In der Dreifaltigkeitskirche in der Konstanzer Innenstadt geht am Abend des 3. März 2012 gerade ein Konzert zu Ende. Noch ist niemandem klar, dass ein 26-Jähriger diesen Samstagabend nicht überleben wird. Gegen 21.30 Uhr kommt es in der Rosgartenstraße zu einem Aufeinandertreffen, das die Stadt erschüttern wird.
Zeugen beobachten eine Auseinandersetzung zwischen einem jungen Mann und einem Paar. Kurz darauf fließt Blut auf die Pflastersteine. Die Verletzung am Hals ist tödlich. Weder die Begleiterin des 26-Jährigen, noch Passanten oder herbeieilende Rettungskräfte können ihm noch helfen. Er stirbt mitten in der Fußgängerzone.
Der tödliche Stich in den Hals ist eine Tat aus Eifersucht: Die Freundin des getöteten Mannes, einem marokkanischen Staatsangehörigen, war zuvor mit dem aus Algerien stammenden Angreifer Hassni H. liiert. Er hat mit der Beziehung nicht abgeschlossen. Für die Behörden und auch die Öffentlichkeit wird das erst viel später ans Licht kommen.
Während die Stadt im Schockzustand ist, arbeitet die Polizei auf Hochtouren. Der Verdächtige flüchtet vom Tatort. Ob die Männer sich kannten, ist zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft setzt eine Belohnung von 2000 Euro für Hinweise aus. Ein Merkmal der Täterbeschreibung: Dem jungen Mann fehlt ein Stück des linken Zeigefingers.
Zugriff an der Autobahn
Lange wird die Suche nach ihm nicht dauern. Auch Spezialisten des Landeskriminalamtes und ein mobiles Einsatzkommando sind eingebunden. Nur etwas mehr als 24 Stunden nach dem tödlichen Angriff gelingt es den Ermittlern, den Verdächtigen zu fassen. Der Erfolg ist einer Kombination von Observation, überwachten Telefonverbindungen – und wohl auch etwas Glück, sagt damals ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz.
Der Zugriff kommt gerade noch rechtzeitig, ist damals aus Ermittlerkreisen zu hören. Der junge Mann wird auf einem Autobahnrastplatz im Hegau gefasst. Mit im Auto sind noch zwei weitere Personen. Der Verdächtige wollte sich nach Frankreich absetzen, bestätigt später der damalige stellvertretende Chef der Konstanzer Kriminalpolizei.
Die nach der Tat eingerichtete Mordkommission bleibt zunächst bestehen. Die Kommunikation mit dem Verdächtigen, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt, ist eine Herausforderung. Zwar sind mehrere Dolmetscher eingebunden. Doch der arabische Dialekt, den der junge Mann spricht, bringt sie teilweise an ihre Grenzen.
Details zur Tat lange unklar
Die Ermittler gehen von einer Beziehungstat aus. Die Freundin des getöteten 26-Jährigen soll zuvor eine Beziehung mit dem Tatverdächtigen gehabt haben. Unklar ist aber, ob es sich um ein zufälliges Aufeinandertreffen gehandelt hat, oder der Tatverdächtige seinem Opfer aufgelauert hat.
In der Woche nach der Tat ist die Eile bei der Suche nach dem Tatverdächtigen der Ruhe akribischer Arbeit gewichen. Von einer Mordkommission will niemand mehr sprechen. Die Ermittlungen aber laufen mit unverändertem Nachdruck. Inzwischen wird vorsichtiger von Ermittlungen wegen Totschlags gesprochen.
Eine Tatwaffe ist bislang nicht gefunden worden. Zeugen der Auseinandersetzung haben kein Messer gesehen. Dabei muss eines im Spiel gewesen sein. Die Obduktion des 26-Jährigen hat ergeben, dass mehrere Adern am Hals durchtrennt wurden. Rechtsmediziner stellen mit Sauerstoff aufgeschäumtes Blut im Herzen fest – die Todesursache. Selbst wenn der Angriff in einer Klinik passiert wäre, hätte man ihn nicht retten können, urteilt eine Gerichtsmedizinerin später.
