In ihrem Klassenzimmer haben sie die blau-gelbe Flagge aufgehängt. Dieser Raum im Suso-Gymnasium ist eine Rückzugsmöglichkeit für die ukrainischen Jugendlichen, ein Stück Unter-sich-Sein in der Fremde. Gern schließen sie die Tür hinter sich zu, sagen die Lehrer. Alle 24 Schüler, die dieser Suso-Vorbereitungsklasse (VKL) für Jugendliche mit geringen oder ohne Deutschkenntnisse angehören, haben ihre eigene Geschichte.
Alina musste schon zweimal fliehen
Da ist zum Beispiel Alina, 15 Jahre, die schon zweimal ihre Heimat verloren hat. In einer Mischung aus Deutsch und Englisch erzählt sie: „Als ich sieben Jahre alt war, musste ich mit meiner Familie aus Donezk fliehen. Ich erinnere mich noch daran, das war schrecklich.“ Ihre Familie zog nach Charkiw, die Stadt wurde zur neuen Heimat. Bis auch hier der Krieg ausbrach. Alina sagt: „Am Morgen des 24. Februar 2022 wachten wir auf, weil wir Bomben in der Nähe hörten. Wir setzten uns ins Auto und fuhren los.“

Eine Woche später kam Alina mit ihrer Familie in Konstanz an, wo sie Verwandte hat. Es klingt seltsam, als Alina sagt: „Hier anzukommen, war ein Traum für mich. Ich war vor einigen Jahren schon mal am Bodensee und habe mich richtig gefreut, zurückzukommen. Vielleicht wird Konstanz meine neue Heimatstadt.“ Alina hat Pläne für die Zukunft: „Ich möchte hier mein Abitur machen und studieren. Ob ich nochmal in der Ukraine leben will, weiß ich nicht.“
Die zwölfjährige Ksenia kommt ebenfalls aus Charkiw, jetzt lebt sie in Litzelstetten. „Ich will gut sein in der Schule, aber es ist schwer“, sagt Ksenia. So bleibt der Kontakt zu ihren deutschen Mitschülern aufs Wesentliche beschränkt: Wie geht diese Englisch-Aufgabe, wo muss ich als nächstes hin? Ihr deutscher Klassenkamerad Anton, 13 Jahre, bestätigt: „Man redet nicht so viel miteinander, denn die Ukrainer sind nicht in allen Fächern in unserer Klasse und in den Pausen gehen sie zu den anderen aus ihrem Land.“

Das bestätigen die Lehrerinnen Sonja Sopper und Evelyn Klaus, die sich am Suso mit viel Herzblut um die Ukrainer kümmern. So sagt Klaus: „Für uns ist es ein Spagat: Wir möchten die Schüler sprachlich so fit machen, dass sie ihr Abitur ablegen könnten. Doch nicht alle können sich gleichermaßen auf die neue Situation einlassen, manche schreiben im Unterricht nicht mit und tun sich schwer, sich in die Regelklassen zu integrieren.“
Dabei sieht das teilintegrative Konzept am Suso genau dies vor: Je nach Deutschkenntnissen und Alter nehmen die Ukrainer mehr und mehr am Regelunterricht teil. Nachmittags werden die Kinder auf drei Niveaus in Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Das bedeutet: „Jedes ukrainische Kind hat einen anderen Stundenplan“, sagt Evelyn Klaus.

Dieses System erfordert großen Organisationsaufwand, ist aber unverzichtbar für die Integration, findet Sonja Sopper: „Es ist schon so, dass die deutschen und die ukrainischen Schüler sich noch nicht richtig mischen, aber das braucht Geduld. Und mehr Deutschkenntnisse.“
Dafür sorgt unter anderem die Lehrerin Juliane Sturm, die Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. Alina und ihre ukrainischen Klassenkameraden lernen bei ihr alles, was sie im Alltag brauchen: Das Datum, das Fragen nach dem Weg zum Bahnhof, viel selbst sprechen.
Die Schüler dieses Kurses sind motiviert, und Suso-Schulleiter Patrick Hartleitner bestätigt: „Die Ukrainer kommen alle aus funktionierenden Schulen, die meisten aus bildungsaffinen Elternhäusern.“ Trotzdem leben viele von ihnen zwischen zwei Welten. Einige waren in den Herbstferien zu Besuch in der Ukraine, wo noch viele Väter leben. „Das schmerzt und belastet sie“, sagt Evelyn Klaus.
Da für die Organisation der VKL kaum Lehrerstunden und Fachkräfte zur Verfügung stehen, lebt die Integration der ukrainischen Schüler vom Engagement vieler Lehrer. Für Sonja Sopper ist dies selbstverständlich: „Ich wollte seit Kriegsbeginn helfen und hier lag die Gelegenheit vor der Tür. Wenn ich sehe, wie gut die Kinder sich entwickeln, lohnt es sich, so viel Energie reinzustecken.“

Ihre Kollegin Evelyn Klaus ergänzt: „In Zeiten, in denen Europa auseinanderbricht, ist es ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber einem Land, das sich auf den Weg machen will. Ich sehe es in meiner Verantwortung, den ukrainischen Schülern unser Bildungssystem nahezubringen.“
Und wie läuft es in der Grundschule?
In den Konstanzer Grundschulen sind 70 Kinder aus der Ukraine. Eine von ihnen ist Asya, die eine erste Klasse der Sonnenhaldeschule besucht. Daran, dass sie sich langsam zu öffnen beginnt, hat neben ihren Lehrerinnen auch Clara großen Anteil.
„Ich saß zufällig bei der Einschulung neben Asya und jetzt immer noch“, erzählt die Siebenjährige. Dass sie ein Kind neben sich hat, das ihre Unterstützung braucht, stört Clara nicht: „Ich brauche ja auch manchmal Hilfe“, sagt sie ganz pragmatisch.

Schulleiterin Mona Schilkowski macht ähnliche Erfahrungen wie die anderen Rektoren: „Viele ukrainische Kinder sind motiviert, aber nicht alle wollen Deutsch lernen. Manche denken, dass sie eh wieder in ihre Heimat zurückgehen.“ Andere wiederum könnten sich aufgrund ihrer Erfahrungen nicht konzentrieren: „Die Eltern erzählen mir, dass neben ihnen eine Bombe eingeschlagen habe oder dass sie über Nacht ihre Sachen packen mussten.“
Asyas Mutter Ganna Skosyrieva weiß auch noch nicht, wie es weitergeht. Doch sie ist dankbar für all die Hilfe, die sie in Konstanz erfährt: „Wir leben bei einer deutschen Familie, die selbst fünf Kinder hat und uns sehr unterstützt“, sagt sie. Asyas Lehrerin Isabel Salgas aber weiß: „Unter so guten Bedingungen wie sie sind die wenigsten ukrainischen Kinder gestartet.“