Anmerkung der Redaktion: Dies ist der zweite Teil des SÜDKURIER-Sommerinterviews mit Oberbürgermeister Uli Burchardt. Der erste Teil ist bereits auf SÜDKURIER Online erschienen.
Herr Burchardt, machen wir mal ein Fantasiespiel auf: Wenn Sie einen Tag Alleinherrscher über die Stadt wären und was Sie sagen, passiert – was würden Sie tun?
Uli Burchardt: Ich würde ein paar Baugrundstücke als Wohngebiete mit einer Unterschrift startklar machen und schnell mal den Radweg von Dettingen nach Dingelsdorf bauen. So wie früher – nach dem Motto, nimm mal den Grader, schieb das Planum ab, und geh dahinter mit der Asphaltmaschine drüber. Sie hören raus, ich finde unsere deutschen Verfahren heute zu aufwendig.
In der Realität zeigt sich auch am Hafner, dass die Verfahren langwierig sind. Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass da keine riesige Blase platzt?
Was könnte das für eine Blase sein?
Dass die Stadt riesige Erschließungskosten vorschießen muss und dann die Grundstücke nicht verkauft bekommt.
Die Sorge habe ich nicht, die Grundstücke sind begehrt. Allenfalls könnte man sich fragen, ob es uns gelingt, das Konzept durchzusetzen, das zu 100 Prozent spekulationsfrei zu machen. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass es möglich ist, dass dort so gebaut wird, dass wir bezahlbaren Wohnraum langfristig schaffen, anstatt nur Bauträgern die Taschen vollzumachen. Bei der Info-Veranstaltung im Bodenseeforum waren 400 Leute da, der Platz reichte nicht. Die meisten waren junge Menschen, die ich sonst bei so einer Veranstaltung eher selten sehe – junge Familien.
Genau die Altersgruppe, die wir hauptsächlich ansprechen wollten. Klar, ein Konzept, das vor allem auf geteiltes Eigentum setzt, ist in Deutschland noch nicht so etabliert. Aber wir müssen ja auch nicht die Erschließungskosten für alle drei Bauabschnitte auf einmal stemmen, sondern machen das stückweise. Wenn wir nach ein paar Jahren feststellen, dass das Interesse nachlässt, dann hören wir erst mal auf und haben immer noch baureifes Land, das der Stadt gehört. Mit welchem Tempo das dann weiterläuft, werden wir sehen.
Weder am Fohrenbühl, noch in Wallhausen, noch am Döbele stehen Bagger und Kräne, obwohl überall dort im Rahmen des Handlungsprogramms Wohnen gebaut werden sollte. 2024 sind nur 64 neue Wohnungen in Konstanz fertiggestellt worden. Sind Sie damit zufrieden?
Am Marienweg sind zum Beispiel Bagger. Aber nein, zufrieden bin ich nicht. Aber die Bauwirtschaft hängt überall in Deutschland in den Seilen. Das bereitet mir große Sorgen. Ich mache mal die Rechnung auf: Ein Quadratmeter Wohnfläche kostet im Neubau aktuell etwa 5000 Euro. Bei vier Prozent Zinsen und einem Prozent Tilgung sind das pro Jahr 250 Euro Kaltmiete netto pro Quadratmeter, über 20 Euro im Monat.
Und damit habe ich das Grundstück noch nicht finanziert und noch keine Rendite. Gleichzeitig ist in der Öffentlichkeit verbreitet die Erwartung, dass 15 Euro schon eine hohe Miete sind. Entweder es müssen die Zinsen oder die Baukosten sinken – und da habe ich Zweifel –, oder wir müssen uns an höhere Mieten gewöhnen. Deshalb geht im Moment in Deutschland beim Bauen so wenig vorwärts.

Trotzdem bin ich mit dem Handlungsprogramm Wohnen zufrieden. Manche zusätzliche Schleife hat uns auch geholfen. Am Döbele bekommen wir zum Beispiel jetzt ein besseres Projekt als ursprünglich geplant. Auch an vielen anderen Stellen geht es voran, zum Beispiel am Grenzbach, an den Brühläckern in Dettingen. Es war der mühsamere Weg, erst einmal überall in der Stadt nach Möglichkeiten zum Neubau zu suchen, aber ich halte ihn nach wie vor für richtig. Gerade auch in Kombination mit dem großen Wurf am Hafner.