Trotz präziser Aussagen ergibt sich für die Ermittler noch kein Gesamtbild. Wie genau und warum es zu dem tödlichen Angriff kam, bleibt weiter offen. Personen aus dem Umfeld des Verdächtigen werden verhört, es geht um mögliche Hilfeleistung bei der letztlich missglückten Flucht.
Opfer und Tatverdächtiger seien Asylbewerber, heißt es von der Polizei. Einer von beiden untergebracht in Allensbach, der andere in Konstanz. Ihre Identitäten sind zu dem Zeitpunkt noch nicht geklärt. Das bleibt bei dem jungen Mann in Untersuchungshaft noch lange eine Herausforderung.
Vermutlich ist er 22 Jahre alt, heißt es nach der Tat. Doch die Beamten stellen später bis zu fünf Alias-Identitäten fest. Geburtsorte zwischen Ramallah im Westjordanland und Rom, verschiedene Geburtstage – der Mann bleibt zunächst ein Rätsel. Klar ist dagegen, dass er für die Behörden kein Unbekannter ist: Wegen Eigentumsdelikten, Körperverletzung und einer Drohung hatten sie schon mit ihm zu tun.
Erst vor Gericht fügt sich das Bild zusammen
Monate nach dem tödlichen Angriff tritt Hassni H. im Januar 2013 vor das Landgericht Konstanz. Erst hier werden Hintergründe ans Licht gebracht. Im Vorfeld hatte er die Tat noch bestritten, zu Beginn des Verfahrens gibt H. zu, den neuen Freund seiner Ex-Freundin mit einem Messer getötet zu haben. Erst auf energisches Nachfragen des vorsitzenden Richters macht er Angaben zu seiner Person. Er habe Angst, dass seine Familie in Algerien Probleme bekommen könnte, sagt sein Verteidiger.

Der zum Tatzeitpunkt 24-Jährige wird als drittältestes von fünf Kindern in der Vorstadt von Algier geboren. Nach sechs Schuljahren verlässt er das Bildungssystem, beginnt eine Ausbildung im Bereich Metallverarbeitung. Bei einem Arbeitsunfall verliert er ein Stück des Zeigefingers an der linken Hand. Sein Vater ist streng religiös, schlägt zu, wenn sein Sohn die Gebets- und Fastenpflichten nicht einhält.
Mit 18 Jahren verlässt Hassni H. sein Heimatland. Über die Türkei und Griechenland kommt er mit einem gefälschten Pass nach Belgien, bleibt dort zwei Jahre. Doch er zieht weiter, auf der Suche nach einem guten Leben, wie er vor Gericht sagt. In Deutschland stellt er einen Asylantrag und wird nach Konstanz verwiesen.
Dort lernt er eine junge Frau kennen. Eine Zeugenaussage lässt aufhorchen: Die beiden sollen informell nach islamischem Brauch geheiratet haben. Doch die Beziehung hält nicht lange, die informelle Ehe sei 2011 geschieden worden. Was genau zwischen den beiden abläuft, darüber gibt es verschiedene Versionen. Klar ist aber: Während die junge Frau eine neue Beziehung zu einem anderen Mann eingeht, trägt Hassni H. zwei Passbilder von ihr noch während seiner Flucht bei sich.
Zwölf Jahre soll Hassni H. hinter Gitter kommen, so lautet damals das Urteil des Gerichts. Entschieden wurde auf Totschlag, das Mordmerkmal der niederen Beweggründe sei nicht erfüllt. H. habe es demnach nicht darauf angelegt, den neuen Freund seiner Ex-Freundin zu töten, heißt es zur Begründung. Der Täter nimmt das Urteil regungslos mit gesenktem Kopf entgegen.
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