Über Corona und die Impfungen ist im Internet viel zu lesen – doch nicht immer stimmt es. Andere Behauptungen haben durchaus einen wahren Kern. Doch wie schätzen Experten die Faktenlage ein? Ein Überblick.
Behauptung 1: Für junge Menschen und Kinder ist Corona ohnehin nicht gefährlich.

Sebastian Freytag, Geschäftsführer des Tuttlinger Klinikums: „Ohne einen Maßstab oder Bezug ist das eine ziemlich inhaltsleere Feststellung! Richtig ist, dass Erkrankungen mit schweren oder tödlichen Verläufen sehr selten sind. Eine junge Frau mit leichtem Übergewicht und Asthma hat im Falle einer Covid-Erkrankung ein Risiko von etwa 1 zu 160 ins Krankenhaus zu müssen und etwa 1 zu 12.500 daran zu sterben (Quelle).
Aus dem Paul-Ehrlich-Institutsbericht ist von knapp 50 ursächlich im Zusammenhang mit Covid-Impfungen stehenden Todesfällen bei 92,4 Millionen Impfdosen die Rede (Stand 19. August). Natürlich sind auch schwere Nebenwirkungen zu berücksichtigen, die nicht zum Tode führen. Es ist jedenfalls gesichert, dass die als Beispiel gewählte junge Frau mit Blick auf das Covid-Risiko und das einer Impfung letztere wählen sollte, wenn sie alles tun möchte, um alt zu werden.“
Behauptung 2: Corona ist keine Pandemie der Ungeimpften.
Freytag: „Sowohl mit Blick auf die Ausbreitung der Pandemie als auch die Belastungen des Gesundheitssystems trifft die Aussage, dass es sich um eine Pandemie der Ungeimpften handelt, im Grundsatz erst einmal zu. Bedeutet: Wären alle, die sich aus medizinischer Sicht impfen lassen könnten – zumindest auch die über 12-Jährigen – geimpft und jetzt auch geboostert, hätten wir derzeit keine Pandemie mehr – durchaus allerdings lokale Infektionsgeschehen – und keine grenzwertige Belastung des Gesundheitssystems. Es gäbe zwar auch kranke und schwer kranke Covid-Patienten, aber eben sehr, sehr viel weniger.
Das Wesentliche ist doch, dass Corona uns alle quält, ob geimpft oder ungeimpft. Allerdings könnten eben hautpsächlich die Ungeimpften einen riesigen Beitrag leisten, dies zu ändern!“
Behauptung 3: Ohne den Abbau von Betten hätten wir gar keinen Pflegenotstand.
Freytag: „Ohne Zweifel muss sich die Politik nach Covid Gedanken machen, ob Fehler der Vergangenheit zu heilen sind. Die Punkte sind bekannt, dazu gehört auch falsche Sparpolitik (die vieles teurer gemacht hat). Allerdings gilt auch: Eine Volkswirtschaft kann nicht dauerhaft Krankenhausbetten, schon gar nicht Intensivbetten für Pandemien vorhalten und bezahlen, die dann alle 50 Jahre zu einem ,entspannten Umgang mit einer Krise‘ führen.
Anders ausgedrückt: Wesentliche Ursache der jetzigen Krise der Versorgung ist eben die Pandemie und wäre es auch, wenn die Fehler nicht gemacht worden wären, andere Dinge wirken verschärfend.“
Behauptung 4: Bei der Impfung gibt es nur eine Notzulassung.
Freytag: „Das ist so nicht richtig, hätte sich mittlerweile als Argument längst überholt. Denn es sind nun bereits so viele Impfungen erfolgt und es liegen so viele Daten vor, wie sie für keine Zulassung gefordert ist oder erbracht werden könnte. Selbst wenn der Impfstoff kurz nach der Zulassung ,nicht so gut erforscht‘ gewesen wäre, jetzt ist er es.“

Hartmut Hengel, Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg: „Die mRNA-Impfstoffe sind jetzt mit mehreren Milliarden Dosen verimpft worden. Von daher ist die Erfahrung mit diesen Impfstoffen sehr viel größer als mit den meisten konventionellen Impfstoffen. Welcher Impfstoff hat schon Milliarden Dosen hinter sich?“
Behauptung 5: Sorgen wegen möglicher Spätfolgen sind berechtigt.