In Ihrem Buch „Menschenschutzgebiet“ gehen Sie hart ins Gericht mit Umweltorganisationen. Wir sehen auch sonst, dass Interessenvertretungen immer mächtiger werden. Was bedeutet das für die Entwicklung der Stadt?
Zunächst mal: Ich gehe hart ins Gericht mit der gesamten Naturschutz-Bürokratie. Ich finde es gut und wichtig, wenn Menschen sich Gehör verschaffen. Es wäre doch schlimm, wenn sie sagten: Es ist mir egal. Ich glaube, wir brauchen dafür neue Formen der Beteiligung mit Zufallsbürgern, Bürgerräten und ähnlichem – also Einrichtungen, die schnell Entscheidungen unterstützen oder flankieren können.
Was mich sehr unglücklich macht, ist, wenn ich Polarisierung sehe. Manches davon kann man auch nach Jahrzehnten nicht heilen, denken Sie nur an die Gräben, die die Debatten um das Konzerthaus und die B33-Trasse aufgerissen haben und die man bis heute spüren kann. Ich bin ein Mensch, der sich wünscht, dass man zusammenkommt und am Ende gemeinsam etwas entwickelt und gemeinsam die Verantwortung dafür trägt.
Klar ist aber auch: Wir haben insgesamt eine viel zu hohe Erwartung an den Staat in Deutschland. Wir haben alle zunehmend die Erwartung, dass der Staat oder auch die Stadt alle unsere individuellen Bedarfe, Bedürfnisse und Wünsche erfüllt. Das wird nicht funktionieren. Daraus resultiert viel Enttäuschung und sogar Wut.
In einer immer heterogeneren Gesellschaft wird die Suche nach dem Kompromiss nun mal schwieriger. Sie verweisen immer wieder auch auf den Gemeinderat, gerade auch bei grundlegenden Finanzfragen. Muten Sie den Bürgervertretern nicht zu viel zu? Müssten Sie nicht viel deutlicher machen, wo Sie als Oberbürgermeister stehen?
Der Oberbürgermeister ist kein König. Ja, ich kann vieles alleine entscheiden, tue ich auch, aber die wesentlichen Dinge entscheidet der Gemeinderat, und ich bereite diese Entscheidungen vor. Idealerweise schaffe ich es, etwas vorzulegen, dem der Gemeinderat dann auch zustimmt. Diese Verantwortung trage ich gerne, und ich beziehe immer klar persönlich Position. Es kommen jedes Jahr einige hundert Ratsvorlagen auf meinen Tisch. Und dann ist der Rat gefragt. Dessen Arbeit hat viel mehr Wertschätzung verdient.
Und da möchte ich mal kurz grundsätzlich werden: Auf dieser Welt ist der Zusammenhalt so wichtig wie nie, weil es starke Kräfte gibt, die die Spaltung wollen. Damit haben sie großen Erfolg, zumal wenn dann in der Hand einzelner Personen noch unfassbar viel Geld, mächtige Algorithmen, Fake News und die krasse Bereitschaft zur Lüge dazukommen, wird es bedrohlich. Ich bin froh, dass wir in Konstanz noch eine breite Mitte haben, die Toleranz auch für andere Positionen mitbringt. Für mich ist es im Moment das Wichtigste, mich dafür einzusetzen, dass das so bleibt. Dass wir zusammenhalten. Wir suchen gemeinsam nach Lösungen, wir feiern gemeinsam Erfolge oder haben eben gemeinsam auch mal einen Misserfolg.
Was könnte, was sollte jeder einzelne Bürger dafür tun, dass das so bleibt?
Da spiele ich den Ball mal an den SÜDKURIER zurück. Sich informieren, das ist wichtig. Zeitung lesen, sich vielleicht mal selbst in den Gemeinderat setzen, all die öffentlich verfügbaren Informationen zum Beispiel auf konstanz.de nutzen. Wir sind eine Demokratie, und wenn wir alle entscheiden dürfen, müssen wir auch alle Verantwortung übernehmen, und dazu gehört es, sich zu informieren.
Sie haben einmal gesagt, Konstanz brauche nicht mehr Strahlkraft. Das hat viele verwundert. Wie haben Sie das gemeint?
