Das Worst-Case-Szenario habe sie mit ihren Kindern schon besprochen. Die drei müssten zum Vater nach Hessen ziehen, sie selbst würde sich ein WG-Zimmer in Konstanz suchen.
Das sagt sie am Ende eines langen Gesprächs am Esstisch im Wohnzimmer, dem Raum, in dem Anke Schmehl auch schläft. Sie wirkte dabei gefasst, selbstbewusst, erzählte von ihren Kindern, die alle auf weiterführenden Schulen sind, davon, wie sie mit Nichts aus Hessen nach Konstanz kamen.
„Ja, ich schlafe kaum noch“
Sie wirkte wie jemand, der über Krisen nicht jammert – sondern sie meistert. Und eine Krise, in der befindet sie sich: Ihre Vermieterin, die Spitalstiftung, hat ihr vor fünf Monaten wegen Eigenbedarfs gekündigt. Zum 1. September muss sie raus aus der Drei-Zimmer-Wohnung, in der sie mit ihren Kindern lebt.
Etwas über 1000 Euro zahlt sie dafür. Für eine neue Bleibe könnte sie mit ihrer 90-Prozent-Stelle als zahnmedizinische Angestellte bis zu 1500 Euro aufbringen. Seit fünf Monaten sucht sie, bisher gab es nur Absagen.

Doch als die Frage aufkommt, was passiert, wenn sie keine Wohnung in Konstanz findet, muss Anke Schmehl schlucken. Sie wendet sich kurz ab, dann sagt sie: „Ja, ich schlafe kaum noch. Es macht viel aus.“ Sie holt ihr Smartphone hervor, öffnet den Email-Ausgang und scrollt sich durch die Nachrichten. Immer geht es um die Wohnung. Es ist das bekannte Spiel, von dem die meisten berichten, die in Konstanz nach Wohnraum suchen und aus Sicht der Vermieter nicht ideal sind.
Nicht ideal zu sein, das geht hier in Konstanz schnell: Ein Hund reicht aus. Ein kleines Kind. Oder ein Schlagzeug. Die idealen Mieter sollten bitte nicht zu alt sein, nicht zu jung, mit sicherem Einkommen. Alle anderen werden kaum eingeladen – das wird dem SÜDKURIER immer wieder berichtet. „Ich verstehe es nicht, ich habe doch einen guten Job mit gutem Einkommen, habe immer meine Miete gezahlt“, sagt Anke Schmehl.
Vermieter haben die freie Wahl
Natürlich gibt es Vermieter mit sozialem Gewissen. Solche, die bewusst Menschen Wohnraum anbieten, die wenig Chancen auf dem freien Markt haben. Aber Fakt ist: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Und wenn das Angebot rar, aber die Nachfrage hoch ist, haben Vermieter die freie Wahl.
Schmehl ist enttäuscht von der Spitalstiftung. „Sie wirbt mit Gemeinwohl und dann kündigt sie einer Alleinerziehenden?“ Es ist eine Enttäuschung, die sich aufgestaut hat über die Jahre. Immer wieder, so Schmehl, habe es Probleme mit der Wohnung gegeben. Schimmel, Ameisenplage, Pilze, die aus der Wand wuchsen, ausgerechnet im Zimmer ihres kleinsten Sohnes, der wegen seiner Atemwege schon operiert worden sei.
„Der Schimmel im Zimmer meines Kindes hat sich über eineinhalb Jahre erstreckt.“ Von allem hat sie Fotos, zeigt dem SÜDKURIER den seitenlangen Emailverkehr, in dem sie mehrfach nachhakte. Bis auf den Schimmel an den Fenstern sind die Mängel mittlerweile beseitigt. „Aber ich musste jedes einzelne Mal warten und Druck machen, jahrelang.“
„Ich fühle mich so ungerecht behandelt, ich war immer freundlich und habe die Füße still gehalten.“ Dass eine Stiftung einer Alleinerziehenden kündigt – gut hört sich das nicht an. Nur: In Konstanz ist der Wohnraum so knapp, dass selbst für die mit dem drängendsten Bedarf, die Härtefälle, nicht genug getan werden kann.
Wenn eine Frau, die seit sechs Jahren alleine für sich und ihre Kinder sorgt, am Ende in ein WG-Zimmer ziehen und sich von den Kindern trennen muss, wäre das kein Härtefall? Ist die vierköpfige Familie ein Kollateralschaden des angespannten Wohnungsmarktes, der seine Akteure zwingt, zwischen leichten, schweren und besonders schweren Härtefällen zu priorisieren? Hätte die Spitalstiftung anders handeln können?
