Vergangene Woche berichtete der SÜDKURIER in einem Artikel über die 2G-Bändchen, die im Konstanzer Einzelhandel eingeführt werden sollten: Wer will, erhält an verschiedenen Ausgabestellen ein farbiges Bändchen, wenn er seinen Geimpften- oder Genesenen-Status nachweist. Für den Zutritt in Geschäfte müssen damit nicht mehr jedes Mal Covid-Zertifikat und Ausweis vorgezeigt werden – es reicht das Bändchen am Handgelenk.

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Kaum war der entsprechende Artikel online erschienen und auf der Plattform Facebook geteilt, hagelte es Kommentare verschiedener Internetnutzer. Darunter auch solche, die der SÜDKURIER aufgrund seiner Online-Netiquette entfernt hat.

Hier einige Beispiele:

„Mich erinnert das an die Sache mit den Juden“

„Jetzt reicht es....... Seid Ihr denn noch ganz sauber ??? Als nächstes dann einen Stern ???“

„Danke, kann darauf verzichten ! In den 30ern gab es den gelben Stern und hier gibt es das Bändchen“

(Anm. d. Red.: Fehler in Orthografie und Rechtschreibung wurden für eine bessere Lesbarkeit redaktionell behoben)

Reaktionen auf die Möglichkeit, in Konstanzer Läden ein Bändchen am Handgelenk zu tragen, um die 2G-Kontrollen zu vereinfachen, gab es auch im Telegram-Kanal der Gruppe „Freidenken Konstanz“, welche die Corona-Maßnahmen kritisiert. Dort kommentierte ein Mitglied die Bändchen mit dem Satz: „Aus dem Dritten Reich wirklich nichts gelernt.“

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Auf Demonstrationen von sogenannten Querdenkern und Impfgegnern in deutschen Städten werden die Corona-Maßnahmen immer wieder mit der systematischen Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens in Europa durch die Nationalsozialisten gleichgesetzt, der Nazi-Terror damit relativiert.

Gleichzeitig werden Verschwörungstheorien verbreitet, wonach einzelne Juden – oder das Judentum an sich – für die Pandemie verantwortlich seien. Bereits im November warnten Fachleute in einem Online-Beitrag der Tagesschau davor, dass sich diese Form des Antisemitismus verfestige.

Was sagen jüdische Konstanzer dazu?

Der SÜDKURIER hat mit dem Rabbiner der Konstanzer Synagogengemeinde, Avraham Radbil, und dem Soziologen Robert Ogman darüber gesprochen, was solche Bilder und Parolen von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen bei ihnen als jüdische Konstanzer auslösen. Eine dritte Ansprechperson hat die Freigabe für ihr Zitat vor der Veröffentlichung zurückgezogen.

Avraham Radbil

Avraham Yitzchack Radbil lebt in Konstanz und ist Gemeinderabbiner der hiesigen Synagogengemeinde.
Avraham Yitzchack Radbil lebt in Konstanz und ist Gemeinderabbiner der hiesigen Synagogengemeinde. | Bild: Marcel Jud

„Wenn die Ermordung von über sechs Millionen Menschen benutzt wird, um sich zu profilieren, macht einen das sprachlos. Einige unserer Gemeindemitglieder haben die Shoah selbst überlebt oder sind Kinder von Shoah-Überlebenden. Es ist schrecklich, zu sehen oder zu lesen, wie die Shoah relativiert wird und sich Menschen, die die Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie ablehnen, mit Anne Frank gleichsetzen oder gelbe Sterne tragen. Läge diesen Menschen das Schicksal von Juden wirklich so am Herzen, würden sie sich mehr gegen Antisemitismus einsetzen, vor allem in den eigenen Reihen. Dass sich das, was teilweise auf Demonstrationen von Querdenkern zu sehen und zu hören ist, im Alltag hier in Konstanz bemerkbar macht, kann ich nicht sagen. Wie bereits früher, kommt es vor, dass manchmal jemand gegen die Tür der Synagoge tritt oder spuckt. Und wir sind einfach froh, dass nichts Schlimmeres passiert. Aber klar, sollte das nicht normal sein, nicht zu unserem Alltag gehören. Ebenso wenig, wie es normal sein sollte, dass bei jeder unserer Veranstaltungen in der Synagoge die Polizei vor der Tür stehen muss.“

Robert Ogman

Robert Ogman, der gebürtige US-Amerikaner und promovierte Soziologe lebt seit mehreren Jahren in Konstanz und ist Bildungsreferent bei ...
Robert Ogman, der gebürtige US-Amerikaner und promovierte Soziologe lebt seit mehreren Jahren in Konstanz und ist Bildungsreferent bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. | Bild: Marcel Jud

„Einerseits ist es total lächerlich, das Maskentragen oder die Impfungen mit einer systematischen Verfolgung, wie jener der Juden im Dritten Reich, zu vergleichen. Deshalb ist es manchmal schwierig, das ernst zu nehmen. Und gleichzeitig weiß man, dass man das ernst nehmen muss. Denn auf Demonstrationen werden immer wieder alte Verschwörungsmythen ausgepackt, etwa, dass die Welt durch die Rothschild-Familie beherrscht wird oder neuerdings durch den Shoah-Überlebenden George Soros. Das sind antisemitische Codes. Im Laufe der Geschichte wurden Juden und Jüdinnen immer wieder zu Unrecht beschuldigt und anschließend angegriffen. Das findet auf Corona-Demos schon wieder statt. Doch wir sehen auch, dass Verschwörungstheorien auch zerstörerisch für die Leute selbst sein können, die an sie glauben. Wie viele Menschen, die nicht an Corona geglaubt haben, sind auf Intensivstationen gelandet, sind gestorben? Menschen, die so überzeugt sind von ihren Wahnvorstellungen, dass sie in der Lage sind, sich selbst zu zerstören, und nicht vor dem eigenen Tod Halt machen, das ist gefährlich. Für die Gesamtgesellschaft ist das eine Gefahr. Das macht mir Angst, als Mitglied dieser Gesamtgesellschaft, dieses selbstzerstörerische Gewaltpotenzial. Als jüdische Person finde ich es verletzend, wenn auf Kundgebungen oder in Internetforen das in der Shoah erlittene Leid heruntergespielt und nicht ernst genommen wird. Und wenn man nicht mehr in der Lage ist, diese gesellschaftliche Katastrophe zu erkennen, läuft man Gefahr, sie zu wiederholen.“

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