Eine ordentliche Portion Wehmut ist unverkennbar. Ein älterer Herr, schmal geworden, nicht mehr ganz so aufrecht wie einst, die Stimme ein wenig matt, geht langsam durch die herrschaftliche Beletage und führt den Gast herum. Hier ein Schrank von 1807, nur drei Jahre nach Auflösung des Klosters Salem durch einen der heimatlos gewordenen Laienbrüder meisterhaft angefertigt, „ist das nicht doll?“.
Da eine Vitrine mit Meißner Porzellan, das einmal ein Familienschatz war. An der Wand ein großes Bild von Hans Breinlinger, dem großen Konstanzer Künstler, eine farbenfrohe Darstellung der Muttergottes. „Vielleicht ein Entwurf für ein Kirchenfenster“, sagt der ältere Herr, doch in seiner Stimme schwingt neben Begeisterung auch Müdigkeit mit.

Der betagte Herr ist einer, der sich dem Älterwerden über so viele Jahre trotzig und kraftvoll entgegengestemmt hatte. Carlo Karrenbauer, der Auktionator und Showman, der gelernte Fernsehmacher und ehrenamtliche Chorleiter; er hat bis zuletzt die Haare und das schmale Bärtchen dunkel gefärbt, geht noch einmal auf die große Bühne.
Doch am Samstag, 10. Dezember, fällt auch für ihn der letzte Hammer. Es wird seine letzte Versteigerung in dem bekannten Auktionshaus an der Konstanzer Laube sein. In Januar wird er 84 Jahre alt, und wer ihn kennt, weiß, wie er sich zu diesem Satz überwinden muss: „Ich schaffe es nicht mehr.“

Aktion 294 wird Karrenbauers letzte sein
Mehr als 42 Jahre lang hat er in Konstanz die unglaublichsten Dinge versteigert. Gemälde, die unerwartete Rekordpreise erzielten, Märklin-Eisenbahnen, Leica-Kameras, eine Sammlung Weihwasserbecken, Uhren, Schmuck, Porzellan, Füller, Möbel. Lauter Sachen, „von denen die Kinder sagten: Wir wollen es nicht haben“, wie Karrenbauer selbst zurückblickt.
Eine Resterampe war sein Auktionshaus aber nie: Jeder zur Einlieferung angenommene Artikel wurde mit gleicher Akribie erfasst, beschrieben, fotografiert, geschätzt und dann zur Versteigerung aufgerufen. Mal gingen die die Sachen schnell weg, mal erst im Nachverkauf.
Nun ist bei Auktion Nummer 294 Schluss. Die 300 kann er nicht mehr vollmachen, sagt Karrenbauer, denn die Last hätte seine Frau Heidrun zu tragen. Sie war es, die zuletzt das Auktionshaus am Laufen hielt. Jedes der Stücke, die am 10. Dezember versteigert werden, kann sie in erstaunlicher Detailfülle beschreiben.
Denn sie hat von ihrem einstigen Chef und längst Ehemann gelernt: „Du verkaufst nicht nur ein Objekt, sondern vor allem die Geschichte dahinter, und die Emotionen, die damit verbunden sind.“ Es lohnt sich also, viel über die Dinge zu erfahren, bevor sie vor dem Saal- und Internetpublikum aufgerufen werden, auch finanziell.

Wie viel Karrenbauer in den Jahrzehnten seit seiner ersten, improvisierten Versteigerung umgesetzt hat, verrät er nicht so genau. Aber die Entwicklung spricht für sich. 1979/80 kam er eher zufällig dazu, einen Konstanzer Nachlass zu versteigern. Denn eigentlich war er ja nach einer ersten Ausbildung, dem Studium und zehn Berufsjahren als Fernsehmann für ein Soziologiestudium nach Konstanz gekommen.
Mit im Gepäck hatte er eine Sammlung von hunderten Jugendstil-Vasen, die er als Jugendlicher im Grenzgebiet zwischen den heimatlichen Saarland und dem nahen Lothingen zusammengekauft hatte. Um die zu Geld zu machen, baute Carlo Karrenbauer einen Antiquitätenladen in der Münzgasse auf.
Und dann kam ein Todesfall in der Nachbarschaft, in der Folge die Anfrage, ob er den Nachlass versteigern könnte, die kurzfristige Anmietung eines Abbruch-Hauses für die Auktion. Und aus der einen Auktion wurde eine lange Serie.

