Silvan Meile

Für den Papst wurde es ungemütlich. Im Jahr 1415 bröckelte die Macht von Johannes XXIII. während des Konstanzer Konzils gewaltig. Er war als einziger der drei konkurierenden Päpste in Konstanz anwesend und versuchte, das alleinige Oberhaupt zu werden. Der Plan ging schief. Johannes XXIII. musste schließlich spektakulär aus der Stadt fliehen.

Als Botenreiter verkleidet, passierte er die Stadttore mitten in der Nacht und zog den Untersee entlang. 600 Jahre später ist ein Stück Geschichte aufgetaucht, das an diesen Papst erinnert. Im Tägermoos fand ein ehrenamtlicher Archäologe ein Bleisiegel – auch als Bulle bezeichnet – von Johannes XXIII.

Nach Gebrauch in die Latrine

Historiker Lorenzo Fedel hat im Auftrag des Thurgauer Amtes für Archäologie das Siegel aus Blei unter die Lupe genommen. Die gut erhaltene 600-jährige päpstliche Bulle aus dem Tägermoos sei ein eher seltener Fund und deshalb aus archäologischer und historischer Sicht interessant, erklärt Fedel. Zwar seien im Mittelalter unzählige solche päpstlichen Bleisiegel in den Umlauf gekommen, nicht viele tauchen jedoch heute noch auf.

Diese Stücke dienten im Mittelalter zur Beglaubigung eines Schriftstücks. Oft ging es um Ablässe. „Die Kanzlei des Papstes stellte damals täglich entsprechende Dokumente aus, die mit einer Bleibulle versiegelt wurden“, sagt Fedel. Ein jeweiliges Siegel war zeitlich begrenzt in Gebrauch, dann wurde es entsorgt. Eine Möglichkeit war die Latrine. Und so, vermutet Fedel, ist dieses bleierne Siegel schließlich ins Tägermoos gelangt, wo es 600 Jahre später gefunden wurde.

Göttlicher Beistand für die Saat?

Denn damals führten die Konstanzer regelmäßig Fässer voller Fäkalien und Abfall aus der Stadt. Bei einer Entleerungsaktion könnte somit das spätere Fundstück aus einer Latrine der Stadt Konstanz mitsamt den Fäkalien als Dünger auf einem Feld ausgetragen worden sein. „Dafür spricht der Fundort in der Gemeinde Tägerwilen, der sich auf einer Fläche befindet, die seit dem Mittelalter als Ackerland genutzt worden ist und bis heute weitgehend unbebaut geblieben ist.“

Doch Bleibullen mit Papstnamen gelangten teilweise auch absichtlich auf Felder, weil sie eine religiöse Bedeutung bekamen. Diese behielten sie sehr lange. Dokumente belegen: Auch zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert haben katholische Bauern oft religiöse Medaillen oder Objekte in ihren Feldern vergraben, um ihre Saat mit göttlichem Beistand vor negativen Einflüssen zu schützen.

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Vielleicht fand die Bulle von Papst Johannes XXIII. sogar so den Weg ins Tägermoos. Die These, dass dieser damals selber ein solches Bleisiegel bei sich hatte und es im Tägermoos verlor oder entsorgte, ist dem Historiker zu abenteuerlich. „Es ist unwahrscheinlich, dass die Bleibulle in einem Zusammenhang mit der damaligen Flucht des Papstes steht.“

Ketzerei, Unzucht, Ämterkauf und Sodomie

Johannes XXIII. übernachtete in Ermatingen und floh dann weiter gegen Westen. In seiner Abwesenheit wurde er noch in Konstanz wegen Ketzerei, Unzucht, Ämterkauf sowie Sodomie für schuldig erklärt. Seine Flucht endete schließlich in Freiburg im Breisgau. Daraufhin hielt man ihn im Schloss Gottlieben gefangen.

Gegen Ende des Konzils 1418 kam der abgesetzte Papst für ein hohes Lösegeld frei. Im Folgejahr verstarb er in Florenz. Noch heute führen die Ermatinger den Ursprung ihrer Groppenfasnacht auf den nächtlichen Zwischenhalt des flüchtenden Papstes in ihrem Dorf zurück.