Maurizio Canestrini gibt im Gespräch mit dem SÜDKURIER bei süffigem Weißwein und würzigem Käse den Kampf mit den Tränen auf – er lässt mehrmals seinen Emotionen freien Lauf. „Es war eine schöne Zeit mit viel Respekt, Liebe und Leidenschaft“, sagt er mit brüchiger Stimme und wischt sich mit dem Taschentuch über die feuchten Augen. „Aber das Ende bricht mir das Herz.“

Das Pinocchio war eine Institution. Edel-Italiener der ersten Stunde nicht nur in Konstanz, sondern in der gesamten Region. Mit Gästen aus ganz Europa, ja der halben Welt. Jürgen Klinsmann, Oliver Bierhoff, Usain Bolt, Günter Grass, italienische Fußball-Nationalspieler. Bilder und signierte Trikots an den Wänden zeugen davon. Maurizio Canestrini möchte nicht viel darüber reden: „Ich stehe nicht im Mittelpunkt. Es geht doch nur um meine Küche, mein Essen.“

Im Eingangsbereich des Restaurants hängen ein paar Erinnerungsstücke an prominente Gäste.
Im Eingangsbereich des Restaurants hängen ein paar Erinnerungsstücke an prominente Gäste. | Bild: Schuler, Andreas

Seine Frau Sylvia, eine gebürtige Berlinerin, die 1987 mit ihm nach Konstanz kam, war und ist dem Maestro eine große Stütze. Sie hatten Restaurants in der Hauptstadt und in Norddeutschland. Selbstständig bedeutet nicht weniger als selbst und ständig. „Wir sind gesundheitlich nicht mehr in der Lage, das Ristorante weiterzuführen“, sagt sie.

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Sie wollen „das Leben ohne Arbeit genießen“

Sylvias künstliches Knie muss erneuert werden, Maurizios körperliche Verfassung lässt 14-Stunden-Tage in der Küche nicht mehr zu. Der Küchenchef ist bereits gegangen, seither hat das Restaurant nur noch abends auf. „Meine Kapazität ist am Ende“, fügt er hinzu.

Sie ist 72, er ist 76. „Es ist an der Zeit, das Leben ohne Arbeit zu genießen.“ Diesen Satz sagen sie fast zeitgleich, ohne sich abgesprochen zu haben. Das müssen sie auch nicht. Sie sind auch so ein harmonisches Team.

Sylvia und Maurizio Canestrini lernten sich in Berlin kennen und lieben. Seit den 70er-Jahren geht das Paar gemeinsam durchs Leben.
Sylvia und Maurizio Canestrini lernten sich in Berlin kennen und lieben. Seit den 70er-Jahren geht das Paar gemeinsam durchs Leben. | Bild: Schuler, Andreas

Am Samstag, 11. Mai, hat das Pinocchio ein letztes Mal geöffnet. Danach beginnt der Ruhestand, obwohl sie zunächst einmal Betriebsurlaub haben, bis die Nachfolge organisiert ist. „Urlaub in Italien“, antwortet Sylvia auf die Frage, was danach folgt. „Dann folgt meine große Operation.“

Beide Kinder haben eine Ausbildung zur Restaurantfachkraft absolviert, „doch leider wollen sie das Restaurant nicht übernehmen“, wie Sylvia Canestrini sagt. Und wer übernimmt das Haus, das ein Teil der historischen Stadtmauer ist? „Wir können dazu noch nichts sagen“, versichert sie. „Die Gespräche laufen.“

Heimat Konstanz: „Hier sind wir zu Hause“

Sie sitzen an diesem Mittag an einem Tisch im Restaurant und erzählen über die Erlebnisse ihrer Zeit als Gastronomen in Konstanz. „Diese Stadt ist so international und so schön“, sagt Maurizio. „Hier sind wir zu Hause, Konstanz ist unsere Heimat.“ Hier möchten sie auch bleiben, „denn wenn wir uns nicht wohlfühlen würden, wären wir schon längst woanders“.