Hengel: „Was in zehn Jahren sein wird, kann man tatsächlich nicht abschätzen, das stimmt. Das ist das Restrisiko von 0,0001 Prozent, das bleibt. In der Gesamtabwägung aller Faktoren kann man nicht sagen, dass die mRNA-Impfung riskant wäre. Eine Infektion – je nach Alter und Vorerkrankung – ist das aber schon.“
Behauptung 6: Impfen macht unfruchtbar.
Freytag: „Das ist schlicht falsch und entbehrt jeder Grundlage. Hintergrund einer solchen Behauptung ist die Verwendung von mRNA im Impfstoff, der wiederum mit der DNA als Träger der genetischen Information und damit dem Zeugungsvorgang in Verbindung gebracht wird. Nun ist es so, dass natürlicher Weise mRNA nicht von der menschlichen Zelle in DNA „gewandelt“ oder „eingebaut“ werden kann. Das können nur bestimmte Viren wie der HI-Virus.
Das Virus kann aber nur die eigene RNA in die DNA einbauen – das wissen wir nicht zuletzt durch die Behandlungsverfahren von AIDS – und würde die mRNA des Imfpstoffs, wie alle andere RNA in der Zelle auch, gar nicht erkennen! Im Kontext der Milliarden von Impfungen ist kein Einfluss auf die Vermehrung der Menschheit festzustellen, um es flapsig auszudrücken.“
Behauptung 7: Der Impfstoff kann ins Erbmaterial eingreifen.
Hengel: „Es gibt keinen Anhaltspunkt in der Wissenschaft, dass so etwas passieren könnte. Vor allem, weil es sich um mRNA handelt, nicht um DNA. Wenn man mit DNA impfen würde – solche Impfstoffe gibt es als experimentelle Impfstoffe auch -, könnte man sich das eher vorstellen. Aber die mRNA-Stoffe müsste erstmal in die DNA überführt werden. Das ist eine chemische Reaktion, die fast nicht möglich ist in Körperzellen. Das können nur wenige Viren, nämlich Retroviren, um die es hier ja nicht geht.
Ich halte diese Gefahr für äußerst theoretisch. 100-prozentig ausschließen kann man ja nichts, aber zu 99,99 Prozent würde ich das ausschließen. Wenn man sich das menschliche Erbgut an: Das enthält neun Prozent Viren, da ist also schon jede Menge exogenes Material drin. Und das ist wahrscheinlich gut so. Man kann jedenfalls nicht sagen, dass das zu einer Katastrophe führt – schon gar nicht zu einer individuellen. Unser Erbgut ist in der Lage, fremde DNA zu integrieren und diese dann zu kontrollieren und auch zum eigenen Vorteil einzusetzen.“
Behauptung 8: Die Impfung macht das Immunsystem kaputt.
Hengel: „Natürlich ist jede Impfung ein Eingriff in das Immunsystem. Es wird zu einer Auseinandersetzung gezwungen. Aber dadurch wird es nicht zerstört. Der Immunapparat kann Fehler machen – zum Beispiel, wenn durch das Virus eine Autoimmunerkrankung ausgelöst wird.
Aber die Impfung bewirkt mit viel, viel geringerer Wahrscheinlichkeit eine solche Fehlleistung des Immunsystems als das Virus. Wenn man diese Risiken vergleicht, muss man einfach sagen: Impfen ist vernünftig und Infektion ist unvernünftig. Es ist nicht ganz weiß gegen ganz schwarz, aber es ist ein sehr helles gegen ein sehr dunkles Grau. Wer diese Entscheidung nicht treffen kann, der hat ein Problem.“

Behauptung 9: Ich warte auf den Totimpfstoff, dem vertraue ich mehr als der unerprobten mRNA-Technik.
Freytag: „Das Prinzip des mRNA-Impfstoffes ist gut erforscht (seit etwa 2003). Richtig ist, dass die jetzt eingesetzten Impfstoffe die ersten am Menschen sind. Allerdings ist das Wirkprinzip des mRNA-Impfstoffes sehr gut verstanden, besser als das Wirkprinzip vieler Medikamente. Ein enormer Vorteil gegenüber Totimpfstoffen ist die maßgeschneiderte Wirkung.
Etwas martialisch ausgedrückt: Der Totimpfstoff ist die Schrotflinte und der mRNA-Impfstoff das Scharfschützengewehr. Das Wirkprinzip schließt Spätkomplikationen nach menschlichem Ermessen aus. Es gibt keine wirklich überzeugenden Gründe zu warten!