Weder Wobak und Mieterschutzbund können helfen
Bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Wobak hat sich die junge Mutter gemeldet. Dort wurde ihr gesagt, dass Menschen, die schlimmer dran seien, schon länger suchten. Von Gewalt Betroffene etwa. Das kann Anke Schmehl verstehen, aber es hilft ihr nicht.
„Und nun? Was wird aus uns? Vorgestern haben wir schon wieder eine Absage erhalten.“ Es gibt eine Sozialklausel im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB): Darin steht, dass Eigenbedarfskündigungen unter anderem nicht rechtens sein können, wenn sich Kinder in der Prüfungsphase befinden.
Im September kommt Anke Schmehls ältester Sohn in die 12. Klasse. Sie würde gerne den Rechtsweg gehen, um zu prüfen, ob sie Chancen hätte, zu bleiben, aber dafür fehlt ihr das Geld. „Was ist, wenn ich verliere und die Prozesskosten tragen muss?“ Beim Mieterschutzbund habe sie bereits vorgesprochen, der Anwalt habe ihr wenig Hoffnungen gemacht.
„Kündigung kam vollkommen überraschend“
Die Spitalstiftung erklärt auf SÜDKURIER-Anfrage, wie es überhaupt zu dem Mietverhältnis mit einer Privatperson gekommen sei. Denn eigentlich vermietet die Einrichtung nur an Mitarbeiter von Stiftung und Klinikum. Anke Schmehl sei bis 2018 Untermieterin beim Hospizverein gewesen. Als der Hospizverein umzog und der Mietvertrag mit der Spitalstiftung endete, lief auch Schmehls Vertrag aus.
„Wir haben ihr gerade wegen ihrer besonderen Lebenssituation als alleinerziehende Mutter die Wohnung weiterhin zur Miete überlassen“, schreibt Stiftungs-Sprecherin Rebecca Koellner. Allerdings mit dem Hinweis, dass die Bleibe irgendwann für Stiftungszwecke verwendet werde. „Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen und kann daher nicht überraschend sein“, so Koellner.
Als Anke Schmehl davon erfährt, reagiert sie entsetzt: „Das wurde uns nie gesagt, es kam vollkommen überraschend, ich verstehe nicht, warum die Spitalstiftung so mit uns umgeht.“ Sie hat dutzende E-Mails, in denen sie immer wieder auf Mängel hinweist. „Passiert ist nichts und das über viele Jahre. Ich glaube, das ist der eigentliche Grund, warum sie uns loshaben möchten. In der Kündigung steht, dass eine Senioren-WG ins Dachgeschoss soll.“ Das Schreiben konnte SÜDKURIER der nicht einsehen, da es beim Mieterschutzbund liege.
„Dieser weggefallene Wohnraum fehlt dem Verein woge heute sehr“
Auf SÜDKURIER-Anfrage äußert sich Rebecca Koellner. Man brauche die Wohnung dringend für psychisch erkrankte Menschen, die vom Verein woge betreut werden. Denn: Die bisherige Unterkunft in Böhringen habe wegen der örtlichen Gegebenheiten leider aufgegeben werden müssen. „Dieser weggefallene Wohnraum fehlt der woge heute sehr.“ Die Spitalstiftung habe versucht, die woge anderswo unterzubringen, sich auch an Dritte gewandt. „Allerdings erfolglos“. Man habe nur diese eine Möglichkeit, die WG unterzubringen: In der Wohnung von Familie Schmehl.
Aus Sicht der Spitalstiftung vertrage sich dieses Ziel mit dem Slogan Gemeinwohl-Ökonomie. „Es ist natürlich nicht unsere Absicht, Frau Schmehl und ihre Kinder einfach so ‚auf die Straße zu setzen‘. Wir sind sozial denkend und handelnd, und deshalb wird sich bei gutem Willen auf beiden Seiten ein gangbarer Weg finden.“ Für Gespräche stünde man zur Verfügung und wenn die Familie bis zum 1. September keine neue Bleibe gefunden habe, sei man grundsätzlich bereit, „im Hinblick auf einen Aufschub flexibel zu sein“.
Schmehl sagt: „Das erleichtert mich ein bisschen.“