Der Radolfzeller Stadtpfarrer Heinz Vogel hat vielleicht den letzten „normalen“ Sonntag in den nächsten Wochen vor sich. Aber was heißt normal. Die Kirche steht wie angekündigt für die Gottesdienste im Münster, St. Meinrad, Böhringen, Güttingen, Liggeringen und Markelfingen offen. Aber was er zu verkünden hat, geht weit über eine normale Predigt hinaus. Auch in der katholischen Kirche hat das gewohnte Leben ein Ende, in Freiburg ist schon an diesem Wochenende das Münster dicht, in Radolfzell ist dann ab Montag Schluss. Pfarrer Vogel wird am Sonntag verkünden, dass es eine Weile keine Gottesdienste mehr gibt: „Das betrifft Ostern und wahrscheinlich auch die Erstkommunion.“
Gottesdienste sind möglich
Was für das öffentliche Leben gilt, greift selbst im religiösen. Obwohl die Kirchen eigentlich nicht an das Verdikt aus dem Radolfzell Rathaus gebunden sind, die alle öffentlichen Veranstaltungen untersagt. Gottesdienste seien an diese Allgemeinverfügung nicht gebunden, wenn die Kirchen sich daran hielten, wäre das aber vernünftig, sagt Oberbürgermeister Martin Staab. Auch Vogel teilt die Meinung, dass der Verzicht vernünftig sei, will aber selbst den Kirchgängern erklären, warum die Kirchen geschlossen bleiben und was Christen tun können in Zeichen von Corona: „Zuhause beten, aber sich dabei nicht einigeln. Gebraucht Euren Menschenverstand, achtet auf Eure Nachbarschaft.“
Aber immer auf Abstand. Es können lange Wochen werden, wenn alle öffentliche Einrichtungen geschlossen sind und sich das gesellschaftliche Leben auf dem Status Null einpendelt. Wenn es kein neues Buch aus der Stadtbücherei mehr gibt, wenn die Hallen geschlossen bleiben und auf den Fußballplätzen nur noch die Eichhörnchen jagen. Die Lehrer können keine Arbeiten im voraus korrigieren und die Schüler das dauernde Daheimbleiben nur schwer ertragen. Mama und Papa dazu im Homeoffice, das ist für alle Beteiligten auf Dauer schwer auszuhalten. Der häusliche Frieden wird zum hohen Gut, wenn alle immer zu Hause sind.
Was der Wissenschaftler sagt
Gibt es eine Wahl? Nach menschlichem Ermessen nein. Aber auch das kann sich ändern, das menschliche Ermessen der Klügsten, wie man dem Coronavirus begegnen kann. Das räumte Christian Drosten, Virologe an der Berliner Charité, in der Talkshow bei Maybritt Illner ein: „Das ist ein Virus, das kein Mediziner nachvollziehen kann.“ Bis dahin gilt aber die Erkenntnis: Die Verbreitung könne nur verlangsamt werden, wenn die Zahl der mitmenschlichen Kontakte möglichst niedrig gehalten werden kann. Ungeachtet der Auswirkungen und der Gefährlichkeit des Coronavirus gibt Professor Drosten eines zu bedenken: „Wir verlieren auch Menschenleben, wenn zum Beispiel Krankenschwestern oder Ärztinnen und Ärzte, die Kinder zu Hause haben, nicht mehr zur Arbeit gehen können und einfach nicht mehr erscheinen.“
Notfallbetreuung für systemrelevante Berufe
Dem hat die Stadt Radolfzell nach der angekündigten Schließung der Schulen und Kindertageseinrichtungen vorgebaut mit ihrem Angebot der Kindernotfallbetreuung für „systemrelevante Berufe“. Der Begriff „systemrelevant“ umfasst dabei über die reine Gesundheitsversorgung alle für das Funktionieren des Alltags zuständigen Berufsgruppen: Mediziner, Pflegeberufe, Rettungsdienste, Lebensmitteleinzelhandel, Versorgungstechniker, Busfahrer, Lokführer. Das klingt gut überlegt und dem Notfall angemessen, Professor Drosten dürfte das loben.
Nicht der Weltuntergang
Aber sonst? Private Kontaktaufnahmen kann uns Stadt und Staat ja nicht verbieten. Aber es gibt die Empfehlung, sie einzuschränken. Sonst mache ja das Einstellen der Ausbildung und der Proben keinen Sinn, sagt Feuerwehrkommandant Helmut Richter. Nur so könne die gegenseitige Ansteckung unter Feuerwehrkräften vermieden werden. Ist das Coronavirus der Weltuntergang? Pfarrer Vogel lacht: „Nein.“ Doch es zeige, Natur sei einfach nicht nur schön. Er selbst habe so etwas noch nie erlebt: „Man weiß nie, was kommt, was macht es mit uns.“ Wahrscheinlich: einsam.