Das war konkret auf das Feuerwerk beim Seenachtfest bezogen. Da hat jemand gesagt, Konstanz braucht die Strahlkraft dieses Feuerwerks, und das habe ich verneint. Ansonsten glaube ich, dass Konstanz schon immer weit über sich selbst hinaus gewirkt hat – vom Konzil bis zu unseren exzellenten Hochschulen, die weltweit forschen. Konstanz kann sich nicht in seine Mauern einsperren und sagen: Wir genügen uns selbst. Ein Feuerwerk braucht es dafür aber nicht unbedingt. Feuerwerk kann jeder.
Aber wenn wir eine ökologisch ambitionierte Stadt sein wollen, müssen wir das auch unter Beweis stellen, auch mal mit unpopulären Entscheidungen. Ein Bekanntheitsproblem haben wir jedenfalls nicht. Konstanz hat eine sehr große Strahlkraft. Übrigens: Ich persönlich habe überhaupt nichts gegen Feuerwerk, ich mag Feuerwerke sogar sehr gerne, unseres in Konstanz und auch alle anderen.
Also brauchen wir keine Großveranstaltungen? Wir wollen lieber ein kleineres Seenachtfest, einen kleineren Flohmarkt und das Oktoberfest gibt es schon seit Jahren nicht mehr.
Zuerst mal: Es werden nicht weniger Großveranstaltungen. Es werden eher mehr. Aber was auch stimmt: Die Welt hat sich dramatisch verändert. Wenn man allein überlegt, was zwischen dem Flohmarkt 2024 und dem Flohmarkt 2025 in Deutschland und der Welt passiert ist mit Anschlägen auf Menschenmengen – da kann ich verstehen, wenn das Team sagt, eine Veranstaltung mit 80.000 Menschen und 63 Zufahrten können wir vielleicht nicht mehr stemmen.
Für 2025 hat der Gemeinderat ohne Diskussion gesagt, dass die Stadt die Hälfte der Mehrkosten für zusätzliche Sicherheit übernimmt, weil die Bürger diese zusätzliche Sicherheit ja auch erwarten. Und anders als beim Seenachtfest ist da kein großes Budget dahinter. Also wäre es ein Weg, den Flohmarkt neu zu erfinden, an sicheren, grenzüberschreitenden Orten wie Klein Venedig, aber das ist erst noch zu diskutieren.
Beim Seenachtfest habe ich mich persönlich positioniert und sage weiterhin: Es ist sicher im Interesse des Veranstalters, mehr Karten zu verkaufen. Ich frage mich aber: Was ist für die Stadt am besten? Das sollten wir selbst entscheiden und uns nicht vom Veranstalter sagen lassen. Und so haben wir es gemacht und das Seenachtfest wird es ganz bestimmt weiter geben. Das Oktoberfest habe ich immer gemocht, aber es war der Veranstalter, der sich zurückgezogen hat. Wenn jemand ein hochwertiges Oktoberfest veranstalten möchte, gerne. Allerdings hören wir, dass es sehr schwer ist, dafür das benötigte Personal zu finden. Aber wir arbeiten schon an einer Idee für eine neue Art von Herbstfest.
Macht Ihnen Ihre Aufgabe eigentlich noch Spaß?
Meistens ja. Es wäre gelogen zu sagen, jeden Tag stehst du auf und sagst: Wie schön. Aber jetzt, im 13. Jahr, sehe ich, wie viele Dinge sich zu fügen beginnen. Der Bahnhofplatz wird fertig, und wir bringen das C-Konzept für den Altstadtverkehr in die Umsetzung. Das Europaquartier entsteht, und der Fernbus-Bahnhof nimmt 10.000 Busse pro Jahr aus der Altstadt raus. Der Hafner, das vielleicht wichtigste Projekt der letzten hundert Jahre, kommt ins Laufen. Das alles gestalten und begleiten zu können, macht Spaß. Und, mit Winfried Kretschmann gesprochen, es macht vor allem auch Sinn.
Drei Amtsjahre haben Sie noch vor sich. Was wollen Sie bis dahin noch erreichen?
C-Konzept, Hafner und Handlungsprogramm Wohnen habe ich schon erwähnt. Den Haushalt auch. Hinzu kommt der Wirtschaftsstandort Konstanz. Darauf werde ich in den nächsten Jahren verstärkt mein Augenmerk legen. Der neue Beirat für Wirtschaft, Hochschulen und Standortpolitik nimmt im Herbst seine Arbeit auf, und am Hafner bekommen wir auch endlich große neue Gewerbeflächen. Darin liegt eine große Chance, und wir stehen vor der Gestaltungsaufgabe, uns zu überlegen: Bekommt sie derjenige, der am lautesten schreit? Oder der, der am meisten zahlt? Oder der, der das interessanteste Konzept vorlegt? Ich bin für Letzteres. Deshalb will das gut überlegt sein.

