Das soll ein Gottesdienst sein? Rockige Live-Musik, tanzende Menschen, die Hände zum Himmel und immer wieder zustimmende Zwischenrufe. Keine Heiligenfiguren, weder Altar noch Kanzel. Ein modern gekleideter Prediger mit Tätowierungen, ein Video-Clip, in dem ein Mann mittleren Alters aus Wien erzählt, dass Gott mit ihm über Spotify direkt über seine Ohrstöpsel Kontakt aufgenommen hat. In der Hillsong Church in der Schneckenburgstraße ist das offenbar sonntägliche Normalität.

Kurz nach 9 Uhr: Die ersten Besucher des Gottesdienstes trudeln ein.
Kurz nach 9 Uhr: Die ersten Besucher des Gottesdienstes trudeln ein. | Bild: Schuler, Andreas

Dürfen Anhänger einer Freikirche wie dieser ehrenamtliche Dienste bei der Obdachlosenhilfe AGJ durchführen? Die Linke Liste stellte im Gemeinderat diese Anfrage und äußerte „ganz erhebliche Bedenken hinsichtlich der staatlichen Neutralitätspflicht, wenn sich Mitglieder einer radikal-evangelikalen Sekte an der Erbringung staatlicher Aufgaben beteiligen“.

Linke Liste: „Wir fürchten, dass dies eine Rekrutierungsplattform werden soll“

Im Arbeitskreis Obdachlosenhilfe sei mitgeteilt worden, „dass sich die Hillsong Church vermehrt und offensiv auf Jugendliche orientiert und an der Arbeit der AGJ beteiligt. Wir fürchten, dass dies eine neue Rekrutierungsplattform für die Sekte werden soll. Menschen in Obdachlosigkeit oder nach Haftaufenthalten (auch hier ist die AGJ stark beteiligt) sind für solche Ansprache besonders anfällig“.

Doch wer sind die Menschen der Hillsong Church? Wir haben einen Gottesdienst besucht. Ein Besucher aus dem Landkreis Konstanz kommt regelmäßig mit seiner Frau und den zwei Kindern. Er möchte wie andere befragte Gottesdienst-Gäste namentlich nicht genannt werden, auch Bilder lehnen sie lächelnd ab. „Wir sind traditionelle Kirchengänger, fühlen uns hier aber auch wohl, da hier alles lockerer ist“, sagt der Familienvater. Und warum versteckt er sich hinter der Anonymität? „Kirche ist sehr persönlich, und dabei soll es bleiben.“

Das Schild über der Pforte zur Hillsong Church und zum Café im Vorraum.
Das Schild über der Pforte zur Hillsong Church und zum Café im Vorraum. | Bild: Schuler, Andreas

Die Kirche hat vor einigen Jahren das große Gebäude der ehemaligen Rieter-Werke gekauft. Nun finden hier Gottesdienste und Treffen diverser Arbeitsgruppen statt. Campus-Pastor Elias Knupp hat von den Vorwürfen in der Gemeinderatssitzung gehört.

Warum Anhänger von Hillsong bei der AGJ aktiv sind? „Das ist eine super Frage“, sagt der Schweizer nach dem Gottesdienst. „Wir möchten an unseren Standorten den Menschen und der Stadt dienen. Das ist uns wichtig.“ Und was ist mit dem Vorwurf der Missionierung und der Rekrutierung im Rahmen sozialer, ehrenamtlicher Dienste? „Wir legen hohen Wert darauf, dass das nicht stattfindet. Ich werde noch einmal darauf hinweisen, dass so etwas nicht vorkommen darf“, versichert Knupp.

Aufnahme von vergangenem Sonntag: So werden Besucher begrüßt.
Aufnahme von vergangenem Sonntag: So werden Besucher begrüßt. | Bild: Schuler, Andreas

Für Holger Reile von der Linken Liste eine übliche Argumentation: Da würden unter dem Deckmantel der Nächstenliebe besonders empfängliche Gruppen ins Visier genommen. Hillsong habe dies schon in städtischen Seniorenheimen versucht – doch nach Intervention von Bürgermeister Andreas Osner und Stiftungsdirektor Andreas Voß sei es nicht dazu gekommen.

Hillsong-Pastorin: „Wir haben eine betende Jugend, hey Leute, das ist so cool“

Untermalt von leiser Musik liest Joanna Haverkamp, führende Pastorin in Deutschland, beim Gottesdienst diverse Krankheiten und Gebrechen vor, unter denen Anhänger von Hillsong leiden. Die Gemeinde solle beten, um für sie Heilung zu erhalten. Aber auch dezentere Wünsche soll Gott erfüllen. Jemand bete für die Heilung von Hautkrebs, sagt die Pastorin, jemand für eine Wohnung, ein anderer gegen Panikattacken, für eine erfolgreiche Prüfung oder das Gelingen der eigenen Ehe. „Durch seine Wunder sind wir geheilt“, ruft sie. „Gott, wir glauben, dass du Heilung schenken wirst.“

Auch Erfolgsmeldungen hat sie zu bieten. Sie flüstert ins Mikrofon: „Jemand hat aufgeschrieben: Danke, dass die Beziehung zu meinem Dad besser geworden ist. Ein anderer schreibt: Seit drei Wochen geht es mir viel besser nach langjähriger chronischer Erschöpfung. Mein Sohn und young and free haben genau vor drei Wochen angefangen, dafür zu beten. Ist das nicht cool? Wir haben eine betende Jugend, hey Leute, das ist so cool.“ Young and free ist eine der Hillsong-Bands. Die Reaktion der Anwesen erinnert an ein Fußballstadion nach einer gelungenen Aktion der Heimmannschaft.

