Antonio Capone steht mit seinem Kaffeebecher vor der Anschlussunterbringung in der Luisenstraße und vertreibt sich die Zeit. Er stamme aus Italien, erzählt er, und sei vorübergehend im Atrium untergebracht, da er im Moment obdachlos sei.
Das vergangene Wochenende, als das Atrium unter Quarantäne stand und ein Bauzaun die Bewohner daran hinderte, das Gebäude zu verlassen, hat er mit gemischten Gefühlen erlebt. Um das Gebäude standen Polizei- und Kräfte eines Sicherheitsdienstes. Ziel war es, zu verhindern, dass Menschen das Gebäude verlassen oder jemand es betritt.

Einige halten sich nicht ans Besuchsverbot
„Es war klar, dass früher oder später ein Coronafall auftritt“, sagt Capone. „Die Eingangstür ist ständig offen. Es gibt ein Besuchsverbot, die Leute halten sich aber nicht daran.“ Mit „die Leute“ meint Capone diejenigen, die zu Besuch kommen, obwohl es verboten ist, sowie Teile seiner Mitbewohner, die sich nicht an die Abstandsregeln hielten.
„Hat nichts mit Rassismus zu tun“
„Ich fand es richtig, dass die Stadtverwaltung einen Zaun hat errichten lassen“, sagt Capone, „es ging um die Sicherheit. Das hat nichts mit Rassismus zu tun“. Es gebe Schlimmeres als ein Wochenende lang im Heim eingesperrt zu sein. Sie hätten Lunchpakete bekommen und die Security-Mitarbeiter hätten auf Wunsch eingekauft.
Er kenne die Familie, deren Mitglieder positiv auf Covid-19 getestet wurden, „nette Menschen“, sagt er. Er hofft, dass die Erkrankten bald wieder gesund sind.
„Klar hatte ich Angst, mich anzustecken, räumt Capone offen ein, „habe ich immer noch“. Er wünscht sich, dass alle, die im Atrium in der Luisenstraße wohnen, Abstand zueinander hielten und das Besuchsverbot ernst nähmen. Mehr brauche es nicht.
Angst vor der Ansteckung haben viele
Auch Abtin Sarlak hat Angst, sich anzustecken. Zunächst aber ist der Iraner, der ebenfalls im Flüchtlingsheim wohnt, froh, dass er negativ getestet wurde. Auch er ist einverstanden mit dem Vorgehen der Stadt. Dass die Polizei vor den Balkonen der Bewohner stand, sei okay gewesen: „Sie tun nur ihre Pflicht“, sagt er am Telefon.
Dankbar, arbeiten zu können
Sarlak hat erst vor wenigen Tagen einen neuen Job in einer Schweißerei angefangen. Daher ist er dankbar, dass er am Dienstag wieder zur Arbeit konnte. Er habe einen Vertrag bis August, der dann verlängert werden soll.
Dennoch hat das ereignisreiche Wochenende Spuren hinterlassen. „Mir war wichtig, was die Menschen, die an unserem Gebäude vorbeigingen, denken. Dass alle hier krank sind etwa“, sagt Sarlak. „Ich habe mich dafür geschämt“.
Abtin Sarlak fühlt sich nicht wohl
Aktuell fühlt sich Sarlak nicht wohl in der Luisenstraße. Er habe im Keller gewohnt, wo alles sehr sauber sei. Dann sei er gebeten worden, umzuziehen. Eine Frau mit Kindern sollte in sein Zimmer ziehen, er war bereit, dafür nach oben zu ziehen. In der jetzigen Lage allerdings fühle er sich im Obergeschoss unwohl wegen der hygienischen Verhältnisse – Dusche und Küche, die jeweils gemeinschaftlich genutzt würden, seien in keinem guten Zustand. Seit mehreren Tagen habe er sich nicht getraut zu duschen – aus Angst vor Ansteckung.
Gespräche mit den Bewohnern von Wiese zu Balkon – unerwünscht?
Mohammad Lorzadeh, ein Landsmann Sarlaks, der schon sehr lang in Konstanz lebt, hat das Vorgehen am Wochenende mitbekommen – von außen. Auch er ist der Meinung, dass die Stadt richtig gehandelt habe. Ein Vorfall stößt ihm aber bitter auf: Er habe sich am Sonntag, auf der Wiese stehend, mit Abtin Sarlak, der auf seinem Balkon stand, unterhalten. Eine Mitarbeiterin der Security-Firma habe ihn auf grobe Weise des Platzes verwiesen. „Verschwinde hier von der Wiese“, habe sie zu ihm gesagt.
Stadt und Landratsamt stehen zu ihrem Vorgehen
Landratsamt und Stadtverwaltung betonen, dass ihr Vorgehen richtig gewesen sei. Inzwischen sind drei weitere Personen aus dem Atrium positiv auf Covid-19 getestet worden, berichtet Landrat Zeno Danner bei einer Pressekonferenz am Dienstagmorgen. Betroffene und Kontaktpersonen seien an einem anderen Ort isoliert worden.
Einer der Infizierten habe seit längerer Zeit gehustet. Durch Verständigungsprobleme sei es knifflig gewesen, die Kontaktpersonen rasch zu ermitteln. Die Situation sei zunächst sehr unübersichtlich gewesen, sagt Danner. Durch das schnelle Testen aller Bewohner hätten Stadt und Landratsamt die Quarantäne rasch wieder aufheben können.

Am Dienstagnachmittag meldet sich die CDU-Fraktion des Gemeinderats mit einer Pressemitteilung zu Wort. Das Vorgehen der Stadtverwaltung sei richtig gewesen, schreibt sie. Wörtlich heißt es: „Das Aufstellen des Zauns war eine sinnvolle Akutmaßnahme, um das Besuchsverbot wirksam durchzusetzen und die Bevölkerung vor Ansteckungen zu schützen.“ Zu dieser Maßnahme sei die Stadt verpflichtet. Der Rassismus-Vorwurf, den die Seebrücke erhoben habe, sei nicht nachvollziehbar.
Hygiene liegt in der Verantwortung der Bewohner
Dass die Küchen und sanitären Anlagen im Atrium nicht die saubersten sind, räumt die Stadtverwaltung auf Nachfrage des SÜDKURIER ein. Die hygienischen Verhältnisse lägen in der Verantwortung der Bewohner. Manche Bewohner übernähmen gegen eine finanzielle Entschädigung Putzaufträge. „Leider klappt das nicht immer so, wie es wünschenswert wäre“, schreibt die Stadt.
Küchen werden nachts gesperrt
Seit Wochen würden die Küchen nachts durch die Security gesperrt, dadurch habe sich die Hygiene verbessert. Außerdem habe die Heimleitung ein Konzept entwickelt, durch das die Grundregeln besser eingehalten werden sollen. Dabei sei auch eine gründliche Reinigung geplant.
Zur groben Ansprache des Flüchtlingshelfers durch eine Mitarbeiterin des Sicherheitsdienstes schreibt die Stadt, dass es möglicherweise stressbedingt dazu gekommen sein könnte. Die Security-Firma habe aber einen vorbildlichen Job gemacht. Die Chefin habe Kontakt zu allen Flüchtlingen aufgenommen, sie beruhigt und persönlich Essen vorbei gebracht.