Dort ist er für das Lotterie- und Glücksspielrecht in Baden-Württemberg ...
Alexander Ellinghaus vom Regierungspräsidium in Karlsruhe. Dort ist er für das Lotterie- und Glücksspielrecht in Baden-Württemberg zuständig. Sein Referat hat auch die Aufsicht über das Glücksspiel in Konstanz. Quelle: Pressestelle Regierungspräsidium Karlsruhe.

Mittlerweile gibt es den dritten Glücksspieländerungsstaatsvertrag. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz im März wurde beschlossen, mit Beginn 2020 eine unbegrenzte Zahl an Konzessionen zu vergeben.

Damit sollen Sportwetten aus der Grauzone geholt und der Markt besser kontrollierbar werden. Bis zum neuen Vertrag, der im Juli 2021 kommen soll.

Ellinghaus betont: „Die großen Anbieter hätten lieber eine Erlaubnis. Sie tun in der Regel viel, um die Regeln einzuhalten, haben Sozialkonzepte et cetera.“

Mit über 1100 Wettshops in Deutschland – drei davon im Konstanzer Stadtgebiet – ist Tipico in den Innenstädten präsent.

Auf SÜDKURIER-Anfrage listet ein Tipico-Sprecher einen ganzen Katalog von Maßnahmen zum Spielerschutz auf. Mitarbeiter und Franchise-Nehmer würden etwa regelmäßig geschult, um problematisches Spielverhalten früh zu erkennen und zu melden.

Dieter Puhl hat sein Büro bei der Suchtberatung Konstanz im Klinikum West. Seit 35 Jahren arbeitet er mit Suchtkranken.

„Sportwetten sind in puncto Verfügbarkeit und Gefährdungspotenzial in meinen Augen gleichrangig mit anderen Glücksspielen“, sagt Puhl.

Diplom-Sozialpädagoge Dieter Puhl von der Suchtberatung des AGJ-Fachverbandes für Pravention und Rehabilitation in der Erzdiözese ...
Diplom-Sozialpädagoge Dieter Puhl von der Suchtberatung des AGJ-Fachverbandes für Pravention und Rehabilitation in der Erzdiözese Freiburg e.V in seinem Büro in der Konstanzer Klinik West. Der 65-Jährige arbeitet bereits seit 35 Jahren in der Suchtberatung und hat dort auch mit Spielsüchtigen zu tun. Bild aufgenommen am 23.7.2019 von Marc-Julien Heinsch.

Die Schwelle, ein Sportwettbüro zu betreten, liege aber niedriger als bei Spielhallen. Meist brächten Freunde einen dazu, auch mal zu wetten.

„Auf manche hat das Wetten dann einen Effekt.“ Und dieser Effekt werde die innere Motivationsfeder, immer wieder zu spielen.

„Die Ereignisfrequenz ist entscheidend für das Suchtpotenzial eines Glücksspiels. Live-Wetten haben ein sehr hohes Suchtpotenzial“, erklärt Professor Gerhard Meyer, der am Institut für Psychologie und Kognitionsforschung an der Universität Bremen zu Sportwetten forscht.

Das Gefühl, dass Sportkenntnis und nicht Glück entscheidend für den Spielausgang sei, fördere die Selbstüberschätzung. Gerade Live-Wetten überlagerten Verlustgefühle mit der Hoffnung auf einen neuen Gewinn.

In Zukunft brauche es deshalb einen „möglichst wasserdichten Spielerschutz“ bei Sportwetten.

Etwa mit einer bundesweiten personengebundenen Spielerkarte für alle Glücksspielarten mit Verlustlimit und Sperrfunktion. „Online erspielen weniger als 20 Prozent der Kunden 80 Prozent der Erträge.“

Prof. Dr. Gerhard Meyer vom Bremer Institut für Psychologie und Kognitonsforschung. Foto aufgenommen von Gerhard Meyer.
Prof. Dr. Gerhard Meyer vom Bremer Institut für Psychologie und Kognitonsforschung. Foto aufgenommen von Gerhard Meyer.

Das seien gerade die problematischen Spieler, sagt Meyer und spricht von einem „Interessenkonflikt“ bei den Spielerschutzmaßnahmen der Wettvermittler. „Ob die Anbieter da ihrer Verantwortung gerecht werden, ist fraglich.“

Jessica Bertarelli kennt die Geschichten ihrer Gäste. Das Wettbüro sei für sie Wohnzimmer und Auffangbecken.

„Viele kommen hierher, weil sie Geld brauchen. Denen sage ich auch, dass sie nicht mehr spielen sollen“, erzählt sie.

Die 34-Jährige sieht die Verzweiflung, wenn das entscheidende Tor einfach nicht fallen will.

Sie hat aber auch schon miterlebt, wie ein Kunde mit 70 Euro Wetteinsatz 32.000 Euro gewann. Davon träumen sie auch hier im Konstanzer Wettbüro. Vom großen Spiel und dem großen Gewinn.

Wettbüros und Wettannahmestellen in Konstanz

  • Insgesamt sieben Wettbüros verschiedener Wettvermittler gibt es laut Gewerberegister aktuell im Konstanzer Stadtgebiet. Hinzu kommen Wettannahmestellen, in denen werktags Wetten vermittelt, aber keine Sportübertragungen gezeigt werden dürfen. 2016 öffnete in der Macairestraße ein Wettbüro mit 120 Sitzplätzen, eine große Annahmestelle in der Bodanstraße entstand im April dieses Jahres. Zwischen Spielhallen sowie zwischen Spielhallen und Jugendeinrichtungen gilt ein Mindestabstand von 500 Metern. Für Wettvermittlungsstellen gelten diese Regeln nicht.
  • Zulässigkeit: Ob ein Wettbüro zulässig ist, wird in Konstanz durch die Baunutzungsverordnung und den jeweiligen Bebauungsplan geregelt. Ein Blick in die Vergnügungsstättenkonzeption für Konstanz zeigt, dass Sportwettbüros nur in Kerngebieten grundsätzlich zulässig sind. In Wohn-, Misch- und Gewerbegebieten können sie ausnahmsweise zulässig sein. Hier müssen im Einzelfall verschiedene Faktoren gegeneinander abgewogen werden. Wettannahmestellen werden dagegen wie ein Kiosk ohne Aufenthaltsqualität und nicht als Vergnügungsstätten behandelt.
  • Schutz für Spieler: Für alle Wettvermittlungsstellen gilt das Trennungsgebot: Sie dürfen nicht in demselben Gebäude wie Spielbanken, Spielhallen oder in einer Gaststätte mit alkoholischen Getränken und Spielautomaten untergebracht sein. Das zuständige Referat des Regierungspräsidiums Karlsruhe erklärt, dass es in Konstanz in den letzten fünf Jahren zu drei Verstößen gegen das Trennungsgebot gekommen sei.