Über diese 42 Jahre hat sich viel geändert, blickt Carlo Karrenbauer zurück. Die Wertschätzung für geerbte Gegenstände sei eher geringer geworden, was ihn, den Bewahrer des Alten, erkennbar traurig stimmt. Im Saal sitzen weniger Menschen, dafür bieten Interessenten aus bis zu 15 Staaten über das Internet (“ohne Online wäre ich während Corona pleite gegangen„) mit.
In Modewellen verschiebt sich das Interesse von einer Epoche auf die andere, von einem Sammelgebiet auf das nächste. Mal sind Orden jeder Art gefragt, mal eher technische Gegenstände. Mal gehen Landschaftsbilder, mal eher nicht.

Mit all diesen Veränderungen hat Carlo Karrenbauer Schritt gehalten, doch nun ist sein Gang langsam geworden. Allenfalls noch für die eine oder andere Benefiz-Auktion wird er ab dem kommenden Jahr den Hammer heben. Mehrere Millionen Euro hat er schon für gute Zwecke eingesammelt und dabei stets auf das ihm zustehende Aufgeld verzichtet.

So lange er gefragt wird und kann, will er in diesem Rahmen gerne weiter unterstützen. Aber das tägliche Geschäft, die vielen Besuche in sich traurig auflösenden Haushalten, die Vorbesichtigungen im Auktionshaus, die Versteigerung selbst, die Logistik anschließend und der Nachverkauf, das ist ihm zu viel geworden.
„Karrenbauer bleibt eine wichtige Adresse“
Bei Karrenbauer geht es dennoch weiter. Auch im kommenden Jahr werde es dort hochkarätige Auktionen geben, sagt er. Noch legt Carlo Karrenbauer, der geniale Regisseur der kollektiven Preisfindung und Unterhaltungskünstler rund um große Kunst und kleinen Nippes, einen geheimnisvollen Schleier über die Zukunft des von ihm gegründeten Unternehmens.
Vorhandendes weiterzuverwenden das liegt nach Karrenbauers Überzeugung so stark im Trend wie seit Jahrzehnten nicht: „Ob man da jetzt Upcycling, Vintage, Second Hand, Ressourcenschonung, Klimaschutz oder Nachhaltigkeit sagt, ist doch egal“. Und deshalb: „Ja, es gibt eine überaus vertrauenswürdige Nachfolge, wir werden das Haus geordnet übergeben, Karrenbauer bleibt eine wichtige Adresse.“

Die Vorstellung, die Tür der Beletage in der Laube bald für immer hinter sich zu schließen, schmerzt ihn freilich noch ein wenig. Doch die Entscheidung ist getroffen. Bereits zu seinem 70. Geburtstag sagte er im großen SÜDKURIER-Interview einige Sätze, die seither mehrfach zitiert wurden: „Die Dinge bleiben, wir gehen. An einem Bodensee-Schrank haben sich schon vier, fünf Generationen gefreut. Sie haben in seiner Gegenwart gelacht, geweint, sie wurden geboren und sind gestorben. Der Schrank bleibt, aber uns sind die Dinge nur geliehen. Wir denken, das gehört uns alles, aber in Wirklichkeit gehört uns nichts. Mir macht dieser Gedanke eigentlich keine Angst.“
Nun ist es soweit. Carlo Karrenbauer wird gehen. Gebremsten Schrittes, schmal geworden – aber aus eigenem Entschluss und mit eigener Kraft.