Was war die beste Entscheidung, die in den vergangenen 13 Jahren von Ihnen oder unter Ihrer Regie getroffen wurde?
Das Handlungsprogramm Wohnen.
Und welche Entscheidung würden Sie gerne rückgängig machen, wenn Sie könnten?
Ich würde das mit dem Bodenseeforum anders machen. Ich würde den Businessplan der Berater viel härter hinterfragen und mit der Annahme starten, dass wir eben eine Million Euro oder mehr pro Jahr brauchen, um so ein Haus zu betreiben. Dass wir das Haus brauchen, ist längst bewiesen. Aber dass da mal eine schwarze Null in den Raum gestellt wurde, war aus heutiger Sicht falsch, und es hat zu einem Makel geführt, den das Bodenseeforum nicht verdient hat. Wenn diese Entscheidung damals besser vorbereitet gewesen wäre, hätten wir heute darüber Frieden.
Denken Sie darüber nach, 2028 ein drittes Mal anzutreten?
Wenn ich in zwei Jahren das Gefühl habe, die Stadt will noch, und ich will noch, dann ja. Aber jetzt ist nicht die Zeit, sich tiefer damit zu beschäftigen.
Eine Antwort kommt also erst 2027?
Ja. Anfang 2027.
Wie wohl fühlen Sie sich noch in der Union? Sie haben neulich Markus Söder auf Instagram zurechtgewiesen und im Gemeinderat könnte man glauben, Ihre größte Opposition sitzt inzwischen bei der CDU. Was ist mit Uli Burchardt (CDU)?
Die CDU als Partei der Sozialen Marktwirtschaft und der Europäischen Union steht für mich immer noch für zwei Leitsterne, an denen ich mich gerne orientiere und von denen ich überzeugt bin, dass sie heute wichtiger sind denn je.
Wir führen dieses Gespräch zum Beginn der Sommerferien. Wie verbringen Sie Ihre?
Mit meiner Partnerin, drei erwachsenen Kindern und der Freundin eines Kindes. Wir werden verreisen, für mich geht es zum ersten Mal seit 2016 nach außerhalb von Europa. Darauf freue ich mich nach sehr anstrengenden Monaten sehr.
Müssen Sie das Ortsschild auch mal im Rückspiegel sehen, um sich erholen zu können?
Nein, eigentlich nicht. Ich kann auch in Konstanz sehr gut abschalten, und ich finde es ganz toll, dass Konstanz mich auch abschalten lässt. Ich bewege mich auch in meiner Freizeit sehr gerne hier, und die Menschen respektieren es, wenn ich mal erkennbar privat unterwegs bin. Zum Beispiel wie so viele andere Konstanzerinnen und Konstanzer auch am Hörnle. Auch das spricht für unsere offene Stadtgesellschaft, an der mir so viel liegt. Wir können immer im Gespräch sein, aber man respektiert auch Grenzen.
Sie müssen jeden Tag Entscheidungen treffen. Zum Schluss des Interviews gibt es noch einige, die Ihnen nicht schwerfallen sollten.
Okay…
Bürgertröpfle oder Schimmele?
Schimmele.
E-Bike oder Muskelkraft?
E-Bike. Ich liebe es.
Buch lesen oder Podcast hören?
Hm. Podcast.
Hörnle oder Seerhein?
Hörnle.
Meer oder Berge?
Berge.
Chillzone oder Parkplatz?
Vielleicht gibt es noch eine bessere Idee.
Brahms oder der Boss?
Der Boss. Bruce Springsteen scheint mir, je älter er wird, immer mehr zu einem Vorbild zu taugen.
Herosé oder Stadtgarten?
Herosé.
Eis im Becher oder Eis unter dem Bergstiefel?
Eis in der Waffel.
Tupperdose dabeihaben oder Verpackungssteuer zahlen?
Tupperdose dabeihaben. Ich bin ganz oft mit Mehrweggefäßen unterwegs und zahle tatsächlich nur sehr selten Verpackungssteuer.