Auf einer Wiese zwischen Wollmatingen und Litzelstetten liegt ein totes Lamm. Das kleine Tier hat ein Loch im Bauch, ihm fehlen die Augen. Diese Szene ist auf einem Foto zu sehen, das die Konstanzerin Jessica Lang an die SÜDKURIER-Redaktion schickte. [Wir verzichten an dieser Stelle auf die Veröffentlichung des Bildmaterials, Anm.d.Red.]

Die Konstanzerin schreibt in der E-Mail, in der auch die Bilder eingefügt sind, dass sie täglich mit ihrem Hund am Bettenberg spazieren gehe und auf den schlechten Zustand der Tiere aufmerksam machen wolle. Im persönlichen Gespräch schildert sie weitere Eindrücke: Immer wieder sehe Lang tote oder verletzte Lämmer, die von Rabenvögeln angepickt worden seien. „Es hat mir das Herz zerrissen, das zu sehen“, so die 32-Jährige.

Um sich selbst ein Bild vor Ort zu machen, geht die SÜDKURIER-Reporterin zur Weide – und trifft dabei auf die Schäferin. Elischa Serpi heißt die junge Frau. Ihr gehört die rund 500-köpfige Schafherde, die auf den Weideflächen am Bettenberg grast.

Seit sie denken kann, kümmert sich Elischa Serpi um Schafe. Todesfälle auf der Weide seien traurig, aber Teil der Natur, sagt die ...
Seit sie denken kann, kümmert sich Elischa Serpi um Schafe. Todesfälle auf der Weide seien traurig, aber Teil der Natur, sagt die 27-Jährige. | Bild: Maike Stork

Die Schäferin läuft zwischen ihren Tieren umher, ihre zwei Hunde spielen im Gras. Von verletzten oder toten Schafen ist zu diesem Zeitpunkt nichts zu sehen. Serpi erklärt, sie hüte ihre Schafe nicht, sie kopple sie. Das heißt, sie steckt alle ein bis drei Tage die Weideflächen neu ab, damit die Tiere stets genug Futter haben. „Die Herde dient vor allem der Landschaftspflege“, sagt sie. Dabei seien die Schafe ganzjährig draußen in der Natur – wo sie in der Regel alt werden dürfen, so Serpi. „Wir schlachten zwar auch, aber nur auf Bestellung. Das sind Nebeneinnahmen.“

Viele Todesfälle im vergangenen Jahr

Dass vermehrt besonders Lämmer auf ihren Weiden sterben, streitet Elischa Serpi nicht ab. „Letztes Jahr war es extrem“, bedauert sie. Damals habe es viele Schwer- und Totgeburten gegeben. „Das war für uns sehr hart und schwierig“, so die Schäferin.

Etwa 30 bis 40 Lämmer seien gestorben – das sind laut Serpi etwa doppelt so viele wie normal. Warum es damals so kam, könne sie final nicht erklären. „Es haben wahrscheinlich viele Faktoren zusammengespielt“, sagt sie – darunter ein verstärkter Wurmbefall der Tiere und Infektionen, die das Immunsystem schwächten.

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„Wir kämpfen aber um jedes Leben“, betont Serpi. Während der Lammzeit – also von Februar bis Mitte Mai – fahre sie dreimal täglich zur Weide, um nach ihren Tieren zu sehen. „Aber in der Zeit, in der ich nicht da bin, kann immer was passieren.“ Was das ist, erklärt die 27-Jährige beispielhaft: „Besonders Zwillingsgeburten sind gefährlich.“

Manchmal komme es vor, dass die Mutter so schockiert von der Geburt des ersten Lammes ist, dass sie weglaufe. „Dann fällt ihr irgendwann ein: ‚Oh, da war ja was.‘ Aber dann kann es schon zu spät sein.“ Denn in der Zwischenzeit seien die Kleinen vor allem wegen einer anderen heimischen Tierart in großer Gefahr – den Krähen und den Kolkraben.

