Annerose Gurlitt genießt einen hervorragenden Ruf in der Konstanzer Gastronomie-Szene. Die langjährige Chefin des gehobenen, gut-bürgerlichen Restaurants Nicolai Torkel ist eine herausragende Gastgeberin sowie eine empathische Chefin mit Herz. Zum Leidwesen ihrer Stammgäste und Mitarbeiter zieht sie nun einen Schlussstrich.
Die 65-Jährige hat ihren Pachtvertrag mit Gebäude-Besitzerin Spitalstiftung zum Jahresende gekündigt. „Es ist sehr traurig: Ich musste meinen fünf Mitarbeitern kündigen“, sagt sie mit leiser Stimme. „Dieses Gefühl ist fast nicht auszuhalten.“
Warum hört sie auf? „Einerseits habe ich jetzt ein Alter erreicht, mit dem man aufhören kann“, erklärt Gurlitt. „Andererseits sind die Kosten weggelaufen. Strompreise haben sich verdoppelt, Wasserpreise haben sich verdoppelt. Das kann man nicht alles auf die Gäste auslegen, das geht nicht.“

Also beschloss sie, ihrem Lebenswerk ein Ende zu setzen. „Mir blutet das Herz“, gibt sie offen zu. „Das hier war ja irgendwie auch mein Leben. Die Menschen, das Gebäude – das alles wird mir sehr fehlen.“ Andererseits spüre sie auch ein wenig Erleichterung, „denn es gibt noch andere Dinge im Leben als die Arbeit“.
Gibt es Pläne für die Zeit danach?
Was plant sie denn für die Zeit ab Januar 2025? „Ich habe wirklich noch keine konkreten Pläne“, versichert sie, „erst einmal möchte ich das hier gut zu Ende bringen. Dann habe ich genug Zeit, mir Gedanken zu machen“. Sie könne sich aber heute schon vorstellen, als Angestellte eine kleine Tätigkeit in der Gastronomie zu übernehmen.
22 Jahre lang war Annerose Gurlitt die Chefin im Nicolai Torkel und baute sich seither einen hervorragenden Ruf auf. Zuvor arbeitete die gelernte Hotelfachfrau mehrere Jahre im Service des Hauses und managte das Hotel mit seinen sieben Zimmern, bevor sie das Angebot der früheren Besitzerin annahm und sich selbstständig machte. „Ich habe so viele tolle Menschen kennengelernt“, blickt sie mit etwas Wehmut zurück. „Sowohl meine Gäste als auch meine Mitarbeiter sind mir sehr ans Herz gewachsen.“

Spitalstiftung will das Haus sanieren
Auch zu ihren Verpächtern pflegte sie stets ein gutes Verhältnis, was Sabine Schilling, Pressesprecherin der Spitalstiftung, bestätigt: „Die Spitalstiftung hat immer sehr gut mit Frau Gurlitt zusammengearbeitet“, schreibt sie auf SÜDKURIER-Nachfrage. Die Stiftung nutze das Ende des Vertrages, um fällige Arbeiten in dem Gebäude, das 1710 errichtet wurde, durchzuführen.
„Da größere Sanierungsarbeiten anstehen, etwa eine neue Heizung oder energetische Maßnahmen, wird die nächste Zeit kein Betrieb stattfinden. Der Zeitraum richtet sich nach der Dauer der Sanierung. Für die Sanierung sind mehrere hunderttausend Euro eingestellt.“ Geplant sei aber, dass es nach der Sanierung auf jeden Fall weiterbetrieben werde. Sie könne jedoch noch keine Namen oder Tendenzen nennen, „denn hier steht noch nichts Konkretes fest“.
Pierre Hilaire ist seit drei Jahren Küchenchef im Nicolai Torkel, zuvor arbeitete er viele Jahre im Konzil. Als er damals wechselte, nahm er Tijan Dibba, der im Konzil seine Lehre absolvierte, mit zu Annerose Gurlitt. Die zwei bedauern das (vorübergehende) Aus des Hauses, blicken aber zuversichtlich in die Zukunft: „Ich habe schon mehrere Angebote“, berichtet Tijan Dibba. „Aber es ist noch nichts unterschrieben. Wir werden das Torkel aber auf jeden Fall vermissen.“
Der 60-jährige Pierre Hilaire, der auch schon im Fernsehen kochte und sich in der Konstanzer Gastro-Szene großer Beliebtheit erfreut, möchte „noch drei oder vier Jahre arbeiten, dann ist es auch genug“. Verständnis für die Entscheidung ihrer Chefin haben die beiden herausragenden Köche auf jeden Fall. Annerose Gurlitt hofft, dass alle Angestellten gut unterkommen. „Das sind gute Gastronomen und Köche. Ich habe keine Zweifel, dass sie weiterhin Erfolg haben werden.“

Sie bedauert allerdings die grundsätzliche Entwicklung in der Gastronomie: „Die gut bürgerliche Küche verschwindet immer mehr: Der Quaker hat zu, der Adler hat zu, beides in Allmannsdorf. Die kleinen, alleinstehenden Häuser haben es immer schwerer. Und wenn sie die Preise weitergeben an den Gast, dann können die Leute das nicht mehr bezahlen. Das ist die Realität, die sich meiner Meinung nach nicht mehr ändern wird.“