Der Mann mit dem grauen Cappy, dem grauen T-Shirt und der schwarzen kurzen Hose verschwindet in der Umkleidekabine. In der Hand hält er eine Badeshorts. Ein paar Minuten später taucht er wieder im Sichtfeld der Überwachungskamera auf.
Seine Hände sind leer. Er verlässt den Laden. Sofort geht der Alarm los. Ein Mitarbeiter des Ladens rennt dem Mann hinterher, bringt ihn zurück in das Geschäft und findet in seinem Rucksack die Badehose. Die Diebstahlsicherung ist noch an der Hose.
Der Fall von Mamun H. ist ein typischer Ladendiebstahl. Eigentlich nichts besonders am Konstanzer Amtsgericht. Doch ein Detail macht den Fall besonders: Zwischen der Tat und der Verhandlung liegen gerade einmal 24 Stunden. Der Angeklagte ist in einem beschleunigten Verfahren verurteilt worden.
Seit März hat die Staatsanwaltschaft Konstanz bereits neun solcher Verfahren verhandelt. Das berichtet Andreas Mathy von der Staatsanwaltschaft Konstanz. „Überwiegend wurden Diebstähle verhandelt, zwei Mal ging es um Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch oder Beleidigung“, sagt Mathy.
Dafür haben das Amtsgericht und die Staatsanwaltschaft mehr Personal bekommen. „Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, mehr beschleunigte Verfahren anzugehen“, sagt Mathy. Einmal sei es sogar schon gelungen, einen Fall direkt am Tattag vor Gericht zu bringen.

Voraussetzungen für diese Schnellverfahren sind: Der Sachverhalt ist einfach, die Beweislage klar – zum Beispiel bei einer Körperverletzung oder eben einem Diebstahl. „Die Angeklagten werden ausnahmslos auf frischer Tat ertappt und es erfolgt direkt eine Festnahme. Die Beweislage bei beschleunigten Verfahren ist nie kompliziert“, erklärt Mathy weiter.
Angeklagter fühlt sich ungerecht behandelt
Im Fall des 27-Jährigen ist die Beweislage wirklich nicht kompliziert, seine Aussagen allerdings schon. Der Mann aus Bangladesch lebt schon seit 13 Jahren in Italien, Deutsch kann er nicht. Aber auch sein Italienisch ist schlecht – das sagt zumindest die vom Gericht gestellte Dolmetscherin. Immer wieder muss sie beim Angeklagten seine Antworten erfragen, ihn zurück zur eigentlichen Frage lenken.
Regelmäßig redet er sich in Rage, wird laut und gestikuliert wild. Der Mann, der erst seit 10 Tagen in Konstanz und auf der Suche nach Arbeit ist, fühlt sich ungerecht behandelt. Er habe immerhin nur eine Hose gestohlen, die er eigentlich habe bezahlen wollen und werde wie ein Mörder behandelt, beschwert er sich über seine Dolmetscherin.

Hier kommt wieder ein kleines Detail ans Licht. Der Angeklagte hatte bei seiner Tat ein Schweizer Taschenmesser in seinem Rucksack. Weil er dieses Messer mit sich führte, gilt der Tatvorwurf: Diebstahl mit Waffe. Bis zu zehn Jahre Gefängnis stehen auf diese Straftat.
Mamun H. erklärt aber, er habe das Schweizer Taschenmesser immer dabei. Es sei sein Besteck und er schneide sich damit auch die Fußnägel. Diese Erklärung überzeugt auch Staatsanwältin Held, weswegen sie zu Gunsten des Angeklagten von einem minderschweren Fall ausgeht. Sonst wäre das zu erwartende Strafmaß deutlich höher.
Das zu erwartende Strafmaß ist ebenfalls ein entscheidender Faktor für ein beschleunigtes Verfahren. Nur wenn eine Freiheitsstrafe unter einem Jahr zu erwarten ist, kann ein beschleunigtes Verfahren angestrebt werden, erläutert Mathy.
Ist ein Strafmaß unter sechs Monaten Gefängnis zu erwarten, bekommt der Angeklagte auch keinen Pflichtverteidiger. Deswegen sitzt neben dem Beschuldigten Mamun H. auch kein Rechtsanwalt auf der Anklagebank. „Er kann sich aber einen Anwalt nehmen“, sagt Staatsanwältin Held zum SÜDKURIER während einer Verhandlungsunterbrechung.
Es gibt keinen Pflichtverteidiger
Aber der 27-Jährige hat keinen Rechtsbeistand. Viel geändert hätte das wahrscheinlich auch nicht. Denn Mamun H. gibt ein Geständnis ab – auch wenn er sich immer wieder in Widersprüche verstrickt. Ob das aufgrund der unzureichenden Sprachkenntnisse erfolgt oder weil er sich herauswinden will, ist nicht ganz klar.
Aber die Beweislage ist eindeutig: die Zeugenaussagen des Verkäufers, des ermittelnden Polizisten des Polizeipostens am Lutherplatz und ein Video der Überwachungskamera. All das lasse keinen Zweifel an der Schuld – sagt auch die Staatsanwältin Held im Vorfeld gegenüber dem SÜDKURIER.
Nach der Beweisaufnahme sieht das auch Richter Fandrousi so. Er sagt: „Ich glaube Ihnen nach der Beweisaufnahme nicht, dass sie vorhatten, die Badeshorts zu bezahlen.“ Von daher ist der Schuldspruch auch keine Überraschung. Mamun H. wird zu vier Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Zusätzlich muss er 80 Sozialstunden ableisten. Richter Fandrousi will den 27-Jährigen wachrütteln. Denn das, was den Richter an meisten stört, ist, dass Mamun H. keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigt. „Das hat mich etwas gewundert“, so Fandrousi.