(Archivbild) Kolkraben sind Rabenvögel mit einer Größe von 54 bis 67 Zentimetern. Weil sie mit ihren Schnäbeln junge oder geschwächte ...
(Archivbild) Kolkraben sind Rabenvögel mit einer Größe von 54 bis 67 Zentimetern. Weil sie mit ihren Schnäbeln junge oder geschwächte Nutztiere angreifen, werden sie mitunter auch als Killer-Raben bezeichnet. | Bild: Dr. Roland Knauer | SK-Archiv

Die Vögel hätten es auf geschwächte Tiere abgesehen, erklärt Serpi. Darunter oft neugeborene Lämmer. „Sie gehen als erstes an die weichen Stellen wie die Augen oder den Bauch“, sagt die 27-Jährige. „Oftmals picken sie so sehr auf sie ein, dass sie es nicht überleben.“ Die Raben seien in der Region eine wahrliche Plage. „Bei gutem Wetter sind oft 100 von ihnen mit auf der Wiese.“

Was sagt das Veterinäramt?

Weil die Spaziergängerin Jessica Lang so besorgt um die Lämmer war, informierte sie im vergangenen Jahr das Veterinäramt. Dieses sei unmittelbar nach der Anzeige tätig geworden, wie eine Sprecherin auf Nachfrage mitteilt. „Es gab zum damaligen Zeitpunkt keinen Grund zur Beanstandung“, gibt sie weiter an. Auch dieses Jahr sei eine Vorortkontrolle durchgeführt worden, bei der alles in Ordnung gewesen sei.

Die Schafe von Elischa Serpi sind etwas schüchtern, wenn man sich ihnen nähert. Die beiden Lämmer im Zentrum des Fotos wurden auf der ...
Die Schafe von Elischa Serpi sind etwas schüchtern, wenn man sich ihnen nähert. Die beiden Lämmer im Zentrum des Fotos wurden auf der Weide geboren und werden in der Natur aufwachsen. | Bild: Maike Stork

Trotzdem findet Jessica Lang, dass die Lämmer besser vor einem qualvollen Tod durch die Vögel geschützt werden müssen – zum Beispiel durch die zeitweise Unterbringung in einem Stall. Doch ist das realistisch bei 500 Schafen? Die Sprecherin des Landratsamtes dazu: „Frisch geborene Lämmer sind wie jedes neugeborene Tier in den ersten Minuten ihres Lebens der Gewalt der Natur ausgesetzt.“ Dies sei insbesondere bei geschwächten Lämmern der Fall.

Ein Stall böte natürlich mehr Schutz, erklärt sie weiter. Jedoch: „Eine solche Maßnahme kann nach dem Tierschutzrecht nicht gefordert werden und ist für Wanderschafherden schwer oder gar nicht möglich.“ Ähnlich sieht es auch die Elischa Serpi. Alle trächtigen Schafe unter Stress aus der Herde zu nehmen und in einem separaten Stall unterzubringen, hält sie für wenig sinnvoll und schwer umsetzbar. Zwillinge oder geschwächte Tiere nehme ich aber immer mit auf den Hof, bis sie fit sind, sagt die Schäferin.

Die Schafherde am Bettenberg Video: Maike Stork

Elischa Serpi: „Tiere sterben. So ist die Natur.“

Als die junge Schäferin die Fotos sieht, die Jessica Lang auf ihren Spaziergängen gemacht hat, sagt sie dazu: „Ich kann es verstehen, dass Leute schockiert sind, wenn sie so etwas sehen.“ Dann fügt sie an: „Aber das gehört einfach dazu, so ist die Natur. Und der Tod von Lämmern ist niemals gewollt oder billigend in Kauf genommen.“

Ein anderes Foto zeigt ein am Hinterteil blutendes Mutterschaf. Bilder wie diese sind der 27-Jährigen nicht fremd, wie sie sagt. „Aber so sieht das eben nach der Geburt aus, das ist ganz normal. Schlecht geht es dem Tier deshalb nicht.“ Würden die Schafe ihr Leben im Stall verbringen, gäbe es für sie weniger Gefahren. Das weiß auch Elischa Serpi. Weniger Infekte, weniger Würmer, insgesamt weniger tierische Feinde. Aber eben auch weniger Freiheit.

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