Auf die Bühne der Hillsong Church in Konstanz spielt eine Live-Band.
Auf die Bühne der Hillsong Church in Konstanz spielt eine Live-Band. | Bild: Hillsong Church

Eine Familie wird auf die Bühne gerufen. Das jüngste Kind wird gesegnet. „Dank an Jesus für dieses Kind“, ruft Campus-Pastor Knupp. Die Menschen in der großen Halle erheben sich und strecken ihre Arme in Richtung Kind. Alle mit Corona-Schutzmasken. Wer hinein will, muss sich vorher akkreditieren, nur eine gewisse Anzahl ist erlaubt. „Wir beachten die Einschränkungen streng“, sagt Tobias Friedrichsen, Anhänger der Kirche und zuständig für den reibungslosen Ablauf der Gottesdienste. „Das hier ist alles mit dem Ordnungsamt der Stadt abgesprochen.“

Pastor: „Der Teufel hasst Opfer, denn es war ein Opfer, das ihn zerstört hat“

„Was für ein Vorrecht, Teil dieser Kirche zu sein“, ruft Freimut Haverkamp, der Lead Pastor Germany, ins Mikrofon. Als Echo erntet er tosenden Applaus und laut gerufene Zustimmung. Seine Frau Joanna spricht von einem heiligen Moment einmal im Jahr, wenn in der Kirche ein finanzielles Opfer gebracht wird, „denn der Teufel hasst Opfer, denn es war ein Opfer, das ihn zerstört hat, das ihn besiegt hat. Und wir sind in einem Kampf, wenn man schaut, was überall auf der Welt passiert. Wir bringen ein Opfer, und wir als Kirche werden nach vorne gehen, und der Teufel wird zerstört sein“. Sie preist das Haus, in dem der Himmel wohne und die Weisheit zuhause sei.

Was sagt Pastor Elias Knupp zum Vorwurf, Hillsong sei eine Sekte? „Das kommt auf die Definition an“, antwortet er nach längerem Nachdenken. „Wir gehören dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden an, dem Zusammenschluss deutscher evangelisch-pfingstlicher Freikirchen. Dieser Bund hat die Rechte einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts.“

Tobias Friedrichsen ergänzt: „Würde der Staat einer Sekte diese Rechte zugestehen?“ Der Norddeutsche studiert an einer Fernuni Theologie, zuvor hat er an der Universität Konstanz Wirtschaftswissenschaften belegt, aber nicht abgeschlossen. „Wir finden uns in Jesus“, sagt er. „Jeder kann Teil unserer Kirche werden, wenn man sich auch als Teil sieht. Mitglieder gibt es nicht, nur Anhänger.“

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Hillsong ist darüber hinaus organisiert in der Evangelischen Allianz Konstanz, hier finden sich die Baptisten, die evangelische Kirchengemeinde Wollmatingen, die evangelisch-methodistische Kirche und die freikirchliche Gemeinde Lighthouse. Im Internet schreibt die Vereinigung: „Wir sind Christen aus evangelischen landes- und freikirchlichen Gemeinden und Gruppen in Konstanz [...] Wir sind trotz unserer unterschiedlichen theologischen und geistlichen Prägungen verbunden in der gemeinsamen Liebe zu Jesus und zu den Menschen.“

AGJ: „Die Menschen, die zu uns kommen, sind auch erwachsen und mündig“

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Konstanz distanziert sich dagegen von Hillsong. „Wir wollen mit denen nichts zu tun haben“, sagt die stellvertretende Vorsitzende Marlene Beck. „Wir haben sehr gute Beziehungen zur evangelischen, römisch-katholischen oder zur orthodoxen Kirche, und wir halten uns an die Kirche im eigentlichen Sinne.“ Als sie von der Predigt hört und davon, dass man ein Opfer, also eine Geldspende geben solle, weil der Teufel Opfer hasst, schüttelt sie den Kopf über die Formulierung.

Die Wohnungslosenhilfe der AGJ in Konstanz bietet in den kühlen Monaten November bis März sonntags zusätzlich zum normalen Programm unter der Woche ein warmes Mittagessen und eine Aufenthaltsmöglichkeit an. Um das stemmen zu können, ist die Einrichtung auf ehrenamtliche Hilfe von außerhalb angewiesen.

Leiter Jörg Fröhlich: „Im vergangenen Winter hat die Hillsong Church vier solcher Dienste übernommen. Vier von 20.“ Viel mehr wolle er nicht dazu sagen. Nur noch so viel: „Die Menschen, die zu uns kommen, also unser Klientel, sind auch erwachsen und mündig.“ Soll heißen: Können selbst einschätzen, mit wem sie es zu tun haben.

Die Beratungsstelle der AGJ am Lutherplatz 6. (Archivbild von November 2020)
Die Beratungsstelle der AGJ am Lutherplatz 6. (Archivbild von November 2020) | Bild: Scherrer, Aurelia/SK-Archiv

Holger Reile von der Linken Liste beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Sekten und Freikirchen. „Hillsong ist eine fundamentalistische, totalitäre Glaubensgemeinschaft und betreibt seit Jahren Seelenfang, übt massive Gruppenkontrolle aus“, sagt er. „Von daher möchten wir darauf aufmerksam machen, dass man bei solchen Diensten wie der AGJ vorsichtig sein sollte. Wir sollten uns nicht instrumentalisieren lassen.“

Die sogenannten Gottesdienste gingen fast bis zur Massensuggestion, das sei üblich bei solchen Gruppierungen, sagt Reile. „Und sie versuchen, sich über solche Hilfsdienste ein positives Image zu verschaffen. Da müssen wir ganz klar die Grenzen ziehen.“