Gute Verlierer sind nicht beleidigt, aber gut zu verlieren ist verdammt schwer. Oft braucht es Zeit, Niederlagen zu akzeptieren, so wie sie sind. Erst dann stellt sich ein gewisser Friede ein. Nach der Entscheidung am Dienstagabend im Gemeinderat, eine breitere und kürzere Unterführung unter dem Bahnhof zu bauen, liegt die Vermutung nahe: Bis dieser Frieden in Radolfzell eintritt, wird es noch eine Weile dauern.
Vor allem die Stadträte der Freien Grünen Liste (FGL) können es nicht verwinden, dass eine große Mehrheit im Gemeinderat dieses Projekt will. Die Schlacht schien für sie schon vor der eigentlichen Abstimmung verloren, weil der Antrag für den Bau der "modifizierten Vorzugsvariante" – eine Unterführung mit 8,50 Meter Breite – von 15 Stadträten unterschrieben war. 15 Stadträte sind bei 27 stimmberechtigten Mitgliedern im Gemeinderat immer eine Mehrheit.
Reihen der Befürworter für einen neuen Seezugang schlossen sich
Deshalb sprach Siegfried Lehmann als Fraktionsvorsitzender der FGL mal abschätzig, mal durchaus mit Respekt vom "Antrag der 15". Es war ein politischer Coup, weil es den Initiatoren gelang, den Antrag an den Grünen vorbei und ohne deren Wissen bei der Verwaltung zu platzieren. Deshalb hatte dieser Beschlussvorschlag als erster eingereichter Antrag Vorrang vor allen anderen, was Lehmann mit einer gewissen Bitterkeit akzeptieren musste.
Der kühne Handstreich führte beim streitbaren FGL-Chef zu einer immer lauter werdenden Stimme. Dabei dürfte er mit seinen Beiträgen ein gutes Stück dazu beigetragen haben, dass sich die Reihen der Befürworter für einen neuen Seezugang schlossen. Lehmann bezweifelte nicht nur die Kostenschätzungen der Verwaltung, er verriss sie geradezu.
Nur seinen eigenen Berechnungen vertraut der Stadtrat. Lehmann kommt auf 34 Millionen Euro für die neue Seetorquerung, die Stadtverwaltung nur auf 23 Millionen. Dieses mitunter selbstgerechte Verhalten brachte ihm deutliche Kritik aus den Reihen der anderen Fraktionen ein. Danach setzte sofort die Solidarität der FGL-Kollegen ein.
Wenn die Seetorquerung nicht funktioniert, wird die Abrechnung gnadenlos sein
Thilo Sindlinger brandmarkte die Zahlen der Verwaltung als Tricksereien, Waltraud Fuchs sprach von "Fakenews." Eine heftige Wortwahl, die nicht auf einen baldigen Frieden schließen lässt. Dabei ist die Frage, wer mit welcher Nachricht zu den Finanzen am Ende falsch oder richtig liegt, nicht unbedingt die entscheidende.
Wenn Bauwerk und Funktion stimmen, wird dieser Streit eine Randerscheinung sein. Aber wenn die Seetorquerung eines schönen Tages nicht funktioniert, wird die Abrechnung gnadenlos sein.
Die Diskussion um den neuen Seezugang in Radolfzell ähnelt den aktuellen Feldern der Bundespolitik. Die einen sagen: "Wir schaffen das." Die anderen erwidern: "Wir schaffen das nicht."