Nein, nein, er sei doch kein Held, sagt Josef Serges. „Oh doch, für mich schon“, entgegnet Silvia Stadler. Josef, der Kreuzlinger, hat den Garten der Konstanzerin und drei weitere Parzellen gepflegt, während die Grenze für die Tägermoos-Gärtner dicht war. „Gerettet hat er ihn“, sagt sie. „Ach, was“, sagt der über 70-Jährige.
Der Gartenretter freut sich
Die Aufmerksamkeit ist dem großen Mann mit der hellen Schiebermütze und der hellbeigen Jacke nur halb angenehm, er schwingt sich schnell auf sein Fahrrad. Und fährt mit einem breiten Lachen davon.
Es ist Samstagnachmittag. Silvia Stadler betritt ihren Kleingarten. Zwei Monate lang ging das nicht. Die Stadt Konstanz hat es geschafft und eine Ausnahmegenehmigung für die Döbeli- und Tägermooskleingärtner erwirkt. Sie gilt seit diesem Tag. Wer eine Parzelle gepachtet hat, kann mit ausgefüllter Selbstdeklaration einreisen.
Grausame Zeit ohne Garten
Grausam sei die Zeit ohne den Garten gewesen, sagt Stadler. Umso großartiger ist die Stimmung jetzt. Zwischen Pflanzen und Blumen tollen vier Hunde herum. Auch Schwester Andrea und Mutter Hildegard Stadler sind da.

Über die Grenze seien sie gegen 11 Uhr eingereist. Da seien sie nicht kontrolliert worden. Die Nachbarn, die weitaus früher da waren, hingegen schon. Sie hätten sogar ihre Heiratsurkunde vorlegen müssen.
Unterdessen an der Grenze, auf Konstanzer Seite. Iris Pfeil und ihr Mann halten Kriegsrat. Dürfen sie zu dritt im Auto über die Grenze, mit der Journalistin an Bord, oder ist das gegen die Regel? „Da halten wir ja den epidemiologischen Abstand nicht ein“, sagt Charly Pfeil. Sie entgegnet, dass man doch im Auto einfach nichts sprechen könne, zumal alle drei Mundschutz trügen.
Iris Pfeil läuft normalerweise, aber wegen einer Knieoperation ist sie auf das Auto angewiesen. Als der weiße Peugeot Richtung Grenze rollt und Charly Pfeil angespannt aus dem Fenster blickt, ist dort: nichts. Niemand. Kein Grenzer, der das Auto anhält.

Angekommen am Tägermoos stehen dort schon viele Pkw. Der Sound dieses ersten Tages ist das Dröhnen von Rasenmähern. In zwei Monaten wächst viel Gras und Unkraut. Iris Pfeil macht sich auf den Weg zu ihrem Garten. „Ich freue mich so“, sagt sie. Sorge, dass alles kaputt gegangen ist, hat sie nicht. Über den SÜDKURIER hatte sie einen Helfer in der Schweiz gefunden, der das Nötigste für sie erledigte.
„Hach“, seufzt sie, als sie das Gartentor öffnet und mit Mann Charly eintritt.
Es ist noch alles da. Der schöne Teich, aus dem die Rosen ihre ersten Knospen strecken. Blaue Stablibellen fliegen umher. Charly Pfeil geht zielstrebig auf das Gartenhaus zu und beginnt, das Futter für die Vögel aufzufüllen.
„Ich freue mich so sehr“, sagt Iris Pfeil. Von nun an wolle sie wieder jeden Tag ins Tägermoos. Zwei Menschen mit Anglerhüten laufen vorbei und rufen: „Frohes neues Gartenjahr!“ Iris Pfeil lacht gelöst. „Ich bin im Glück!“
Vor der Nachbarparzelle hacken zwei Männer Holz. Es sind die Freunde Daniello und David. Ihre To-do-Liste für den heutigen Tag: „Entspannen, grillen, Unkraut jäten.“
Könnte ein Tag perfekter sein?
Auf dem Parkplatz ein paar Hundert Meter entfernt kommt jetzt Familie Wiedemann an. Es ist nach 14 Uhr, in der Luft schweben weiße, flauschige Weidesamen, und die Vögel zwitschern. Wiedemanns haben frische Erde mitgebracht und freuen sich. Könnte ein Tag perfekter sein?

Im Garten der Konstanzerin Silvia Stadler, ihrer Schwester und ihrer Mutter streiten zwei Hunde um einen Beißring. „Die freuen sich auch, dass sie wieder hier sein können“, sagt Silvia Stadler.
Über den Zaun beugt sich Gartennachbar Michael Holzapfel mit seiner Tochter Apurva. Beide fanden es „blöd“ ohne ihr kleines Paradies.
Zunächst hatte sich Grenzgänger Holzapfel um Silvia Stadlers Rasen und Unkraut gekümmert. Dann übernahm Josef Serges. Denn: „Ich wurde erwischt und musste 100 Franken Buße zahlen“, erinnert er sich. Die Grenzbeamten hätten gesagt, er dürfe zwar zur Arbeit in die Schweiz, nicht aber in den Garten. Damit ist es jetzt vorbei.
Es gibt noch viel zu tun im Tägermoos, und so manches Kraut mag verdorrt sein. Aber die Gärtner sind an diesem Samstag einfach nur glücklich. Der Kampf hat sich gelohnt.