In die Zukunft zu planen ist nicht einfach. Es ist schließlich ein bisschen wie der Blick in die Kristallkugel. Wie sich etwas entwickeln wird, kann niemand genau sagen. Doch Planung muss sein. So stellte die Radolfzeller Stadtverwaltung kürzlich die Bedarfsplanung für die Kinderbetreuung bis zum Jahr 2030 vor. Mit dem Ergebnis, dass es für Kinder unter drei Jahren schon ab dem Kindergartenjahr 2020/2021 ausreichend Plätze geben wird.
Für Kinder über drei Jahren wird es nicht reichen
Für Kinder über drei Jahren werden bis ins Jahr 2030 Plätze fehlen. Grundsätzlich rechnet die Stadtverwaltung damit, dass ab 2024 die Geburtenzahlen und somit auch die Anzahl an betreuten Kindern, „in großen Zügen abnehmen werden“, wie Anette Hemmie, Leiterin der Kindertagesbetreuung im Ausschuss für Bildung, Soziales und Sicherheit erläuterte.
Errechnet wurden diese Prognosen von Tilman Häusser, freier Statistiker und Planer aus Tübingen. Anhand seiner Prognosen zur Entwicklung der Bevölkerung, Daten des Einwohnermeldeamtes, die Auswertung der zentralen Vormerkung für Betreuungsplätze sowie die Rückmeldung freier Träger und der Kindertageseinrichtungen habe man die Bedarfsplanung erarbeitet. Für beide Altersgruppen wurden unterschiedliche Zuweisungsschlüssel als Grundlage genommen.
Zuweisungsschlüssel ist je nach Alter des Kindes unterschiedlich
Der Zuweisungsschlüssel ergibt sich aus der erwarteten Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes im Verhältnis zur gesamten Anzahl an Kindern dieser Altersgruppe. So liegt der Zuweisungsschlüssel bei Kindern von drei bis sechs Jahren bei 97 Prozent. Bei Kindern unter drei Jahren ist der gemittelte Wert 31,6 Prozent. Dieser stellt sich zusammen aus den Einzelwerten der Altersgruppen null bis ein Jahr (5 Prozent), erstes bis zweites Jahr (40 Prozent) und zweites bis drittes Lebensjahr (50 Prozent). Für diese Altersgruppe soll es laut Berechnung der Stadtverwaltung ab 2020/2021 ausreichend Betreuungsplätze geben.
Doch trotz Ausbau der Angebote wird es für Kinder über drei Jahren auch bis 2030 nicht reichten. Im Sommer diesen Jahres soll der Umbau des Kindergartens St. Hedwig abgeschlossen werden. Im Sommer 2020 soll der neue Kindergarten in Böhringen fertig sein. Dort gibt es dann drei neue Gruppen für Kinder über drei Jahren. Zum Stichtag 1. März 2021 stehen Radolfzeller Familien insgesamt 308 Plätze für Kinder unter drei Jahren und 980 Plätze für Kinder über drei Jahren zur Verfügung.
Es soll ab 2024 wieder weniger Kinder geben
Die Prognose von Tilman Häusser sieht jedoch vor, dass ab 2024 die Nachfrage an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren stark abnehmen wird. Grund dafür sollen die geburtenschwachen Jahrgänge der Neunzigerjahre sein, die nun ins gebähfähige Alter kommen. Weniger potenzielle Eltern sorgen somit auch für weniger Kinder, so die Annahme.
Für Kinder über drei Jahren wird es bis 2030 weiterhin ein Defizit von etwa 60 bis 90 Plätzen geben. Dieser entstünde durch strukturelle Veränderungen in den Einrichtungen, wenn zum Beispiel eine Regelgruppe in eine Ganztagesgruppe umgewandelt wird. Dann fallen automatisch Plätze weg. Doch auch hier sieht die Verwaltung nur einen temporären Bedarf bis 2030. Danach solle sich Angebot und Nachfrage die Waage halten. Neu bauen möchte die Stadt deswegen nicht, sondern kurz- und mittelfristig Objekte mieten und diese zu einer Einrichtung umbauen.
Gemeinderäte sehen diese Prognosen sehr kritisch
Siegfried Lehmann (FGL) hält die Prognose für nicht zutreffend. „Ich halte es für nicht angemessen, von einem temporären Bedarf zu sprechen“, sagte er. Auch wolle er keinen Kindertourismus installieren. Laut Prognose werde sich der Bedarf in den einzelnen Ortsteilen recht unterschiedlich entwickeln, sodass Kinder dort untergebracht werden müssten, wo eben Platz ist und nicht, wo die Familien wohnen.
Auch Martina Gleich (CDU) wünscht sich eine langfristige Planung. Diese Zahlen sollten nur ein Anhaltspunkt sein. „Wir kommen um eine neue Einrichtung nicht herum“, fasste sie zusammen. Auch merkte sie an, dass sich Familien gedrängt fühlten, ihre Kinder viel früher in einer Einrichtung anzumelden, weil sie Angst hätte, keinen Platz mehr zu bekommen, wenn sie ihn wirklich brauchen. Aus diesem Grund sei auch eine schnelle, temporäre Lösung sinnvoll. Der Gemeinderat wird in seiner Sitzung am Dienstag, 12. März, ab 16.30 Uhr darüber abstimmen.
Schnelle Lösungen
Aktuell sei die Verwaltung mit zwei Anbietern in der Kernstadt im Gespräch. Sie wollen eine Wohnung anmieten und diese zu einer Kindertagesstätte umfunktionieren. Hier könnte man kurzfristig Platz für 25 Kinder über drei Jahren zur Verfügung stellen. In einem zweiten Objekt könnte man wenigstens zwei neue Gruppen einrichten. Mit diesen kurzfristigen Lösungen sei man in der Lage, alle Vormerkungen in diesem Kindergartenjahr zu berücksichtigen. In der Nordstadt gebe es die mittelfristige Option, eine komplett neue Kindertageseinrichtung zu bauen.