Mein Großvater war ein offener und diskussionsfreudiger Mensch. Er liebte die Auseinandersetzung mit Menschen, die anderer Meinung waren als er. So wurde es mir erzählt. Nur an einem Punkt kannte seine Diskussionslust Grenzen: Wenn sich jemand antisemitisch äußerte, brach er nicht nur das Gespräch, sondern auch jeglichen Kontakt zu der Person ab.
Die Debatte, die konstruktive Auseinandersetzung mit Meinungen, die nicht die eigenen sind, das Akzeptieren von Gegensätzen sind Pfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Sie werden unter anderem geschützt durch die Meinungsfreiheit. Und diese deckt auch das Äußern von Kritik gegenüber staatlichen Maßnahmen wie etwa jenen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie.
Die Grenzen
Doch dieses Menschen- und Grundrecht kennt Grenzen. Unsere Akzeptanz gegenüber anderen Meinungen kennt Grenzen – und muss sie kennen. Klar überschritten sind diese Grenzen etwa, wenn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit der Nazi-Terror relativiert wird, indem die Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie mit ihm gleichgesetzt werden. Oder wenn althergebrachte antisemitische Verschwörungstheorien hervorgekramt und in neuem Gewand verbreitet werden.
Jeder von uns hat deshalb nicht nur die Pflicht, von unseren Staatsorganen zu fordern, gegen antisemitische Hetze vorzugehen. Auch wir sind gefordert, uns dem entgegenzustellen und nicht stillschweigend darüber hinwegzusehen. Egal ob am Familien- oder Stammtisch, egal ob als Beobachter oder Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen, egal ob in der realen oder digitalen Welt: Werden wir mit Antisemitismus konfrontiert, müssen wir ihn als das benennen, was er ist und klar widersprechen – und notfalls, wie mein Großvater, alle Verbindungen kappen.