Hätte man den Matrosen und dem Kapitän des Dampfschiffs „Säntis“ am Tag der Versenkung des Schiffs im Bodensee gesagt, dass 91 Jahre später ein Team von Ingenieuren und Schiffsfreunden die „Säntis“ mithilfe von Hightech-Unterwasserrobotern und einem U-Boot vom Grund des Bodensees bergen, hätten sie einen wohl für verrückt erklärt. Doch genau das soll in den kommenden Wochen im Bodensee passieren. Eine Gruppe von Enthusiasten beginnt in diesen Tagen damit, das am 4. Mai 1933 versenkte Dampfschiff „Säntis“ aus rund 200 Metern Tiefe zu bergen und nach 91 Jahren zurück ans Tageslicht zu holen. Mit einer Crowdfunding-Aktion hat der Verein fast 260.000 Franken gesammelt, um die Bergung finanzieren zu können.

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  • Wie soll die Bergung ablaufen? Das Wrack des Dampfschiffes liegt in 210 Metern Tiefe auf dem Grund des Bodensees. Die Vorbereitungsarbeiten laufen seit mehreren Monaten. Das Team des Schiffsbergevereins arbeitet mithilfe von Unterwasserdrohnen in der Tiefe. Unter dem freigelegten Schiffswrack verlegen die Unterwasserroboter mehrere Leinen. Dazu hat das Team eigens sogenannte Spüllanzen konstruiert, die mittels Wasserdruck Kanäle in den Seeboden unter der „Säntis“ spülen und so den Weg freimachen für die Leinen. Diese werden dann unter Wasser an einer zuvor zusammengeschweißten Bergungsvorrichtung eingehängt.

    Die eigentliche Bergung beginnt, sobald Hebesäcke in der Tiefe an der Konstruktion angebracht und mit Luft gefüllt werden, um Auftrieb zu erzeugen. Für den Leiter der Bergungsmission, Silvan Paganini, ein entscheidender Moment: „Sofern wir das Wrack anheben können und es dabei nicht auseinanderbricht, sollten wir es auch hinauf bewegen können – unser Jahrhundertprojekt beginnt.“ Sobald das Schiffswrack vom Seegrund befreit ist, wird es jedoch nicht schnell an die Oberfläche befördert, sondern ganz langsam hinaufgeholt, bis es eine sichere Transporttiefe unter der schwimmenden Bergungsplattform erreicht hat. Das Wrack des Dampfers wurde bei seiner Versenkung vor 91 Jahren fast vollständig ausgeschlachtet, und sein Zustand könnte die Bergungsmission gefährden.
  • Warum wurde das Dampfschiff versenkt? Das Dampfschiff „Säntis“ war einst das modernste Schiff auf dem Bodensee. Es wurde 1892 mit einer Kohlefeuerung und einem Dreizylinder-Dampfkessel konstruiert und verkehrte 41 Jahre auf dem Bodensee. Zwar wurde das Schiff mehrmals technisch überholt und – damals als erstes seiner Art – auf den Betrieb mit einer Ölfeuerung umgerüstet. Doch bald standen bei dem in die Jahre gekommenen Dampfschiff wieder äußerst kostspielige Revisionen an, die sich nicht mehr rentierten. Aus Kostengründen verzichtete man sogar auf eine Verschrottung, und so wurde es am 4. Mai 1933 mitten im Bodensee versenkt.
  • Können Taucher am Wrack arbeiten? Taucher können am Wrack derzeit nicht eingesetzt werden, da die „Säntis“ mehr als 210 Meter unter der Wasseroberfläche liegt. Zur Vorbereitung und Durchführung der Bergungsmission setzt der Schiffsbergeverein darum mehrere ferngesteuerte Tauchdrohnen ein. Zum Teil haben die Ingenieure die Unterwasserdrohnen selbst konstruiert und technisch aufgerüstet. Die Tauchdrohne, die zum Beispiel mithilfe der Spüllanze die Leinen unter dem Schiffswrack verlegt, hat Paganini aus mehreren Bausätzen selbst gebaut. Die Drohnen verfügen über diverse Kameras, Propeller, Licht, Sonar und Greifer.
  • Wie gut ist der bauliche Zustand des Wracks? Expertenmeinungen gingen in den vergangenen Jahren auseinander, was den baulichen Zustand des Schiffs angeht. Der Stahlrumpf des ehemaligen Dampfschiffs ist nach 91 Jahren auf dem Bodenseegrund bestimmt komplett durchgerostet und löchrig – könnte man meinen. Doch die Erfahrung des Vereins zeigt: Die permanente Kälte von vier Grad, der geringe Sauerstoffgehalt, die komplette Finsternis und das Frischwasser dürften den Zerfall des Schiffs verlangsamt haben.

    Um sich ein genaueres Bild des Zustandes machen zu können, hat der Verein im Herbst 2023 den Kamin des Dampfschiffs gehoben und untersucht. Paganini sagt: „Der Stahl am dünnen Kaminblech hat bereits Lochfrass – auch aufgrund einer Kupferleitung. Dies wird beim Rumpf nicht der Fall sein.“ Der Kamin des Schiffs wurde von Vereinsmitgliedern restauriert und wieder weiß lackiert. Auch das Schweizerkreuz wurde wieder originalgetreu aufgemalt.
  • Was passiert mit dem Dampfschiff nach der Bergung? Ursprünglich war geplant, das Dampfschiff auf der Bunkerwiese in Romanshorn auszustellen und in den geplanten Abenteuerspielplatz zu integrieren. Diese Pläne wurden aber geändert. Was mit dem Schiff im Falle einer erfolgreichen Bergung geschehen soll, ist gemäß Paganini noch offen: „Wir machen einen Schritt nach dem anderen“. Dass das Dampfschiff wieder im Originalzustand über den Bodensee tuckern wird, dürfte schwierig werden, denn: Der Verein hat nach einer engagierten Crowdfunding-Kampagne zwar über eine Viertelmillion Franken an Spendengeldern gesammelt, doch mindestens 13 Millionen Franken würde es kosten, das Schiff wieder fahrtüchtig zu machen.
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  • Was können Zuschauerinnen und Zuschauer sehen? Viel zu sehen bekommen neugierige Zuschauer vorerst nicht. Die rund zwei Wochen andauernde erste Phase der Bergungsmission findet hauptsächlich unter der Wasseroberfläche statt. Der Schiffsbergeverein will jedoch laufend Bilder und Videos von den Arbeiten auf seinen Instagram-Account und auf YouTube hochladen: „Wir versuchen, so gut es geht zu berichten. Das wird eine ziemlich stressige Zeit, und wir müssen unsere Energie etwas bündeln“, sagt Paganini.

Raphael Rohrer ist Reporter unserer Partnerzeitung ‚Thurgauer Zeitung‘.