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Sylvia erinnert sich an einen ganz speziellen Abend mit Günter Grass und dem Schlagzeuger Baby Sommer. „Sie waren für eine Lesung in Konstanz und haben bei uns gegessen“, erzählt sie und muss herzhaft lachen. „Mein Mann hat ihnen unsere Grappa-Bar gezeigt. Um 6 Uhr morgens sind sie zu Sonnenaufgang glücklich ins Hotel gegangen.“

Für den italienischen Songwriter Zucchero, der damals auf dem Hohentwielfestival spielte und in einem Konstanzer Hotel übernachtete, organisierte sie mitten in der Nacht ein neues Bett, „da er auf dem des Hotels nicht schlafen konnte“.

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Für Maurizio Canestrini stand eine Sache stets im Mittelpunkt: das Kochen. „Alles, was ich zubereite“, sagt er mit Stolz und Überzeugung, „mache ich mit Liebe und Leidenschaft. So, wie es meine Mutter mir gelehrt hat. Ich glaube, ich war schon in Mamas Bauch Koch.“

In der Trattoria der Eltern in der Toskana (in dem Bergdorf Pieve Santo Stefano direkt an der Grenze zur Region Emilia-Romagna) lernte er als Kind, wie man Pasta perfekt zubereitet. „Kochen hat viel mit Respekt und Kunst zu tun“, erzählt er und seine Hände schwingen während dieser Worte so herrlich italienisch rhythmisch durch die Luft.

Sylvia und Maurizio Canestrini erzählen im Gespräch mit dem SÜDKURIER aus ihrem ereignisreichen Leben als erfolgreiche Gastronomen.
Sylvia und Maurizio Canestrini erzählen im Gespräch mit dem SÜDKURIER aus ihrem ereignisreichen Leben als erfolgreiche Gastronomen. | Bild: Schuler, Andreas

„Rezepte benötigen keine Grammangaben. Das Gefühl ist entscheidend. Ich sage immer, wenn mich jemand nach den Mengenangaben fragt: Nimm‘ so viel, wie es braucht.“ Er riecht ein Gericht, fühlt und spürt es – mehr Rezept geht in seinen Augen nicht.

So kam die Familie Canestrini nach Konstanz

Anfang der 70er-Jahre kam Maurizio Canestrini aus seiner Heimat nach Berlin, wo er die Liebe seines Lebens Sylvia kennenlernte und die gemeinsame Tochter Olivia geboren wurde. Das erste Restaurant in der Hauptstadt hieß „Il Padrino“, es folgten „La Famiglia“ und „La Gondola“. Es zog die beiden aus der Großstadt in den hohen Norden nach Plön, wo sie ihr erstes „Pinocchio“ in Eutin eröffneten.

„1987 kamen wir nach Konstanz, es war gerade Suserfest“, erzählt Maurizio mit glänzenden Augen. „Wir kamen aus dem kalten Norden, hier schien die Sonne. Die südländischen Gassen, die herzlichen Menschen, die Nähe zu Italien. Ich habe Sylvia in die Arme genommen und gesagt: Hierher ziehen wir.“ Gesagt, getan. In Konstanz erblickte dann Sohn Michaelangelo das Licht der Welt.

In einer Ecke des Restaurants befinden sich Weine, die schon seit 1987 hier lagern.
In einer Ecke des Restaurants befinden sich Weine, die schon seit 1987 hier lagern. | Bild: Schuler, Andreas

Im Mittwochsmarkt des SÜDKURIER suchten sie nach einer passenden Immobilie für ein Restaurant: Das Löhlinbad stand zur Pacht, ebenso das Tantris, heute der Blaue Engel. „Doch als wir dieses Gebäude hier in der Laube sahen, wussten wir: Das wird unser Restaurant.“ 25 Jahre waren sie Pächter, danach kauften sie die Räumlichkeiten, in denen nun eine Ära endet.

Sylvia und Maurizio Canestrini vor dem Ristorante Pinocchio in der Laube. Am Samstag ist das Haus ein letztes Mal geöffnet.
Sylvia und Maurizio Canestrini vor dem Ristorante Pinocchio in der Laube. Am Samstag ist das Haus ein letztes Mal geöffnet. | Bild: Schuler, Andreas

Konstanzer Gastro-Kenner nehmen Abschied

Manfred Hölzl.
Manfred Hölzl. | Bild: Schuler, Andreas
Bertold Siber.
Bertold Siber. | Bild: Schuler, Andreas
Johann Kraxner.
Johann Kraxner. | Bild: Rau, Jörg-Peter
Herbert Brand.
Herbert Brand. | Bild: Andi Schuler