Konstanz erreichen die französischen Streitkräfte bereits am 26. April, damit ist der Zweite Weltkrieg am Bodensee vorbei. Zwei Wochen später wird das auch für ganz Europa gelten. Welche Rolle dabei der damals vierjährige Hans Vogel spielte, berichtete der SÜDKURIER bereits kürzlich. Sein Vater und er waren wohl maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Konstanzer Ortsteil Egg friedlich von den Franzosen eingenommen wurde – denn der kleine Hans schwenkte damals eine weiße Fahne.
Allerdings ist er nicht der einzige Konstanzer, der damals Historisches durchlebte. So berichtet Joachim Hotz dem SÜDKURIER, was er damals erlebt hat. Zwar war der heute 81-Jährige, der als Techniker und Nachrichteningenieur lange im Fernmeldeamt gearbeitet hat, 1945 noch ein kleiner Bub, allerdings hat ihm seine Mutter einiges erzählt. So auch alles über einen Vorfall, der für die damals junge Mutter wohl sehr peinlich war – und für den ihr Sohn verantwortlich war.
Der brüllende Junge auf der Marktstätte
„Als die Franzosen eingerückt sind, sind wir spazieren gegangen“, erzählt Joachim Hotz. Mutter und Sohn erreichten die Marktstätte. „Plötzlich kam ein schwarzer französischer Besatzungssoldat auf uns zu und hat mir eine Banane in die Hand gedrückt, um mir eine Freude zu bereiten.“ Der damals erst zwei Jahre alte Junge sei daraufhin furchtbar erschrocken, schließlich hatte er weder je zuvor einen schwarzen Menschen noch diese krumme, gelbe Frucht gesehen.
„Dann ahnte ich Unheil und schrie wie am Spieß vor Angst“, sagt Joachim Hotz und muss schmunzeln, wenn er daran zurückdenkt. „Meiner Mutter war das natürlich sehr peinlich, wollte der Soldat doch nur an mir ein gutes Werk verrichten und mich beschenken.“
Anschließend habe seine Mutter ihm dann erklärt, dass man die Frucht essen könne und er keine Angst vor dem Mann zu haben brauche. Rückblickend freut ihn die Geste des Soldaten auch heute noch. Es sei schon etwas Besonders gewesen, denn „in der Nachtkriegszeit gab es auch nicht alles, was wir heute im Supermarkt finden“. Dennoch: Die Geschichte von der Blamage ihres brüllenden Bubs habe seine Mutter danach im Kreise der Familie immer wieder zum Besten gegeben.

Der Kriegsversehrte, der den „Endsieg“ herbeisehnte
Auch Hans Peter Hillebrand schildert seine Erlebnisse beim Kriegsende als neunjähriger Junge dem SÜDKURIER. So erzählt er, dass seine Mutter damals über die politischen Ereignisse bestens informiert gewesen sei, denn jeden Abend habe sie den Schweizer Sender von Radio Beromünster (Anm. d. Red.: ein damaliges öffentlich-rechtliches Schweizer Radioprogramm) gehört, um informiert zu bleiben.
Das Problem: Niemand dürfte das merken, denn darauf standen empfindliche Strafen. „Unser Radio stand unter dem Tisch und war mit Wolldecken zugedeckt, damit niemand etwas hören konnte, denn auf das Hören von ausländischen Sendern stand die Todesstrafe“, berichtet der heute 89-Jährige.
Außerdem erlebte Hillebrand Auswirkungen des Krieges ganz unmittelbar. „In meinem Zimmer wurde ein junger, großer, blonder Offizier einquartiert, der im Krieg ein Bein verloren hatte, er ist immer mühsam auf einem Bein ins Bad gehumpelt“, berichtet der Konstanzer. Kurz vor dem Einmarsch der Franzosen sei er dann am Türpfosten vor der Küche gestanden und habe gesagt: „Ja, Frau Hillebrand, glauben sie denn nicht an den Endsieg?“
Danach habe er sich tagelang ins Zimmer eingeschlossen. Laut Hillebrand hatte der junge Mann keinerlei Perspektive, keine Ausbildung – und nicht mehr beide Beine. Er habe nach dessen Auszug nie wieder etwas von ihm gehört.
Die Mutter hungerte, damit ihr Sohn zu essen hat
Hillebrand erinnert sich noch, dass er von französischen Soldaten beschenkt worden war, beispielsweise mit Schokolade. Auch er sah in dieser Zeit zum ersten Mal schwarze Mitmenschen. „Ich dachte in meiner kindlichen Denkweise: so schlimm können die Feinde ja gar nicht sein“, erinnert sich Hillebrand.

Doch er erinnert sich auch an etwas, das ihn bis heute emotional zurücklässt. So habe es in der Zeit nach dem Krieg nur sehr wenig zu essen gegeben. Eines Tages schaffte es demnach eine Nachbarin einen Fisch zu ergattern. Mit dessen Fett briet seine Mutter ein paar Kartoffeln für ihren Sohn an. „Als ich die drei Kartöffelchen gegessen hatte, fragte ich meine Mutter: Haben wir noch mehr?“, so Hillebrand. „Nun kullerten ihr die Tränen über die Wangen und erst jetzt sah, dass sie überhaupt nichts gegessen und alles mir überlassen hatte.“
Und weiter: „Wie konnte mir das nur passieren? Ich glaube, es ist für Eltern das Schlimmste, wenn sie ihre Kinder nicht mehr ernähren können“, ist Hillebrand überzeugt, wenn er an dieses Ereignis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zurückdenkt.
Eine beängstigende Begegnung mit den Panzern
Auch der Konstanzer Michael Geigges teilt nach einem SÜDKURIER-Aufruf eine Geschichte seiner Mutter vom Kriegsende am 26. April. So sei sie an dem besagten Tag aus dem Paradies auf dem Weg nach Hause gewesen – alles war totenstill auf den Straßen. „Plötzlich hörte sie Kettengeräusche und schon näherte sich langsam und bedrohlich, von der Lutherkirche her kommend, ein Panzer“, schreibt Geigges dem SÜDKURIER. „Sie blieb im Schock wie angewurzelt stehen. Was tun?“
Mehrmals drehte sich der Panzer mit seiner Kanone in alle Richtungen – nur wenige Meter von der damals jungen Frau entfernt, um wenig später rasselnd in Richtung Gottlieber Zoll weiterzufahren. „So schnell sie konnte, lief sie nach Hause“, schildert Geigges das Ende dieser beängstigenden Begegnung mit den Kriegsmaschinen, die das Ende des Zweiten Weltkrieges nach Konstanz brachten.