Das Leben hinter den auf Leintüchern gestalteten Transparenten gleicht einer kleinen Idylle: Junge Leute frühstücken, tauschen sich aus, einer spielt Gitarre. Auf die Frage, was an diesem Tag passieren werde, gibt es eine einfache Antwort: „Nun ja, wir wohnen hier“.
Hausbesetzer informieren gründlich
Gewohnt wird in der Markgrafenstraße 10 seit Samstag. Eine Gruppe von 30 bis 40 vorwiegend junger Menschen hat das Haus besetzt. Ganz klassisch, wie man das aus Berlin oder Hamburg kennt. Nur nicht aus Konstanz. Ihre Absicht haben sie mehrfach formuliert: auf Flugblättern, die sich an die Anwohner richten, auf Transparenten, einer Homepage und mit Kreide auf die Straße geschrieben: Es geht darum, auf die ansteigenden Mieten zu verweisen, auf die Verdrängung von weniger gut verdienenden Menschen aus Konstanz.
Die Markgrafenstraße 10 hat die Gruppe, die sich Grafi10 nennt, besetzt, weil das Haus seit vielen Jahren leer steht: seit zehn oder 20, so genau kann sich niemand erinnern. „Die Mieten in der Stadt sind viel zu hoch – nicht nur für uns“, sagt Paul, einer der wenigen Besetzer, der bereit ist, zumindest seinen Vornamen zu nennen.
Besetzer sprechen Konstanzer Probleme an
„Es ist ein allgemeines Problem. Es gibt einen direkten Zusammenhang damit, dass hier mit Immobilien spekuliert wird. Der Immobilienmarkt in Konstanz gibt das her“. Die Hausbesetzer haben sich vor der Haustür auf Bierbänken versammelt, die Gesichter mit Schutzmaske bedeckt und die Stirn vermummt – nicht nur als Schutz vor Corona. Sie wollen unerkannt bleiben.
Den Garten und den Keller gerichtet
Untätig sind die jungen Konstanzer nicht gewesen. Sie haben begonnen, den Garten zu gestalten, der, wie sie berichten, zugewuchert sei. Sie haben Wasser aus dem Keller entfernt – eine Maßnahme, die vor allem die Nachbarn erfreut habe. Einige Wohnräume in dem Mehrfamilienhaus hätten sie so eingerichtet, dass man darin übernachten könne. Wie sie ins Haus gekommen sind, darüber wollen sie nicht reden.

Wohnraum für alle
Die Besetzer haben noch mehr vor: Hier soll Wohnraum für alle entstehen, die sich eine Wohnung in Konstanz nicht leisten können. Im Erdgeschoss des Hauses, in dem früher das Versicherungsbüro des Hausbesitzers untergebracht war, wollen sie ein „Café für alle“ einrichten und einen Infoladen: Zeitschriften aus dem linken Spektrum werden als Lesematerial ausgelegt und jeder Bürger habe die Möglichkeit, Dinge mitzubringen, die er verschenken möchte: ein Umsonst-Laden für den Austausch.
So viel zu den Träumen. Die Realität ist im Moment eine andere. An der Ecke zur St. Gebhard-Straße steht ein Streifenwagen der Polizei.
Polizei greift nicht ein
Die Beamten beobachten die Szene, greifen aber nicht ein. Etwas weiter entfernt parkt ein Mannschaftswagen. Die Polizisten sind in Wartestellung, vorerst passiert aber nichts.

In den Randbereichen des Gartenzeltes, das die Besetzer aufgestellt haben, wird Besuch empfangen: Sympathisanten zumeist, die mit den Aktivisten ins Gespräch kommen. Ella, Studentin, sagt: „Ich wohne hier um die Ecke, das Haus in der Markgrafenstraße 10 steht schon lange leer. Es ist schade um den Top-Standort“, sagt sie. Sie befürwortet die Aktion, weil sie die nötige Aufmerksamkeit für das Problem schaffe. „Alle sind friedlich hier, die Leute bringen Essen. Es wurde Zeit, dass in Konstanz etwas passiert.“
Viele Passanten sympathisieren mit den Besetzern. „Wenn man anders nicht gehört wird, muss man Aufmerksamkeit schaffen“, sagt Sama Amin. Die Preise fürs Wohnen in Konstanz seien einfach zu hoch.
Carmelia Dimella, die bis in die 1980-er Jahre in Konstanz lebte, befürwortet, dass wieder Leben in das Haus einzieht: „Der Besitzer könnte es ja herrichten und die Wohnungen vermieten“. Rolf Kirchmann, Inhaber der Marien-Apotheke, sieht beide Seiten: Die Parole „Miethaie enteignen“ sei ihm zu ultimativ und schließlich sei das Vorgehen der Besetzer Hausfriedensbruch. Dennoch: „Auf die Thematik aufmerksam machen, dass die Probleme für Mieter groß sind, das ist legitim.“
Kritik der Anwohner
Nicht alle sind so positiv auf die Hausbesetzer zu sprechen. Martina Müller, Geschäftsleitung beim Hotel Petershof, hat den ersten Tag der Hausbesetzung in schlechter Erinnerung: „Die Lärmbelästigung war groß, und unsere Gäste hat der Tumult erschreckt“, berichtet sie. Die Besetzer hätten den Gehweg auf der gegenüberliegenden Seite in Beschlag genommen und laut Musik gehört. In der Sache jedoch gebe sie ihnen Recht. Sie frage sich schon lang, warum nichts gegen den Leerstand unternommen werde.
OB gibt sich ebenfalls verärgert über den Leerstand
Am späten Montagnachmittag reagiert die Stadtverwaltung. Er verstehe den Unmut der Demonstranten wegen des Leerstands, lässt sich Oberbürgermeister Uli Burchardt in einer Pressemitteilung zitieren. „Auch ich bin sehr verärgert, dass das Gebäude schon so lang leersteht“, schreibt er. Es handele sich in diesem Fall aber nicht um ein Spekulationsobjekt, sondern um einen komplexen Einzelfall.
Komplexer Einzelfall
Aus Gründen des Datenschutzes könne die Verwaltung keine Details nennen. Im Moment bemühe sich die Stadt darum, dass sie oder die Wohnungsbaugesellschaft Wobak die Immobilie kaufen könne. Im Jahr 2018 habe es bereits eine Instandsetzungsanordnung gegen den Eigentümer gegeben, diese sei vor Gericht bestätigt worden. Da die Stadt mit rechtlichen Mitteln nicht weiter kam, wolle sie das Gebäude nun erwerben.
An diesem Abend jedenfalls richtet es sich die kleine Kerngruppe der Besetzer häu

ich ein in der Markgrafenstraße 10. Im Empfangszimmer im Erdgeschoss hängt ein mahnendes Schild: „Nachtruhe um 22 Uhr!“. Auch sonst wird für Ordnung gesorgt. Ein Plakat am Schreibtisch weist auf die Corona-Abstände hin. Man will doch kein Gesetz übertreten. Die Polizei meldet aus ihrer Öffentlichkeitsabteilung, dass die Beamten vor Ort seien und die Hausbesetzung derzeit einen friedlichen Verlauf nehme. Weitere Maßnahmen würden mit der Stadt abgesprochen.