Behauptung 10: Die aktuellen Impfstoffe wirken gegen Omikron ohnehin nicht. Ich warte lieber, bis es einen angepassten Impfstoff gibt.
Freytag: „Die aktuellen Impfstoffe zeigen eine abgeschwächte Wirkung gegen Omikron, das ist korrekt. BioNTech kommt zum Ergebnis, dass zwei Imfungen nicht vor Ansteckungen, aber vor schweren Verläufen, die Boosterung dann auch vor einer Ansteckung schützt. Das wird für die anderen Impfstoffe möglicher Weise auf zutreffen. Derzeit wird die Pandemie aber noch von der Deltavariante getrieben, die möglicher Weise auch gefährlicher als die Omikron ist.
Ein Punkt ist aber korrekt: Wir müssen uns darauf einrichten, dass wir auf absehbare Zeit ggf. weitere Impfungen benötigen (als Boosterung, nicht als vollständig neue Immunisierung). Es ist gerade deshalb so großartig, dass die mRNA Impfstoffe schnell und sehr gezielt angepasst werden können (geht mit Totimpfstoffen nicht!). Nach der Anpassung ergeben sich keine neuen Risiken oder Komplikationen!“
Behauptung 11: Die Impfung bringt nichts, weil sich auch Geimpfte anstecken und das Virus weitergeben können.
Freytag: „Der erste Teil des Satzes ist falsch. Sowohl die Übertragungsrate des Virus als auch die Erkrankungsrate und die Rate an schweren Verläufen wird drastisch reduziert – immer bezogen auf einen wirksamen Impfschutz also zwei Impfungen gegebenenfalls Boosterung. Dieses Argument ist vergleichbar mit der Behauptung, der Gurt bringt nichts, auch Angeschnallte verunglücken.“
Behauptung 12: Wir müssen uns jetzt jedes halbe Jahr impfen lassen.
Freytag: „Das wissen wir nicht so genau. Man kann hoffen, dass sich die Impfintervalle deutlich strecken. Aber selbst wenn es so wäre, würden das nicht gegen eine Impfung sprechen, da man sich ja auch wiederholt mit Covid infizieren kann. Die Alternative heißt also nicht, einmal erkranken und dann nie wieder.“
Behauptung 13: Da Geimpfte nicht oft getestet werden, aber Ungeimpfte schon, sind Geimpfte Treiber der Pandemie und stecken die Ungeimpften an!
Freytag: „Das ist nicht korrekt. Geimpfte werden nicht so oft getestet, weil sie seltener Überträger der Erkrankung sind. Um so höher allerdings die Inzidenzen sind, um so sinnvoller kann es sein, auch die Geimpften als Übertragungsquelle durch Testung zu identifizieren. Dieses Argument hat allerdings einen richtigen Kern: Die Impfung funktioniert als Strategie eben nur, wenn sich nahezu alle impfen lassen. Ansonsten findet die Ausbreitung weiter ,pandemisch‘ statt und lässt sich nicht zuverlässig eingrenzen. Die Geimpften sind dabei auch gelegentlich Überträger und können erkranken, wenn auch selten und leichter, die Ungeimpften tragen stark zur Ausbreitung und auch zur Belastung des Gesundheitssystems bei.“
Behauptung 14: Impfen ist längst nicht der einzige Weg aus der Pandemie – wie das Beispiel Schweden zeigt!
Freytag: „Schweden hat zirka 15.000 mit oder an Sars-CoV-2 verstorbene Menschen zu beklagen – und das bei zirka zehn Millionen Einwohnern. Deutschland hat im Vergleich dazu zirka 100.000 Tote bei etwa 80 Millionen Einwohnern. Betrachtet man die Zahl der Opfer, ist der schwedische Weg nicht der Bessere.
Wenn man nach einem positiven Beispiel sucht, könnte man Südkorea mit bisher unter 5.000 Todesfällen bei etwa 52 Millionen Einwohnern heranziehen. Dort sind jetzt schon 81 Prozent geimpft. Allerdings zeigt sich, dass diese Quote angesichts hochansteckender Varianten nicht ausreicht, so dass die Fallzahlen in den letzten Wochen auch in Südkorea deutlich angestiegen sind. Ein weiterer Grund ist, dass auch in Südkorea spät mit der Boosterung angefangen wurde. Dem begegnet man mit einer Impfkampagne!“